Die Singphoniker
Christoph Hammer
Die Sehnsucht eines Königs
Ludwig I. von Bayern (1786–1868),
die Romantik und Schloss Runkelstein
Die Wahl, auf Schloss Runkelstein bei
Bozen (Südtirol) eine temporäre Ausstellung
über den Bayernkönig Ludwig I. (1786–
1868) zu gestalten, beruhte auf dem Vorhandensein
eines verschollen geglaubten Gästebuches
der Jahre 1833 bis 1862, welches als
Ersteintragung den Besuch des Königs am 3.
Juni 1833 beinhaltet. Dieses Verzeichnis mit
insgesamt 2.000 Eintragungen stellt eines der
wichtigsten Dokumente der Runkelsteiner
Burggeschichte des 19. Jahrhunderts dar.
Darüber hinaus ist es ein Beleg für den intellektuellen
Austausch zwischen Nord und Süd
im Zeitalter der Romantik. Was bewegte König
Ludwig I. von Bayern das trutzige, hoch auf
einem Porphyrfelsen gelegene und mit dem
weltweit größten, noch erhaltenen, profanen
mittelalterlichen Freskenzyklus geschmückte
Schloss zu besuchen? Ein Tagebuchhinweis
des Königs beantwortet diese Frage:
„…als
ich zurück von Runkelstein kam wohin ich
ging Wandgemälde zu sehen. Görres, so
wurde mir gesagt, hielt dafür dass sie das
Nibelungenlied wären, die Namen Tristan etc.
bezeugen das Gegenteil…“ So ist festzuhalten,
dass der eilige Besuch Ludwigs I. auf
einem Missverständnis beruhte, denn er
glaubte den Nibelungenring vorzufinden, welcher
sich als der Tristanzyklus entpuppte.
Doch dieser Besuch 1833, dem ein zweiter
1841 folgte, bedeutete für das im Jahre 1237
erbaute und im 14. Jahrhundert bebilderte
Runkelstein ein Erwachen aus einem Dornröschenschlaf.
Die Begeisterung der Romantiker
für Burgen, insbesondere für Runkelstein,
folgte aus einer neuen Rezeption der vergangenen
Jahrhunderte. Auf der Suche nach
einer neuen „teutschen“ Identität erachtete
man das Mittelalter als den idealen Zustand
des Abendlandes in welchem die Kunst und
Kultur Europas verwurzelt war.
Obwohl für den König Ludwig I. von Bayern,
sowie zur Zeit als Kronprinz, Tirol zwischen 1804
bis 1867 eigentlich nur Durchgangsland für seine
Ziele in Venedig, Florenz und Rom war, erfüllte
die nachfolgende Welle der Besucher des 19.
Jahrhunderts die Burg mit neuem Leben und
führte letztendlich durch den neugewonnenen
Bekanntheitsgrad auch zu seiner Restauration
durch Friedrich von Schmidt in den Jahren
1884–1888 im Auftrag des neuen Besitzers
Kaiser Franz Joseph von Österreich, welcher
dann im Jahre 1893 Schloss Runkelstein der
Stadt Bozen schenkte und welches sich bis
heute in ihrem Besitz befindet.
Auch, wenn nachweislich die Besuche von
Ludwig I. auf Runkelstein nur kurz waren, so
mindert die Kürze der Zeit sicherlich nicht die
Intensität seiner Erfahrung, denn beim zweiten
Besuch am 24. Mai 1841 machte sich der König
sogar zu Fuß auf den Weg nach Runkelstein,
dessen zauberhafte Bilderwelt und einzigartiges
Zeugnis der großen mittelalterlichen Kultur
unseres Kontinentes anschließend von vielen
nachfolgenden Künstlern studiert und kopiert
wurde, wie ein Entwurf von 1880 (Georg Dehn)
zu einem neuen Schlafgemach für Schloß
Neuschwanstein mit vielen Freskenmotiven
von Runkelstein für König Ludwig II. von Bayern
beweist.
Die „Spuren“, die Ludwig I. von Bayern
hinterließ, finden sich nicht nur in der Erinnerung
an ihn als beherzten Widersacher von Napoleon
Bonaparte und Sympathisant des Tiroler und
griechischen Freiheitskampfes, als Förderer
und Mäzen der Künste, als Bauherr, der das
Stadtbild von München prägte und der München
zu einem europäischen Zentrum von Kunst
und Wissenschaft machte, sondern auch als
glühenden Verehrer des schönen Geschlechts.
