Piano Sonatas Nos. 1–4 · Seven Variations Op. 9 · Grande Polonaise
Seven Variations on the Aria “Vien’que dorina bella” Op. 7
Aufforderung zum Tanz Op. 65 · “Max” Waltz
Michael Endres, piano
Michael Endres wurde für seine hochgepriesenen Aufnahmen von Werken von Franz Schubert und W.A. Mozart (OehmsClassics 253) mit dem „Choc de Musique“ und dem „Diapason d’Or“ ausgezeichnet. Nun legt er eine weitere bedeutende Einspielung vor: Klavierwerke von Carl Maria von Weber.
Die Klavierwerke
von Carl Maria von Weber
Knapp 200 Jahre nach ihrer Entstehung
stehen die hochvituosen und dramatischen
Klavierwerke von Carl Maria von
Weber immer noch im Schatten seiner
Opernkompositionen, obwohl etwa seine
vier Klaviersonaten zu seinen großformatigsten
Werken gehören.
Webers ureigene musikalische Sprache
basiert auf seiner opernhaften frühromantischen
Farbigkeit und effektvollen Dramatik.
Dies spiegelt sich in seiner 1814 entstandenen
1. Sonate C-Dur Opus 24 wieder,
welche eines seiner tollkühnsten und originellsten
Klavierwerke ist.
Die vier Sätze sind ähnlich wie Chopins
Sonate in b-moll Opus 35 eine Ansammlung
von vier heterogenen dramatischen Situationen,
welche kaum den herkömmlichen
Begriff der Sonate rechtfertigen.
Der 1. Satz ist in seiner unorthodoxen
pianistischen Schreibweise und dem
ständigen Szenenwechsel geradezu ein
Modellfall für Webers Klavierstil: mit hochvirtuosem
Klaviersatz unter Ausnutzung
aller technischen und klanglichen Möglichkeiten
des Instruments schafft Weber eine
dramatische Atmosphäre welche fast die
Möglichkeiten des Instruments überfordert,
da die Orchesterfarben hier fehlen. Sprunghaft
wechseln hier die Situationen anstelle

von kontinuierlicher Entwicklung.
Erst im langsamen Satz gelingt eine perfekte
harmonische Belcanto-Schreibweise,
worin sich der zarte Duetto-Beginn, die arienhafte
Fortspinnung und die orchestrale
Kulmination im Mittelteil aufs beste ergänzen.
Das Scherzo überrascht durch die ungewöhnliche
Tonart e-moll (nach dem F-Dur
des langsamen Satzes) und ein wiederum
Orchesterinstrumenten abgelauschtes Trio.
Der vierte Satz, welcher unter der Bezeichnung
„Perpetuum Mobile“ lange Jahre
zum Standardprogramm vieler Virtuosen
im frühen 20. Jahrhundert gehörte, ist ein
Kuriosum: ein rastloses, ununterbrochen
dahinjagendes Werk, welches aber nicht
als Etüde konzipiert ist, sondern viel Charme
und Esprit aufweist.
Nach diesem Sonatenexperiment ist die
As-Dur Sonate Opus 39, entstanden 1814-
1816, ein weitaus homogeneres und auch
romantischeres Werk.
Fernab vom überstürzten Elan der 1. Sonate
sind hier organischer Aufbau und
stimmungsvolle Klangbilder vorherrschend,
wobei es dennoch zu höchst erregten Ausbrüchen
im Mittelteil des ersten Satzes
kommt, welche aber Resultat organischer
Entwicklungen sind.
Der langsame Satz ist klassischer konzipiert,
da die dramatische und klangliche
Balance zwischen den einzelnen Teilen
konzentrierter ist und Weber hier auf Extreme
verzichtet, gleichzeitig wiederum einen
sehr orchestralen Klavierstil anwendet.
Das Scherzo, ein exaltierter Virtuosensatz,
agiert im Trio zwischen dunklen Registern
und einer opernhaft exponierten
Oberstimme, verliert aber nie seinen Fluss.
Der abschließende Finalsatz verlangt
„molto grazioso“. Es ist aber nicht die
melodische Qualität, welche den Satz beherrscht,
sondern das geistreiche Parlieren,
welches am Schluss im leisesten pianissimo
versinkt.
Die beiden unterschiedlichen Ansätze
der beiden ersten Sonaten werden in der
grandiosen dreisätzigen d-moll Sonate
Opus 49, entstanden 1816 in Berlin, vereint.
Hier gelingt Weber eine Synthese von
klassischer Form und frühromantisch-dämonischem
Affekt.
Zudem sind die Themen im düster-dämonischen
ersten Satz hier ganz im Sinne
des klassischen Prinzips thematisch stark
voneinander abgesetzt.
