Klassik  Soloinstrument  Klavier
Hélène Tysman Frédéric Chopin: Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 35 - 24 Preludes op. 28 OC 752 CD
1 Stück sofort lieferbar. Lieferung bis Mittwoch, 14. Mai 2025 Preis: 12,99 EURO

Detailinformationen weniger

FormatAudio CD
BestellnummerOC 752
Barcode4260034867529
LabelOehmsClassics
Erschienen am18.03.2010
Verkaufsrang17434
Mitwirkende/rMusiker Komponist/en
  • Chopin, Frédéric

Hersteller/EU Verantwortliche Person

Hersteller
  • UnternehmensnameNAXOS DEUTSCHLAND Musik & Video Vertriebs-GmbH
  • AdresseGruber Straße 46b, 85586 Poing, DE
  • e-Mailinfo@naxos.de

Presseinfosweniger

Weitere Veröffentlichungen des Künstlersweniger

    Das könnte Sie auch interessierenweniger

      Beschreibung weniger

      Frédéric Chopin
      Klaviersonate Nr. 2 b-Moll op. 35 · 24 Préludes op. 28
      Hélène Tysman, Klavier


      Der lesenswerte Booklettext zu dieser CD versucht, den eigenen Reiz, den die Chopin-Interpretationen der französischen Pianistin Hélène Tysman ausmachen, in Worte zu fassen. Noch empfehlenswerter ist es jedoch, diese CD einfach anzuhören, und schon nach kurzer Zeit wird der Hörer von einer besonderen Faszination ergriffen, eine eigentümlich innere Kraft ist dem Spiel dieser 27jährigen Pianistin eigen. Sie studierte bei Bruno Rigutto am Conservatoire National de Paris, sowie bei Pierre-Laurent Aimard (Köln), Oleg Maisenberg (Wien) und Grigory Gruzman (Hamburg und Weimar). Obwohl die hier aufgenommenen Werke zum vielgespielten pianistischen Standardrepertoire gehören, gewinnen sie doch bei Hélène Tysman eine persönliche Aussage, eine subtile Energie, die das Programm besonders hörenswert machen.

      Seit jenem denkwürdigen Samstag im Oktober 2005, als wir das Glück hatten, in Warschau zum ersten Mal Hélène Tysman Chopin spielen zu hören, bis Anfang 2008, als wir gemeinsam beschlossen, diese CD aufzunehmen, schien dieses Projekt nicht rationalisierbar. Wie kommt es, dass eine Künstlerin, eine Interpretation, ein Gefühl sich einem so aufdrängen, dass man den Alltag beiseite schiebt und seine Energie für diese junge Pianistin einsetzt, der es daran gewiss nicht mangelt?

      Vielleicht erlauben es die der Aufnahme begeistert gewidmeten Stunden, das Geheimnis ein wenig zu lüften: Warum Hélène Tysman? Warum Chopin?

      Auch wenn Chopins Zeit nicht arm war an Virtuosen (denken wir nur an Czerny, Moscheles, Kalkbrenner, Thalberg, Liszt und natürlich Heller, Alkan und auch Gottschalk), so ist der polnische Komponist dennoch der einzige, dem es gelungen ist, eine bleibende Spur zu hinterlassen, die 50 Jahre später Debussy ermöglichte 1. Worin besteht Chopins Leistung? Da ist einmal das in seiner Weite und Modulationsvielfalt einzigartige Tongewebe (Cortot sprach von Moiré, einer wellenförmig schimmernden Seide), aber auch eine Freiheit der Phrasierung (es ist, als bemächtigte sich der Atem der Zeit – rubato: gestohlene Zeit! –, damit man sie umso mehr schätzt), die allerdings mehrere Generationen von Interpreten zu den berüchtigten Übertreibungen veranlasste. Dann ein musikalisches Genie, das sich bei Veranstaltungen im Freundeskreis besser zu entfalten weiß als bei den artistischen Konzerten, wie sie Liszt bevorzugte. Dann ein für seine Zeit (ich wollte „Jahrhundert“ schreiben) ungewöhnlicher Mut: Hiervon zeugt das im wörtlichen Sinne „unerhörte“ Finale der b-Moll-Sonate. Und schließlich und in erster Linie eine absolute Strenge, wie sie in ausgezeichneter Weise die 24 Préludes kennzeichnet, deren Rückgriff auf Bach schon oft nachgewiesen wurde. Ihr Aufbau, der dem Quintenzirkel der Harmonielehre folgt, spricht für eine große Neigung zur Komplexität.