Darüber hinaus führen diese Spuren zu
Ludwig I. als Bewahrer der Geschichtszeugnisse,
wie es Herr Prof. Dr. Hubert Glaser
in seinem Artikel zu dem Begleitbuch der Ausstellung
beschreibt.
Auch, wenn das Weltbild von König Ludwig I.
von Bayern vom Wandel der Zeit neu gezeichnet
wurde, so ist jedoch seine Aussage:
„Was
auf Bewußtseyn ruht, blos sicher stehet…“
auch der Schlüssel für eine sichere Zukunft
der heutigen Generation.
Für das Zustandekommen dieser CD im Rahmen
der temporären Sonderausstellung über
Ludwig I. von Bayern auf Schloss Runkelstein
möchten wir im folgenden sehr herzlich danken:
den großzügigen Sponsoren der Projekte von
Schloss Runkelstein, dem Bayerischen Rundfunk
und der Musikproduktion Dieter Oehms
GmbH für die Produktion der CD und vor allem
den Künstlern, dem Ensemble „Die Singphoniker“
und Herrn Christoph Hammer, sowie Helmut
Balk und Margret Madelung, den privaten
Leihgebern des originalen Hammerflügels
(der wohl ursprünglich 1815 für die Münchner
Residenz gebaut wurde) von Gregor Deiss,
aber auch ganz besonders Herrn Dr. Gunter
Joppig, Leiter des Musikinstrumentenmuseums
des Münchner Stadtmuseums, für die kooperative
und erfolgreiche Zusammenarbeit.
Abschließend noch herzlichen Dank für die
organisatorische Mitarbeit an Frau Katja
Luterotti und Frau Hannelore Schettler.
Univ. Doz. DDr. Helmut Rizzolli
Stadtrat der Stadtgemeinde Bozen für
Wirtschaft, Tourismus, Schlösser
Runkelstein und Maretsch
André Bechtold
Projektleiter der Schlösser
Runkelstein und Maretsch
Ludwig I. als vertonter Dichter
Von frühester Jugend an hatte Ludwig
damit begonnen, seine Gedanken und
Beobachtungen in Verse zu fassen, vielleicht
um – wie einige Biographen vermuten – sein
Stottern zu kompensieren. Sein Vater Max
Joseph, Pfalzgraf von Zweibrücken-Birkenfeld
und Befehlshaber eines französischen
Regiments zum Zeitpunkt von Ludwigs Geburt
am 25. August 1786, wurde in der Nachfolge
von Karl Theodor 1799 Kurfürst von Bayern
und übernahm die Regimentsgeschäfte in
München, allerdings nicht ohne seinen Berater
aus pfalzgräflichen Zeiten, den Freiherrn
von Montgelas. Obwohl dem leutseligen Max
Joseph stets eine intellektuelle Schlichtheit
nachgesagt wurde, ließ er seinem Sohn eine
gediegene Ausbildung an den Universitäten
Landshut und Göttingen zuteil werden, die
dieser von 1803 an besuchte. Neben Staatsrecht
und Geschichte wurden vor allem
moderne Sprachen studiert, deutsche
„Theaterstücke
ins Französische, französische Lustspiele
ins Spanische (übersetzt), ferner russische,
englische und italienische Sprachübungen
(gepflegt). Vor diesem mit größtem
Eifer und Erfolg betriebenen Studium der
modernen Sprachen traten jedoch die antikklassischen
Sprachen, das Lateinische und
Griechische, mehr zurück, die er erst später
als Kronprinz aus eigenem Antrieb und mit
staunenswerter Ausdauer sich aneignete.
