Bertrand de Billy Dirigent
Vienna Radio Symphony Orchestra
Wiener Singakademie · Heinz Ferlesch Choreinstudierung
Marta | | Lisa Gasteen Sopran |
Pedro | | Johan Botha Tenor |
Sebastiano | | Falk Struckmann Bariton |
Tommaso | | Kwangchul Youn Bass |
Nuri | | Adriane Queiroz Sopran |
Nando | | Raymond Very Tenor |
Moruccio | | Jochen Schmeckenbecher Bariton |
Pepa | | Anna Maria Pammer Sopran |
Antonia | | Béatrice Petitet-Kircher Mezzosopran |
Rosalia | | Ulrike Pichler-Steffen Alt |
Tiefland - Die Handlung
Vorspiel:
Pedro lebt völlig abgeschieden in den Bergen
und hütet die Tiere des Großgrundbesitzers
Sebastiano. Nur hin und wieder trifft er auf
den Hirten Nando, dem er von seiner Sehnsucht
nach einer Frau erzählt. Völlig überraschend
erscheint Sebastiano in Begleitung
des Dorfältesten Tommaso und der schönen
Marta. Sebastiano hat Marta, von ihrer Schönheit
überwältigt, einst als Bettelkind aufgenommen
und zu seiner Geliebten gemacht.
Ihrem Ziehvater überantwortete er die Mühle.
Nach dessen Tod will Sebastiano nun Marta
mit Pedro verheiraten. Im Stillen meint er,
dadurch auf sein Gewohnheitsrecht an dem
Mädchen nicht verzichten zu müssen. Pedro
ist überglücklich, eine schöne Frau und die
Mühle im Tiefland zu bekommen. Froh und
dankbar gegen Gott nimmt er Abschied von
den Bergen.
1. Akt:
Im Dorf blüht der Klatsch über Martas bevorstehende
Heirat. Die kleine Nuri klärt die
anderen Mädchen über die Identität des
Bräutigams auf. Marta schenkt nur der
unschuldigen Nuri Vertrauen und gesteht ihr
die Verbindung zu Sebastiano und ihre Verbitterung
über die ihr aufgezwungene Hochzeit.
Der alte Tommaso erfährt in der Zwischenzeit
vom intriganten, aber bestens informierten
Morruccio die wahren Beweggründe Sebastianos:
Dieser sei aus seinen hohen Schulden
nur durch die Verehelichung mit einer reichen
Frau zu retten und versucht daher dem Tratsch
über seine Verhältnis mit Marta entgehen.
Tommaso, entsetzt, will Sebastiano zur Rede
stellen, erntet aber nur Hohn und Spott.
Marta willigt zwar in die Trauung ein, zeigt
ihrem frisch angetrautem Ehemann aber die
kalte Schulter. Pedro schenkt ihr einen Taler,
den er von Sebastiano erhalten hat, nachdem
er unter Lebensgefahr einen Wolf getötet hatte.
Als Marta erkennt, dass Pedro nichts von ihrer
Vergangenheit ahnt, versinkt sie in tiefe Verzweiflung.
Ein Licht flackert in Martas Zimmer
auf: Sebastiano signalisiert damit, dass er sie
auch in ihrer Hochzeitsnacht besitzen will.
2. Akt:
Pedro gesteht Nuri seine Verwirrung. Das
seltsame Verhalten aller Dorfbewohner läßt
ihn ahnen, dass ihm etwas verschwiegen wird.
Er hat Sehnsucht nach der reinen Welt seiner
Berge. Marta beichtet dem alten Tommaso
ihre Schuld und die aufkeimende Liebe zu
Pedro. Tommaso redet ihr zu, dem Ehemann die
Wahrheit zu sagen. Pedro, der sie liebt, verzeiht
ihr und will mit ihr gemeinsam in die
Berge fliehen. Da stellt sich ihnen Sebastiano
in den Weg. Als Herr befiehlt er Marta zu tanzen.
Pedro, der sich auf ihn stürzt, wird vom Gesindel
hinausgeworfen. Erst als der alte Tommaso
berichtet, er hätte Sebastianos Geldheirat
verhindern können, indem er dem
Brautvater die Wahrheit über Sebastiano
erzählt habe, wendet sich das Blatt. Pedro
hört die Hilferufe Martas und fordert den
Herrn zum Zweikampf. Wie er den Wolf mit
bloßer Hand getötet hat, erwürgt er nun
Sebastiano. Der Weg des Paars in die Berge
ist frei.
