Ludwig van Beethoven: Symphony No. 7
Richard Wagner: “Siegfried”, 3rd Act
Münchner Philharmoniker · James Levine, conductor
Linda Watson / Ben Heppner / Brigitta Svendén / James Morris
Wagners Werke sind für den langjährigen Bayreuth-Dirigenten Levine ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Die vorliegende Siegfried-Einspielung mit Weltklasse-Solisten dokumentiert dies eindeutig. Der glühende Beethoven-Bewunderer Wagner prägte über die 7. Symphonie das vielzitierte Wort von der „Apotheose des Tanzes“.
Linda Watson, Brünnhilde
Die Sopranistin Linda Watson hat sich innerhalb
kürzester Zeit internationale Anerkennung
als eine der wichtigsten Wagner-
Sängerinnen unserer Generation erworben.

Ihr Debüt als Kundry in Parsifal bei den Bayreuther
Festspielen 1998 unter Giuseppe
Sinopoli zog weltweit Einladungen für wichtige
Debüts nach sich. Als Kundry, Isolde und
Brünnhilde ist Linda Watson auf den wichtigsten
Opernbühnen weltweit zu hören. Als
Isolde trat sie mit der Bayerischen Staatsoper
in München sowie auf einer Tournee in
Japan auf, beide Male unter der Leitung des
Generalmusikdirektors Zubin Mehta, der auch
ihre Isolde beim Maggio Musicale Fiorentino
Florenz dirigierte. Mit den Münchner Philharmonikern
debütierte sie im Juni 2000 in von
James Levine geleiteten konzertanten Aufführungen
des 3. Akts Siegfried neben Ben Heppner.
Sie hat mit vielen führenden Dirigenten
unserer Zeit zusammen gearbeitet, unter anderem
sind hier James Levine, Zubin Mehta,
Valery Gergiev, Christian Thielemann, Antonio
Pappano und Edo de Waart zu nennen.
Linda Watson wurde in San Francisco geboren.
Nach Abschluss ihrer Studien am New
England Konservatorium in Boston erhielt sie
zahlreiche Stipendien, darunter auch das Fulbright-
Stipendium, das es ihr ermöglichte, ihre
Studien am Konservatorium der Stadt Wien
mit einem Diplom abzuschließen.
Linda Watsons Laufbahn begann in Aachen.
1995 wurde sie Mitglied der Leipziger
Oper. Wie viele große Wagnersoprane der
Vergangenheit begann sie als Mezzosopran
und war in Leipzig in Rollen wie Venus in Tannhäuser
und Brangäne in Tristan und Isolde zu
erleben. An der Wiener Staatsoper debütierte
sie 1997 als Venus.
Ihre erste Sopranrolle, die Sieglinde in der
Walküre, sang sie in einer Neuinszenierung
der Oper Essen. Daraufhin schloss sie sich
dem Ensemble der Deutschen Oper am Rhein
als führender dramatischer Sopran an. Dort
hatte sie die Gelegenheit, ihr Repertoire um
die Partien der Kundry, Isolde, Leonore in Beethovens
Fidelio und die Titelrolle in Strauss‘
Ariadne auf Naxos zu erweitern. Sie trat auch
als Marschallin in Strauss‘ Rosenkavalier in
Amsterdam unter Edo de Waart und in Prag
unter Jir¡í Kout auf.
Ben Heppner, Siegfried
Geboren in British Columbia, begann Ben
Heppner seine musikalischen Studien an
der University of British Columbia School of
Music. Als er 1979 Gewinner beim Canadian
Broadcasting Company Talent Festival wurde,
erreichte er erstmals nationale Anerkennung.
Heute gilt er als einer der führenden dramatischen
Tenöre unserer Zeit und wird in

den Musiktempeln der Welt wegen seiner
Stimmschönheit, intelligenten Musikalität und
seinem sprühenden Sinn fürs Dramatische
bejubelt. Seine Aufführungen auf den Opern-
und Konzertbühnen, seine Liederabende und
seine Aufnahmen setzen neue Maßstäbe in
seinem anspruchsvollen Fach.