Der langsame Satz ist ein Variationswerk,
eine Gattung, welcher Weber sehr
zugetan war: es entstanden insgesamt
zehn Variationszyklen.
Bemerkenswert ist hier, wie natürlich die
verschiedenen Lagen des Instruments zum
Klingen gebracht werden und dann der Ablauf
der Variationen zweimal unterbrochen
wird: durch ein dunkel romantisches Tremolo
sowie einen glanzvollen fortissimo-
Mittelteil.
Im letzten Satz zieht Weber alle virtuosen
Register – an der Grenze des Spielbaren
– jedoch auch hier ist der Ablauf
wirkungsvoll kontrastiert: ein serenadenhaftes
Thema schafft wirkungsvollen Kontrast.
Hat sich die d-moll-Sonate schon hörbar
von der ungebändigten Fantasie der 1. Sonate
entfernt, so ist die späte 4. Sonata in
e-moll Opus 70, entstanden 1822, ein weiterer
Schritt hin zu einer Konzentration der
Mittel in Verbindung mit einer lyrischen und
melancholischen Grundstimmung.
Sowohl Haupt- wie Seitenthema des ersten
Satzes sind lyrisch angelegt, lediglich in
der Durchführung kommt es zu einem Ausbruch,
welcher die scheinbare melancholische
Idyllik des Bisherigen in Frage stellt.
Als zweiter Satz erscheint dann überraschenderweise
das extrovertierte Scherzo.
Diese Anordnung ist dramaturgisch
sinnvoll, um der Verhaltenheit des ersten
Satzes zu begegnen. Trotz brillianter Klarheit
verlangt Weber im rastlosen Mittelteil
ein „murmurando“, welches einen eigenartig
diffusen Effekt erzeugt.
Der langsame Satz ist ureigenster Weber:
ein schlicht volksliedhafter Satz, der
sparsamer gesetzt ist als alle seine Vorgänger.
Das abschließende prestissimo ist ein
inspirierter, geistreicher Tanz, der die elegisch-
schwermütige Stimmung des ersten
Satzes vergessen macht.
In den beiden hier vorgestellten Variationswerken
ist nicht die thematische Arbeit
vorherrschend, sondern in den F-Dur-
Variationen Opus 9, komponiert 1808, die
dramatische Beleuchtung des Themas.
Interessanterweise beschließt Weber diesen
bedeutenden Zyklus mit einer reinen
Belcanto- (also gesanglichen) Variation,
welche den Umfang aller vorherigen Variationen
sprengt.
Dieser Aspekt des Gesangs tritt noch
mehr in den Vordergrund in den 7 Variationen
über „Vien qua, Dorina bella“, entstanden
1807. Hier hat Weber das Thema
separat als Singstimme notiert, er soll
bei Aufführungen das Thema mit seiner
„des feinsten Ausdrucks fähigen Stimme“
(Jähns) gesungen haben.
Der besondere Zauber dieser Komposition,
das geheimnisvolle Halbdunkel der ersten
Variation etwa, der enorme Er.ndungssreichtum
der siebten Variation machen
dieses Werk zu einem der frühen Höhepunkte
des Weberschen Klavierwerks.
Ebenfalls 1808 entstand die Grande
Polonaise in Es-Dur, welche in ihrem ritterlichen
Glanz und ihrer unverbrauchten
Frische Webers Vorliebe für konzertanten,
tänzerischen Glanz erkennen lässt. Eine
hochdramatisch dämonisch-wirkungsvolle
Einleitung schafft wiederum hinreichenden
dramatischen Kontrast.
Die berühmte Aufforderung zum Tanz
Opus 65, entstanden 1819, ist mehr eine
poetisierte Idee des Tanzes als ein reiner
Konzertwalzer.
Weber hat hier ein Programm, welches
er selbst niederschrieb, in Musik gesetzt:
von der ersten Annäherung des Tänzers
über die zögerliche Erwiderung der Dame
bis schließlich hin zum eigentlichen Tanz,
und danach Dank und Zurücktreten.
Die hier eingespielten Tänze ergänzen in
ihrer Liebenswürdigkeit den Charme dieses
Konzertwalzers, welcher als einziges Klavierwerk
den Ruhm des Freischütz’ erreicht
hat, während etwa Webers vier grandiose
Sonaten weithin in Vergessenheit geraten
sind.
Es ist zu hoffen, dass diese wunderbar
kühnen und pianistisch glanzvollen Werke
des Begründers der romantischen Oper
eine Renaissaince erleben werden: als
ebenbürtige Ergänzung der ganz anders
gearteten, lyrischen Sonaten Schuberts.
Michael Endres