Daneben wurde auch Musik und Zeichnen
betrieben und die militärische Ausbildung keineswegs
vernachlässigt. (…) Und so erhielt
denn Kurprinz Ludwig eine sorgfältige wissenschaftliche
Ausbildung, wie sie in dieser
umfassenden Vielseitigkeit bis dahin noch
kein bayerischer Monarch genossen hatte.“ 1
Die sich anschließenden immer wiederkehrenden
Italienreisen vertieften und festigten
seine Eindrücke und ließen den nunmehrigen
Kronprinzen zu einem bedeutenden Kunstsammler
werden, nachdem Bayern durch
Napoleon 1806 zum Königreich erhoben worden
war. Während der Kronprinz in Opposition
zum Königtum und zur Landespolitik seines
Vaters Max I. Joseph im Zeitraum von 1808 bis
1820 die drei Schauspiele „Otto“, „Teutschlands
Errettung“ und „Conradin“ niederschrieb,
die er allerdings nie zum Druck freigab
2,
veröffentlichte König Ludwig I. – er
hatte 1825 die Nachfolge seines Vaters angetreten
– nach längerer Vorbereitung Anfang
März 1829 einen ersten Band seiner Gedichte
in einer Auflage von 1500 Exemplaren. Johann
Peter Eckermann (1792–1854) besuchte am
8. April 1829 Johann Wolfgang von Goethe
(1749–1832), der soeben einen Brief Ludwigs I.
aus Rom erhalten hatte. Eckermann notierte:
„Ich wollte nur,“ fuhr Goethe fort,
„daß des
Königs ,Gedichte’ jetzt da wären, damit ich in
meiner Antwort etwas darüber sagen könnte.
Nach dem Wenigen zu schließen, was ich von
ihm gelesen, werden die Gedichte gut sein. In
der Form und Behandlung hat er viel von
Schiller, und wenn er nun in so prächtigem
Gefäße uns den Gehalt eines hohen Gemüths
zu geben hat, so läßt sich mit Recht viel Treffliches
erwarten.“ 3 Goethe äußerte sich in
seinem Antwortschreiben vom 13. April 1829
über den Gedichtband gegenüber seinem
Gönner in devoter Haltung:
“Die Gabe der
Dichtkunst hat das eigene besonders darin,
daß sie den Besitzer nötigt, sich selbst zu enthüllen.
Dichterische Äußerungen sind unwillkürliche
Bekenntnisse, in welchen unser
Inneres sich aufschließt und zugleich unsere
Verhältnisse nach außen sich ergeben.“ 4
Dagegen spottet Heinrich Heine (1797–1856),
der aus seiner politischen Gegnerschaft keinen
Hehl macht, in dem folgenden Vierzeiler:
„Herr Ludwig ist ein großer Poet,
Und singt er, so stürzt Apollo
Vor ihm auf die Knie und bittet und fleht:
,Halt ein! Ich werde sonst toll, o!’“ 5
Immerhin würdigt die Literaturwissenschaft
noch im 20. Jahrhundert die
Begeisterung
Ludwigs I. für die Antike:
„Als Hauptvertreter
des Philhellenismus in der deutschen
Lyrik sind König Ludwig I von Bayern (1786 –
1868), die beiden Schwaben Wilhelm Waiblinger
in eigenen ,Lieder der Griechen’ (1823)
und Gustav Pfizer, Heinrich Stieglitz, vor allen
aber der schon 1827 als erst Dreiunddreißigjähriger
verstorbene Dessauer Gymnasiallehrer
Wilhelm Müller zu rühmen.“ 6 Das
starke Interesse, dass der erste Gedichtband
Ludwig I. in der Öffentlichkeit hervorrief, veranlasste
den Münchner Hofmusikalienhändler
Sebastian Pacher schon im selben Jahr
1829 in dem von ihm 1827 übernommenen
Musikverlag Falter & Sohn Gedichte Seiner
Majestät des Königs Ludwig von Bayern herauszugeben
in Vertonungen von Komponistinnen
und Komponisten aus dem Umfeld des
Königs und des Verlegers. Joseph Hartmann
Stuntz (1793–1859) war von 1825–1837 Hofkapellmeister
unter Ludwig I. Franz Lachner
(1803–1890) hatte von 1836 an bis 1867 die
Position eines Generalmusikdirektors an der
Hofkapelle inne. Beide galten auch als renommierte
Komponisten. Leopold Lenz (1803–1862)
hatte in Berlin eine Ausbildung als Baritonsänger
erhalten und wurde bereits in jungen
Jahren in München zunächst als königlicher
Hofkapell- und Theatersänger engagiert und
stieg 1841 zum Regisseur der königlichen
Oper auf, 1846 zum Professor für Gesang am
Münchner Konservatorium ernannt, trat er
1848 von der Bühne ab und wirkte zurückgezogen
nur noch als Privatgesangslehrer. Als
Tenor trat auch von 1818 an Franz Xaver Löhle
(1792–1837) in der Hofoper auf, leitete von
1828–1834 den Münchner Liederkreis und
widmete sich nach seiner Pensionierung dem
Sängernachwuchs. Georg Mittermayr (1783–?)