Ben Heppner zeichnet sich in den allerschwierigsten
Partien aus, etwa als Wagners
Tristan und Lohengrin oder Verdis Otello und
Berlioz‘ Aeneas. Er ist häufig mit der Metropolitan
Opera, der Royal Opera Covent Garden,
der Wiener Staatsoper, der Opéra National de
Paris und der Lyric Opera of Chicago zu hören.
Er tritt mit allen weltweit führenden Orchestern
und auf den bestangesehenen Konzertpodien
auf. Sein breites Konzertrepertoire
umfasst Werke wie Das Lied von der Erde,
Schönbergs Gurre-Lieder, Kodalys Psalmus
Hungaricus, Beethovens Neunte Symphonie,
Mahlers Achte Symphonie, Brittens War
Requiem und Verdis Requiem. Ben Heppner
ist Exklusivkünstler der Deutsche Grammophon
GmbH.
Birgitta Svendén, Erda
Birgitta Svendén studierte an der Stockholmer
Opernschule und begann ihre Karriere
an der Königlichen Schwedischen Oper
in derselben Stadt. Ihr erstes internationales
Engagement kam 1983, als sie in der Ring-Produktion
von Georg Solti und Sir Peter Hall eine
Rheintochter sang. Danach trat sie bis 1998
öfters bei den Bayreuther Festspielen auf,
hauptsächlich als Erda und Magdalena.
In der Saison 1988/89 sang Birgitta

Svendén
Erda und Magdalena an der MET. Seitdem
ist sie wiederholt nach New York eingeladen
worden und hat ihr New Yorker Repertoire
um Pauline, Olga, Magdalena und Mary (Der
.iegende Holländer) erweitert. In den Folgejahren
ist die Karriere der Sängerin steil
nach oben gegangen. Sie debütierte an der
San Francisco Opera (Erda und 1. Norn); Covent
Garden (Erda); Bayerischen Staatsoper
(Erda); Buenos Aires (Fricka); Châtelet Paris
(Anna/Les Troyens); Chicago (Margret/Wozzeck)
und Berliner Staatsoper (Erda).
Birgitta Svendén ist als gefragte Konzertsängerin
bei Festspielen und in berühmten
Konzertsälen oft zu Gast. Sie sang Mahler II
in Wien und Birmingham, Mahler III in Ravinia,
Mailand, Paris, Tokio, Köln und Budapest,
Mahler VIII in London und Straßburg, Alt-
Rhapsodie in Berlin, Missa Solemnis in Köln
und Amsterdam, Elijah in Paris, Erda in Dortmund,
Das Lied von der Erde in Amsterdam
und Stockholm und Lieder eines Fahrenden
Gesellen in Stockholm, um nur einige ihrer
wichtigsten Engagements zu nennen. Dabei
hat sie mit vielen der namhaftesten Orchester
und Dirigenten gearbeitet.
James Morris, Wanderer
James Morris wurde in Baltimore/USA geboren
und wuchs dort auf. Er nahm Unterricht
bei Rosa Ponselle und debütierte mit

der Baltimore Oper als Crespel (Les Contes
d‘Hoffmann). Dann setzte er sein Studium an
der Philadelphia Academy of Vocal Arts mit
Nicola Moscona fort. Nach einem erfolgreichen
Probesingen an der MET wurde er im
Alter von 23 Jahren der jüngste männliche
Sänger im Ensemble.
1975 sprang er an der MET kurzfristig in der
Titelrolle des Don Giovanni ein, einer Rolle, die
er seither regelmäßig mit diesem Ensemble gesungen
hat. Er ist einer der führenden Sänger
an der MET mit einem breiten Repertoire, das
solche Rollen wie Philipp (Don Carlos), Claggart
(Billy Budd), Raimondo (Lucia di Lammermoor),
Padre Guardiano (La Forza del Destino), Me.stofele
(Faust), Scarpia (Tosca), Jago (Otello), die
Titelrollen in Der Fliegende Holländer sowie Le
Nozze di Figaro und alle vier Bösewichte in Les
Contes d‘Hoffmann umfasst.