      Aber da gibt es noch etwas anderes: 1996 erwähnt André Boucourechliev in seinem faszinierenden Buch „Regard sur Chopin“, das er kurz vor seinem Tod verfasst hat, die blue notes, die der Komponist in seine Préludes eingestreut hat. Jean-Jacques Eigeldinger hat diesem „blauen Ton“ im Prélude Opus 45 ein ganzes Kapitel seines Buches über das „Univers musical de Chopin“ gewidmet. Er zitiert den (hier als Motto vorangestellten) Text von George Sand, in dem die Schriftstellerin, die auch die Rolle der Geliebten und Mutter spielte, den synästhetischen Vergleich wagt, der schon ein wenig impressionistische DNA enthält – Jazzliebhaber haben bestimmt das ikonische Label Blue Note bemerkt… Aber was hat das alles mit Hélène Tysman zu tun?

      Ihr ist es gelungen, unseren Ohren die Stimmung dieser seltenen Alchimie zugänglich zu machen: Es gibt nur wenige Interpreten, die in der Treue zur Partitur unbestechlich geblieben sind und die es dennoch geschafft haben, ihr Leben einzuhauchen, den absolut notwendigen Atem, der, so scheint es zumindest, den Vortrag des Komponisten selbst ausmachte. Hélène Tysman besitzt die seltene Gabe, uns zu Beginn eines jeden Préludes, eines jeden Sonatensatzes bei der Hand zu nehmen, so dass wir den Atem anhalten angesichts der unglaublichen Farbund Tonpalette, die sie bis zum letzten Takt hervorzuzaubern vermag… Und gleichzeitig hält sie in uns das Bedürfnis wach, sie bis ans Ende der Geschichte zu begleiten, bis zur nächsten Seite. Dieser Lebensatem opfert nichts der schäbigen Mode der „D-Zug-Interpretation“, deren furchteinflößende Mechanik jede Musikalität zerstört.

      Aus diesen Gründen möchten wir, jenseits von Interpretationsrichtungen und -schulen, Hélène Tysmans Darbietung mit all jenen genießen, die diese Musik lieben, und Chopins Musik in ihrer strengen Freiheit wiederfinden, in ihrer Bestimmtheit, den weit gefächerten Nuancen, die von subtil bis wild reichen. Dies ist die Daseinsberechtigung dieser ersten Aufnahme, die schon jetzt Lust auf mehr gibt…

      (Übrigens: Haben Sie schon gehört, wie sie Bach spielt?…)

      Zwischen 1837 und 1839 entwirft und vollendet Frédéric Chopin die 24 Préludes Opus 28 und die b-Moll-Sonate Opus 35. Damit beginnt das letzte der drei „schöpferischen“ Jahrzehnte des Komponisten (beginnend mit den ersten Polonaisen in g-Moll und BDur von 1817 bis hin zu den beiden letzten Mazurken Opus 67 in g-Moll und Opus 68 in f-Moll von 1849).

      Chopin, der seit 1831 in Paris wohnt, erlebt in dieser Zeit eine neue Reife. Er hat Ende 1836 bei Liszt und Marie d’Agoult 2 George Sand kennen gelernt, die sich Baronin Dudevant nennt und die Geliebte von Michel de Bourges ist. Seine platonische Beziehung zu Maria Wodzinska und die gemeinsamen Heiratspläne zerschlagen sich 1837 nach einem kurzen Brief, in dem er mit

      ihr bricht2. Nach reiflichem Überlegen 4 geht George Sand 5 im Mai 1838 „zur Attacke“ über und sendet ihm diese persönliche Botschaft: „Man verehrt Sie“, unter die ihre Freundin, die Schauspielerin Marie Dorval (deren Ruf das wahrscheinlich übertriebene Gerücht einer „zarten“ Freundschaft zu Sand in Umlauf gesetzt hatte), die Worte „ich auch, ich auch, ich auch!“ setzte…

      In den folgenden neun Jahren ihrer Beziehung (beinahe ein Rekord für George!) lässt Chopin seiner Kreativität freien Lauf in einer Atmosphäre, die seinen Gefühlen zuträglich ist: einerseits ist da die Spannung der Liebesbeziehung (dazu gehören die drei Monate „Abenteuer“ auf Mallorca), andererseits aber auch der mütterliche Kokon, zu dem George Sand Nohant umfunktioniert, wo Chopin die Sonate fertigstellt, und all das inmitten des wunderbaren künstlerischen Pariser und Europäischen Mahlstroms, in dem sich Chopins Genialität frei entwickelt.

      Aber die beiden Werke sind nicht nur chronologisch miteinander verbunden. Jedes schöpft aus den klassischen Quellen (der Sonatenform, dem barocken Präludium), so dass die transzendierende Modernität nur umso deutlicher hervortritt. Was die Préludes betrifft, das längste der Chopinschen Werke, so vereinigen sie bereits verschiedene Mikrokosmen, die in den späteren Werken wieder auftreten.