Eugen d´Albert: Tiefland
Eugen d´Alberts Tiefland stellt das Unikum
einer erfolgreichen veristischen Oper aus
Deutschland dar. Die Stilrichtung des Verismo
von ital. vero, wahr) hatte sich unter dem Einfluß
des Naturalismus im Drama, der Literatur und
der bildenden Kunst in Italien seit der Mitte des
19. Jahrhunderts etabliert und zeitigte im Land
ihrer Entstehung auch musikalische Folgen.
Schonungslos und drastisch wollten die
Künstler die Wirklichkeit abbilden. Ausgehend
von den Vorbildern Ponchielli und Catalani
schufen die Mitglieder der sogenannten „Giovane
Scuola“ (Mascagni, Leoncavallo, Giordano
und Cilèa) einen durchaus eigenständigen
musikdramatischen Ton, der mit den vielgespielten
„Opernzwillingen“ Cavalleria rusticana
und I pagliacci einen Höhepunkt erreichte.
Zu jener Zeit, als auch Giacomo Puccini zumindest
in einigen Szenen seiner erfolgreichen
Opern auf veristische Kunstmittel zurückgriff,
bedientes sich ihrer auch der in der Wagner-
Tradition aufgewachsene Eugen d´Albert.
Am 10. April 1864 in Glasgow geboren, hatte
d´Albert doch italienische Wurzeln. Die Familie
hieß ursprünglich Alberti. Sein Großvater
François Bénédicte d´Albert war, daher die
französische Namensschreibung, Adjutant
Napoleons I., trat im damals französisch
besetzten Altona sehr für die Deutschen ein
und nannte sich in der Regel Franz d´Albert.
Sein Sohn Charles Louis Napoléon war musikalisch
talentiert und von Friedrich Wilhelm
Michael Kalkbrenner zum Pianisten ausgebildet.
Er war später Tanzkorrepetitor und schrieb für
die Londoner Covent Garden Oper auch Ballettmusiken.
Der Ehe mit der Engländerin Annie
Rowell entstammte Eugen, der sein Lebtag
schlecht Englisch sprach und sich stets als
Deutscher gefühlt hat. In Paris nannte man
ihn „le petit allemand“.
Musikalisch war Eugen d´Albert Autodidakt,
lediglich vom Vater ein wenig unterrichtet.
Doch bereits im Alter von 10 jahren erspielte
er sich eine Freistelle an der Neuen Musikschule
in London, deren Direktor Englands
berühmtester Operettenkomponist, Arthur
Sullivan, war. Anton Rubinstein, Hans Richter
und andere setzten sich für das Wunderkind
ein, Franz Liszt verglich ihn mit dem frühverstorbenen,
legendären Pianisten Carl Tausig
und gab ihm Unterricht.
D´Alberts Interpretationen von Werken
Beethovens und Bachs (in kühnen eigenen
Arrangements) galten als herausragend in
jener Zeit. Nicht nur dem Pianisten, auch dem
Komponisten d´Albert schlug zu Lebzeiten
hohe Wertschätzung entgegen. Zumindest
zwei seiner Opern, Tiefland und Die toten
Augen, blieben lange Zeit Fixbestand des
europäischen Opernrepertoires. Beide sind in
ihrer veristischen Grundtendenz als Abkehr
von der in Deutschland damals übermächtigen
stilistischen Prägung durch Richard Wagner
zu verstehen, von der sich d´Albert auch mit
einigen subtilen musikalischen Komödien, vor
allem mit der in der Ära Friedrichs des Großen
angesiedelten Opera buffa Flauto solo entfernte.
Der lockere Parlandoklang dieser Komödie
hielt auch in d´Alberts meistgespieltes Werk,
Tiefland, Einzug, färbt dort jedoch nur jene
Genreszenen, die von den kichernden und
klatschenden Mädchen getragen werden. Das
dieserart aufgelockerte Werk steht insgesamt
jedoch (trotz gelegentlicher Wagnerismen)
deutlich im Bannkreis Pietro Mascagnis und
seiner Cavalleria. Die scharf geschnittenen
Bilder der Handlung zeichnet die Musik in veristischer
Manier mit klaren, leicht fasslichen
Klangbildern nach. Psychologische Feinzeichnung
ist nicht unbedingt die stärkste Komponente
von d´Alberts Kunstfertigkeit. Wo diese
gefragt wäre, etwa bei der verschlagenen
Szene zwischen Moruccio und Tommaso im
ersten Akt, zieht sich der Komponist auf einen
verhältnismäßig undifferenzierten Rezitativ-
Ton zurück. Große Momente entwickeln sich
hingegen in den Augenblicken inniger Selbstbetrachtung
– voran in den Monologen Martas –
und ganz speziell in den aufgepeitschten
Erzählungen und Dialogen. Hier arbeitet d´Albert
virtuos mit prägnanten Einzelmotiven, die er
durch meisterhafte Repetitions- und Variantentechnik
zu aufregenden Ballungen führt. Was
später Leos Janacek in seinen revolutionären
Stücken perfektionieren wird, scheint hier
bereits vorgebildet, wenn auch noch im Frühstadium.