In den letzten Jahren hat James Morris
sich in die Rolle des Wotan vertieft. Seine
Aufführungen mit der San Francisco Opera in
deren Ring-Produktion waren eine Sensation.
Er ist nun zu einem der herausragendsten
Vertreter dieser Rolle herangereift. Wotan hat
er an der Wiener Staatsoper verkörpert, in
Berlin, in München unter Sawallisch, bei der
Royal Opera, Covent Garden unter Haitink und
an der MET unter Levine. Letztere Produktion
ist ver.lmt worden.
James Morris ist bei namhaften Festspielen
in Ravinia, Salzburg, Florenz, Edinburgh und
Glyndbourne aufgetreten und arbeitet mit
den weltweit führenden Dirigenten auf den
größten Opernbühnen. Er ist häu.g in Wien
und München zu hören, wo er Don Giovanni,
Scarpia, Philipp, Wotan und Holländer singt.
Er debütierte in La Scala, Mailand unter Muti
als Holländer. Sein neuester Auftritt als Hans
Sachs in Die Meistersinger von Nürnberg bekam
sowohl in San Francisco als auch an der
MET tosenden Beifall.
Neben seinen Ring-Aufnahmen für DG und
EMI beinhaltet James Morris umfassende
Diskographie I Vespri Siciliani, The Beggar‘s
Opera, Parsifal, Cosi fan Tutte, Maria Stuarda,
Aida sowie ein Selbstportrait für EMI.
Apotheose des Tanzes oder Musik fürs
Irrenhaus?
Ludwig van Beethovens 7. Symphonie hat
seit ihrer Uraufführung am 8. Dezember
1813 in Wien die musikalischen Geister lange
Zeit geschieden: Die ersten Kritiker fanden vor
allem den letzten Satz zu wild, zu ungebändigt
und geradezu chaotisch, Carl Maria von Weber
sah hier gar eine Musik fürs „Irrenhaus“,
der glühende Beethoven-Bewunderer Richard
Wagner prägte 1849 das vielzitierte Wort von
der „Apotheose des Tanzes“ und pries die
„seligste Tat der in Tönen gleichsam idealisch
verkörperten Leibesbewegung“ (!), Romain
Rolland erkannte eine „Orgie des Rhythmus“,
Hermann Kretzschmar wiederum das „Hohelied
des Humors“, Paul Bekker diagnostizierte
eine „riesenhafte Temperamentswallung“…
Dennoch war die 7. Symphonie bei der Uraufführung
wesentlich erfolgreicher als die 5.

und 6. an ihrem gemeinsamen (allerdings interpretatorisch
verunglückten) Uraufführungstag
fünf Jahre zuvor. Vielleicht lag das auch
daran, dass in jenem denkwürdigen Konzert
zugunsten der Invaliden aus den Napoleonischen
Kriegen in der Aula der (alten) Universität
Wien, am Marienfeiertag 8. Dezember
obendrein, eine besonders patriotische und
fromme Stimmung geherrscht haben könnte?
Nach Wellingtons Sieg bei Vittoria über den
Korsen lag das Ende einer langen kriegerischen
Ära in der Luft, die Völker atmeten auf,
ein neues Europa sollte nur ein Jahr später
beim Wiener Kongress verhandelt werden.
Grund zu unbändigem Jubel, dem Beethoven
in seiner 7. Symphonie einen Ausdruck verlieh,
der im Publikum verstanden wurde?