genoss als Bass und Schauspieler einen gleichermaßen
legendären Ruf. 1805 zum Hofsänger
ernannt wurde er im darauf folgenden
Jahr auch am Königlichen Hoftheater in München
angestellt. Joseph Xaver Brauchle ist
lexikalisch lediglich nachweisbar als
„ein
Tonkünstler, welcher aus Bayern gebürtig
war und um 1820 in Wien, um 1830 in München
lebte, wo er auch gestorben zu sein
scheint. Seine Gattin hatte den Ruf einer trefflichen
Harfenspielerin.“ 7 Elise Brauchle geb.
Dreßler trat 1828 in Georg Schinn (1768–1833)
war Kompositionsschüler von Michael Haydn
in Salzburg und wurde am 2. September 1808
„Wals Hofmusikus bei der Alt-Viole im Königl.
Orchester zu München angestellt“ 8 nachdem
er drei Probespiele auf der Violine, der Flöte
und der Bratsche abgelegt hatte. Bemerkenswert
ist weiterhin, dass sich auch zwei Komponistinnen
an den Huldigungsvertonungen
beteiligten. Von Nanette Huber erschienen
1822 als Opus 1 Variations pour Pianoforte im
Verlag Falter & Sohn in München, was darauf
schließen lässt, dass sie eine gewandte Klavierspielerin
war. Josephine Lang (1815–1880)
wurde in München geboren und galt als pianistisches
Wunderkind. Sie erhielt von
Mendelssohn-Bartholdy Kompositionsunterricht
und veröffentlichte mehr als 30 Liedersammlungen.
1807 erhielt sie in München eine
Anstellung als Hofschauspielerin. Donat Müller
(1804–?) wirkte in Augsburg als Musikdirektor
an verschieden Kirchen. Die interessanteste
Persönlichkeit ist zweifellos der Franz Graf
von Pocci (1807–1876) mit vielen Talenten versehen,
als Dichter, Zeichner, Puppenspieler
und Musiker gleichermaßen begabt, wurde
der „Kasperl-Graf’ von Ludwig I. 1830 zum
Zeremonienmeister und 1847 zu seinem Hofmusikintendanten
ernannt. Robert Schumann
bemerkte über zwei seiner Klaviersonaten:
„der Herr Graf hat sehr viel Talent, aber wenig
studiert“ 9, während er den zwölf Etüden von
Adolphe Henselt (1814–1889) in seiner Kritik
von 1838 bescheinigt:
„So sind wir denn um
ein treffliches Werk reicher und selten werden
wohl die Meinungen über den Wert einer
Erscheinung sich so ungeteilt aussprechen.“ 10
1) Hans Reidelbach: König Ludwig I. von Bayern und
seine Kunstschöpfungen zu allerhöchst dessen hundertjähriger
Geburtstagsfeier geschildert, München
1888, S. 17
2) Erstveröffentlichung: Schauspiele von König Ludwig
I. aus der Handschrift übertragen und bearbeitet von
Ursula Huber, herausgegeben von Johannes Erichson
in: „Vorwärts, vorwärts sollst du schauen“ .
Geschichte, Politik und Kunst unter Ludwig I. Bd. 3,
München 1986
(= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte
und Kultur Nr. 10/86 hrsg. von Claus Grimm)
3) Ludwig Trost: König Ludwig I. von Bayern in seinen
Briefen an seinen Sohn, den König Otto von Griechenland.
Bamberg 1891, S. 101
4) Egon Caesar Conte Corti: Ludwig I. von Bayern, München
1937, S. 342
5) Dass. S. 341
6) Friedrich Vogt und Max Koch: Geschichte der Deutschen
Literatur von den ältesten Zeiten bis zur
Gegenwart. Dritter Band. Leipzig und Wien 1920, S. 91
7) Mendel-Reissmann: Tonkünstlerlexikon, Band 2, S.
173
8) Felix Joseph Lipowsky: Baierisches Musik-Lexikon,
S. 308
9) Robert Schumann: Gesammelte Schriften über Musik
und Musiker hrsg. von Dr. Heinrich Simon, Erster
Band, Leipzig 1888, S. 113
10) dasselbe, Zweiter Band, S. 145
Gunther Joppig