Von Janaceks raffinierten Metamorphosen,
die ein Motiv durch vollkommene
Umformung geradezu in sein Gegenteil verkehren
können, ist d´Albert weit entfernt. Bei
ihm ist es gerade die simple Wiedererkennbarkeit
der Klänge, die diesen ihre dramaturgische
Schlagkraft verleiht. Sowohl die leidenschaftliche,
Marta zugedachte Streicherfigur
als auch das Wolfsmotiv Pedros oder die
scharfkantigen Akkorde Sebastianos sind dermaßen
einprägsam und gut erfunden, daß sich
auch beim erstmaligen Hören die richtigen
Assoziationen einstellen.
Die Technik, einzelne Szenen mit einem
einzigen beherrschenden Grundmotiv zu
gestalten, verleiht der Tiefland-Musik bei all
ihrer spontanen Reaktion auf die dramatischen
Vorgänge Struktur und Halt. Immer wieder,
etwa in der großen, entscheidenden Auseinandersetzung
zwischen Marta und Sebastiano,
rundet sich die Form durch klar abgegrenzte
Themenblöcke und unüberhörbare Reprisenbildungen
über große Strecken.
Womit der dauerhafte Erfolg des Werks
erklärbar scheint, denn es ist d´Albert gelungen,
alle Unmittelbarkeit, alle naturalistischen Effekte
in größere Einheiten zu fassen und so seine
Oper vom Vorwurf des allzu improvisatorischen
Gestus freizuhalten.
Allerdings stellte sich die breite Zustimmung
zu Tiefland nicht sofort ein. Die Uraufführung
am 15. November 1903 im Deutschen Theater
Prag war zwar mit 42 Vorhängen ungewöhnlich
heftig umjubelt, blieb aber zunächst folgenlos.
Damals war die Handlung noch in drei
Akte unterteilt. Auf Zureden des einzigen Verlegers,
der bereit war Tiefland zu drucken,
arbeitete d´Albert die Oper um und gab ihr die
heute bekannte Gestalt. Es folgte eine wiederum
höchst erfolgreiche Wiederaufführung
in Magdeburg. Aber erst die Premiere an der
Komischen Oper Berlin brachte den Durchbruch. Hans Gregor, Chef des jüngsten Berliner
Opernhauses, hatte sich zuvor bereits mit
großem Nachdruck für die damals keineswegs
häufig aufgeführten Opern Mozarts und für
zeitgenössische Komponisten eingesetzt. Mit
Tiefland gelang ihm 1907 ein Sensationserfolg.
Ab diesem Zeitpunkt waren die Hauptpartien
von Tiefland Lieblingsrollen etlicher bedeutender
Sänger. So sang Annie Krull, Richard
Strauss´ erste Elektra, die Marta, so liebte
Richard Tauber den Pedro, Emmy Destinn
sang die erste amerikanische Marta an der
New Yorker Metropolitan Opera, wo Erik
Schmedes der Pedro war. Schmedes hatte den
Pedro zuvor bereits anläßlich der Wiener
Erstaufführung an der Seite von Marie Gutheil-
Schoder und Leopold Demuth gesungen.
Jahrzehntelang hielt sich Tiefland dann,
meist prominent besetzt, auf den Spielplänen
der großen Opernhäuser, sodaß der Zufall des
öfteren dazu führte, daß große Sänger ihre
ersten Bühnenerfahrungen in Aufführungen von
Tiefland sammelten. Die nachmalige Wagner-
Heroine Kirsten Flagstad feierte ihr Debüt in
Oslo als Nuri! Und für Maria Callas war unmittelbar
nach ihrem Einstand als Tosca in Athen
die Marta die zweite Partie ihres Lebens.
Wilhelm Sinkovicz