Oder war das Uraufführungspublikum nur
ganz einfach froh, nach der infernalischen
Lautstärke der gleichfalls in diesem Konzert
uraufgeführten Beethoven-Schlachtmusik „Wellingtons
Sieg“ – mit ihren massenhaft eingesetzten
kleinen und großen Trommeln, zahlreichen
Pauken und Trompeten und den ohrenbetäubenden,
Gewehrfeuer imitierenden
Ratschen – nun auch „normalere“ Klänge zu
hören? Sicher trugen zum Gelingen der Wiedergabe
auch die zahlreichen illustren Mitwirkenden
bei – die ersten Musiker der Stadt
hatten es sich nicht nehmen lassen, bei dieser
Akademie im Orchester mitzuspielen: die beiden
Hofkapellmeister Salieri und Weigl, die
Komponisten Hummel, Spohr und Meyerbeer,
dazu noch die Musiker Schuppanzigh, Romberg
und Moscheles. Wenn auch nicht alle
von ihnen in der 7. Symphonie mitspielten (die
Schlachtmusik weist eine weit größere Besetzung
auf!), so waren sie doch alle anwesend.
Denn Beethoven war damals bereits der erste
Komponist der Stadt, wenn nicht Europas.
Jedenfalls musste der 2. Satz der Symphonie
gleich wiederholt werden – beredtes Zeugnis
für den guten Geschmack des anwesenden
Publikums.
Goethe hinterließ uns den schönen Satz
„Ein jeder sei auf seine Art Grieche“ und
nannte die 7. Symphonie in diesem Sinne griechisch,
da sie Apollinisches und Dionysisches
ineinander verschmelze. Beethoven, der mit
seiner Musik „Funken aus dem menschlichen
Geist schlagen“ wollte, treibt hier die Kontrastmöglichkeiten
der Symphonie bis ans Äußerste:
Auf den 1. Satz – nach der langsamen
Einleitung zunächst durch den Sechsachtel-
Rhythmus noch schwebend und tänzerisch,
dann immer mitreißender und wilder bis zum
Taumel, zur Tanz-Orgie – folgt im 2. Satz eine
eher verschlossene, träumerische, melancholische
Stimmung , der Tanzrhythmus wird
zu einem kleinen Trauermarsch, einer Elegie,
Schubert´sche Schwermut liegt über dem
Ganzen (in seiner großen C-Dur Symphonie
wird Schubert einen sehr ähnlichen
langsamen Satz komponieren). Der 3. Satz jagt presto
wie ein gespenstischer Nachtreigen dahin,
wird aber im Trio von einem choralhaften Pilgerthema
unterbrochen (angeblich ein sehr
altes österreichisches Wallfahrerlied) – formal
interessant, weil Beethoven das Presto-Thema
nicht nur in der Reprise, sondern noch ein
drittes Mal wiederholt. Als auch der Choral in
der Coda gänzlich ungewohnt noch ein drittes
Mal erklingen will, beenden ein paar wuchtige
Schläge schroff den Satz. Im Finale sprengt
Beethoven alle Dämme: Bacchantische Wildheit
und orgiastische Tanzwut reißen alles in
einem wilden Strom mit sich fort, Siegesfanfaren
tönen in den rhythmischen Wirbelsturm
hinein, die Form wird rücksichtslos über Bord
geworfen, in der Durchführung scheint die
Kühnheit der Gedanken auf die Spitze getrieben,
die Ekstase steigert sich unaufhaltsam,
die Musik kennt kein Halten mehr, lebt nur dem
Augenblick und besitzt deswegen auch eine
so bezwingende, fast erotisierende Wirkung.
Weder vorher noch nachher hat Beethoven
ein solch rauschhaftes Lebensgefühl in Musik
gegossen.
Während des Wiener Kongresses wurde
die 7. Symphonie übrigens wieder gespielt
– am 29. November und 2. Dezember 1814 vor
erlauchten Gästen. Beethoven wird wenig
später Ehrenbürger von Wien, eine hohe Auszeichnung
bis heute. Und die 7. Symphonie
erklingt schon 1816 in Leipzig, 1817 in London,
in Paris wird der 2. Satz wenig später in eine
Aufführung der 2. Symphonie (!) eingeschmuggelt
– anstelle des originalen Larghetto. Die
vollständige Pariser Erstaufführung sollte erst
1829 erfolgen.