      Die b-Moll-Sonate Opus 35

      Diese Modernität tritt besonders deutlich bei der Sonate Opus 35 in Erscheinung, die der Sonate von Liszt vorausgeht, die dieser vierzehn Jahre später komponieren wird. Schumann hebt hervor: „Er hat sie ,Sonate‘ genannt, man könnte dies als eine Laune, ja eine Anmaßung bezeichnen, denn er hat vier seiner extravaganten Kinder zu einer Bande zusammengestellt, um sie so durchzuschmuggeln…“

      Zum Trauermarsch des dritten Satzes und, in geringerem Ausmaß, auch zum Scherzo, das den zweiten Satz bildet (und folglich das fünfte der vier Scherzi Chopins), ist wahrscheinlich schon alles gesagt worden. Die Komplexität und der Reichtum dieser Seiten lässt sich auf dem bescheidenen Raum, der uns in diesem Begleitheft zur Verfügung steht, gar nicht angemessen behandeln. Beschränken wir uns daher darauf, die beiden anderen Sätze zu kommentieren.

      Im ersten Satz wiederholt Hélène Tysman die gesamte Exposition inklusive der Einleitungstakte, so wie es vorgeschrieben ist. Es ist erstaunlich, wie viele (als Referenz geltende!) Ausgaben das Wiederholungszeichen erst vor dem fünften Takt anzeigen. Überlassen wir die Erklärung Charles Rosen: „Gleich nach dem Doppelstrich des fünften Taktes, der einer Verdoppelung des Tempos entspricht, sind die beiden Notenlinien mit einem Doppelpunkt versehen, was normalerweise bedeutet, dass von hier an die Stelle zu wiederholen ist. Resultat: was ein entscheidender Moment sein sollte, wird ein ungeschickter Unsinn […] Ein Blick auf eine Photographie der Handschrift, die sich in Warschau befindet, genügt, um festzustellen, dass der Doppelpunkt eine Idee des Druckers ist. Ein Faksimile der ersten Seite findet sich in der berühmten Paderewski-Edition. Was diesen spezifischen Punkt anbelangt, sind die Pariser und Londoner Ausgaben zu berücksichtigen, da die deutsche Edition fehlerhaft ist.“

      Verweilen wir auch kurz beim letzten Satz dieser Sonate, der noch heute, 170 Jahre später, wirklich außerordentlich ist, und den Hélène Tysman aus unserer Sicht verständlich und authentisch wiedergibt. Chopin sagte diesbezüglich: „Ich komponiere gerade eine Sonate in b-Moll, in der sich der Marsch befindet, den du kennst. Diese Sonate besteht aus einem Allegro, einem Scherzo in es-Moll, dem Marsch und einem kurzen Finale: nicht mehr als drei Seiten in meiner Handschrift. Nach dem Marsch spielt [einige übersetzen: „schwatzt“] die linke Hand einstimmig mit der rechten“ (Brief an Julien Fontana, Nohant, 10. August 1839).

      Lassen wir die üblichen pseudoliterarischen Interpretationen beiseite (das Rauschen des Windes zwischen den Gräbern…) und konzentrieren uns, zusammen mit André Boucourechliev, auf das einzigartige Wesen dieses Satzes: „Das Presto am Schluss ist der helle Wahnsinn. Ein Lauf in den Abgrund, sotto voce. Zwei, drei unverzüglich zurückgenommene Crescendi stehen oder stehen eben nicht in den unzähligen Ausgaben. Von ihnen einmal abgesehen, wird keine Nuance, keine Tempovariation gespielt […]. Die Partition verlangt, dass man direkt drauflos geht – auf das Beil des Henkers.“ Beiläufig bemerken wir, dass Chopin nur eine einzige Anweisung fürs Pedal gibt, und das in Takt 75 – dem letzten Takt. Davor nur sotto voce und legato. Sonst nichts.

      24 Préludes Opus 28

      24 Préludes in 24 Tonarten: Bachs gütiger Schatten ist da nicht weit. Wir wissen, dass nur die Partitur des Wohltemperierten Klaviers Chopin auf seiner Reise durch Mallorca begleitete (um sie zu korrigieren, denn der besessene Perfektionist hielt die Ausgabe seiner Zeit für fehlerhaft!). Wir wissen auch, dass Chopin der chromatischen Folge den Quintenzirkel der Harmonielehre vorzog. Marie- Paule Rambaud erwähnt diesbezüglich einen anderen Einfluss, wenn sie Couperins Definition aus „L’art de toucher le clavecin“ aufgreift: „Prélude heißt eine freie Komposition, in der sich die Einbildungskraft all dem zuwendet, was ihr vor die Augen kommt.“ Liegt es vielleicht an dieser Definition, dass Wanda Landowska in Chopin „einen romantisch gefärbten Couperin“ sah? Zumindest haben wir nun einen Grund, uns nicht über das Fehlen der Fugen auszulassen…