Dem jungen Gymnasiasten Richard Wagner
wurde 1829 in Leipzig eine erste Fidelio-
Aufführung zum überwältigendsten Theatererlebnis,
wenig später hörte er auch die
7. Symphonie – und stellte Beethoven fortan
Seite an Seite neben Shakespeare in seine
Ruhmeshalle: „In extatischen Träumen begegnete

ich Beiden, sah und sprach sie; beim
Erwachen schwamm ich in Thränen…“ In
Wagners späterem musikphilosophischen
Denken nahm die 7. Symphonie eine Schlüsselposition
ein: Als „Apotheose des Tanzes“
führe sie die Gattung wieder hinaus aus
dem Bereich der „absoluten“ Musik – in der
9. Symphonie befreie Beethoven dann durch
die Einführung des gesungenen Wortes die
Instrumentalmusik von der ihr innewohnenden
Enge und bereite so den Weg für das
neue musikalische Drama als „Kunstwerk der
Zukunft“. Zeitlebens bewahrte er sich eine besondere
Hochachtung für Beethovens Ouvertüren,
Klaviersonaten, letzte Streichquartette,
den Fidelio und die 7., 8. und 9. Symphonie.
Der Musikdirektor des Leipziger Hoftheaters
Heinrich Dorn bezweifelte, dass „es zu irgend
welcher Zeit einen jungen Tonkünstler gegeben,
der mit Beethovens Werken vertrauter
gewesen wäre, als der damals 18jährige Studiosus
Wagner. Des Meisters Ouvertüren und
größere Instrumentalkompositionen besaß er
größtenteils in eigens abgeschriebenen Partituren;
mit den Sonaten ging er schlafen und
mit den Quartetten stand er auf.“
Als der politische Flüchtling Wagner nach den
Revolutionswirren von 1848/49, an denen er
aktiv teilgenommen hatte, schließlich in Zürich
Asyl fand, ließ er Ehefrau Minna, Hund
Peps und Papagei Papo aus Dresden nachkommen.
Letzterer soll damals noch ständig
Themen aus Beethoven-Symphonien gep
.ffen haben, obwohl Wagner bereits seine
Jugendopern Die Feen und Das Liebesverbot
sowie Rienzi, den Fliegenden Holländer, Tannhäuser
und Lohengrin komponiert hatte… Er
war nun 36 Jahre alt und verfasste in Zürich
zunächst zahlreiche theoretische Schriften
voll radikal politischer Thesen (Die Kunst und
die Revolution, Das Kunstwerk der Zukunft),
aber auch den Prosaentwurf Die Nibelungensage
(Mythus), der schon die gesamte Handlung
der Tetralogie enthielt. Im November 1849
vollendete er die Dichtung zu Siegfrieds Tod.
Seit 1842 hatten die Sagen des deutschen Altertums
und die altgermanische Mythologie
zu seinen liebsten Studienobjekten gehört
– neben den sozial-utopischen und revolutionären
Schriften Bakunins, Proudhons oder
Feuerbachs. 1850 schrieb er die Versdichtung
zu einem zweiten Drama Der junge Siegfried
– ihm war mittlerweile klar geworden, dass er
Siegfrieds Tod nicht ohne entsprechende Vorgeschichte
komponieren könne…
Der Arbeitsprozess am Ring sollte sich
schließlich über 30 Jahre erstrecken. Bis
Ende 1852 war die vollständige Dichtung des
vierteiligen Werks vollendet – von September
1853 bis 1. Januar 1854 komponierte er
Rheingold, anschließend gleich Walküre, die
im März 1856 fertiggestellt wurde. Als nächstes
überarbeitete er den Text des letzten Teils
(Brünnhildes Schlussgesang) der Tetralogie
und änderte den Titel von Siegfrieds Tod auf
Götterdämmerung. Im September desselben
Jahres war der 1. Akt von Siegfried
vollendet, mitten im 2. Akt unterbrach er die Arbeit
jedoch und sollte sie für 12 Jahre (!) ruhen
lassen – ein Unikum in der gesamten Musikgeschichte.
Ihm war klar geworden, dass kein
Opernhaus der Welt seinen „Ring“ aufführen
würde, zudem beschäftigte ihn ein anderes
Projekt immer mehr.
Er hatte 1854 Schopenhauers Hauptwerk
Die Welt als Wille und Vorstellung gelesen,
und das glühende Liebeserlebnis mit der
26jährigen Mathilde Wesendonck, der Frau
seines Freundes und Gönners, hatte noch im
selben Jahr zur Konzeption des Tristan geführt.
Statt feuerspeiendem Drachen, Waldweben
und der „Erweckung“ Brünnhildes zu
neuem Leben taucht Wagner nun ein in die
dunkle Nacht zerstörerischer Liebe und Todessehnsucht.
An Franz Liszt schrieb er, er
habe seinen Siegfried in die Waldeinsamkeit
geleitet, ihn dort „unter der Linde gelassen
und mit herzlichen Tränen von ihm Abschied
genommen“.
1859, im Jahr nach der Trennung von Mathilde
Wesendonck, vollendet er Tristan, das
„klassische opus metaphysicum der Kunst“
(Thomas Mann). Doch noch immer kehrt er
nicht zum Siegfried zurück. Jetzt drängt es
ihn plötzlich nach einer komischen Oper und
es entstehen ab 1861 Die Meistersinger von
Nürnberg, die er jedoch erst 1867 beenden
kann. 1864/65 hatte er lediglich den 2. Akt des
Siegfried fertiggestellt. Dann wird 1865 der
Tristan in München uraufgeführt, 1868 folgt
die Uraufführung der Meistersinger, ebenfalls
in München. Im November zieht Cosima, seit
fünf Jahren seine Geliebte und Mutter zweier
gemeinsamer unehelicher Kinder, endgültig
zu ihm nach Tribschen bei Luzern – und nun
nimmt er im März 1969 endlich die Komposition
des 3. Aktes von Siegfried auf. Die von
ihm nicht gebilligten Uraufführungen von
Rheingold und Walküre durch König Ludwig
II. 1869 bzw. 1870 in München verzögern die
Fertigstellung des Siegfried noch einmal.
(1870 schreibt er noch eine Festschrift Beethoven
und die deutsche Nation anlässlich
des Beethoven-Jahres). Erst im Februar 1871
vollendet er das Siegfried-Finale. (Drei Jahre
später beendet er die gesamte Ring-Partitur
mit der Fertigstellung der Götterdämmerung
am 21. November 1874 im Haus Wahnfried in
Bayreuth.)
Waren große Passagen im 1. und 2. Akt
des Siegfried als Kontrast zum tragischen Finale
der Götterdämmerung bewusst burlesk
und komödiantisch gehalten, so merkt man
der Musik des 3. Aktes mit ihrem dunklen
Pathos und der geballten motivischen Dichte
doch den stilistischen Bruch an: Die 12 Jahre
lange Unterbrechung, vor allem aber das Tristan-
Erlebnis haben zweifellos Spuren hinterlassen.
Grandios gelingt Wagner jedoch die
Verknüpfung aller seit dem Rheingold bekannten
Leitmotive, die musikalischen Naturschilderungen
sind auch hier von großer Poesie,
das Orchester wird noch einmal zum psychologischen
Vollstrecker der Handlung, zum
wirklichen Helden – und im fast halbstündigen
Schlussduett Siegfrieds und Brünnhildes gerät
Wagner in eine erotische Liebes-Ekstase,
die jene andere Ekstase aus dem fernen Finale
von Beethovens 7. Symphonie mit anderen,
unerhörten Mitteln fortsetzt.
Andrea Seebohm
Fotos: Stefan Rakus