      Es wäre vergeblich, in diesem „Kaleidoskop der Gefühle und der lebhaften, kontrastreichen Klimavielfalt“ (T.A. Zielinski) eine Einheit, welcher Art auch immer, suchen zu wollen. Genießen wir also diese wunderbare Vielfalt, ohne sie gleich zu katalogisieren (Chopin wehrte sich übrigens gegen Sands Analyse einer imitierenden Harmonie; und Gott sei Dank sind die Namen, die sie jedem einzelnen Prélude zuordnete, verloren gegangen!).

      Übrigens hat Chopin den von Pleyel gewährten Vorschuss von 500 Francs (auf die 2000 Francs, also ungefähr 3000 Euro, des Gesamthonorars) dazu genutzt, seine Reise auf die Balearen zu finanzieren – schließlich werden damit die spanischen Zollkosten bezahlt, um am 17. Januar 1839 das von Pleyel versandte Klavier freizukaufen – also fünf Tage, nachdem die Préludes wie vereinbart am 12. Januar an Fontana nach Paris geschickt wurden 6. Um sein Werk fertigzustellen, stand Chopin also nur ein Mietklavier zur Verfügung, dessen mittelmäßiger Zustand ihn sehr störte (seine Briefe erwähnen das Instrument während den drei in der Villa Son Vent und danach in Valldemosa verbrachten Wochen 7).

      Die Préludes lassen sich in vier Gruppen einteilen. Die ersten sechs bilden eine Art Einleitungskapitel, in dem den drei fröhlich mitreißenden Stücken in Dur drei melancholische in Moll gegenüberstehen. Die ersten beiden Préludes haben keine Versetzungszeichen. Nr. 1 beginnt agitato in C-Dur, der Grundtonart, während Nr. 2 (Lento), das das Thema eine polnischen Volksliedes aufgreift („der Hopfen“), zwischen verschiedenen Tonarten schwebt, um sich dann, wie vorgesehen, für a-Moll zu entscheiden.

      Die folgenden vier Préludes halten sich an den Tonartenwechsel. In Takt 22 des 3. Préludes in G-Dur (Vivace) taucht beinahe magisch ein lydisches fis auf, das den zeitgenössischen Komponisten wohlbekannt ist und eine für seine Zeit ungewöhnliche Tonart vorwegnimmt. Danach kommen das 4. Prélude in e-Moll (Largo), das um eine unaufhaltsame chromatische Abwärtsbewegung angeordnet ist, das 5. in D-Dur (Allegro molto), lebhaft und bewegt, und schließlich das 6. in h-Moll (Lento assai) im Wiegen der Barkarole.

      Die nächsten fünf Préludes bilden die zweite Gruppe des Werks. Sie stellen die Bearbeitungsart der ersten Gruppe um: diesmal enthalten die beiden Moll-Stücke eine dynamische Aufwärtsbewegung. Das 7. Prélude in A-Dur (Andantino) gehört zu den kürzesten (16 Takte). A. Delapierre erzählt, dass Chopin es nach einem Abendessen, zu dem er eingeladen war, vorgetragen hatte, als er sich der Aufforderung, doch „etwas zu spielen“ nicht entziehen konnte. Als sich die Gastgeberin über die Kürze wunderte, soll er geantwortet haben: „Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich sehr wenig gegessen habe…“ Das Prélude Nr. 8 in fis-Moll (Molto agitato) erweist sich so technisch wie eine Tonübung. Die Folge von chromatischen Akkorden und die Tonartenwechsel im 9. Prélude (Largo) führen zum 10. in cis-Moll (Allegro molto), dessen kontrastreicher Aufbau (Bildhaftigkeit / Akkorde) an das Impromptu in as-Dur Opus 90 von Schubert erinnert, wie Zielinski bemerkte. Was Nr. 11 in B-Dur betrifft, so schrieb Cortot, Chopin habe vielleicht Vivace gewählt, um auf keinen Fall in die Manieriertheit abzugleiten.

      Die Préludes 12 bis 18 bilden das Herzstück. Die drei längsten (Nr. 13, 15 und 17) befinden sich in dieser Gruppe, und ihre Gegensätze verstärken sich (bis zum Presto con fuoco von Nr. 16). Ein fantastischer Ritt führt von Nr. 12 in gis-Moll (Presto) zum ruhigen und beinahe statischen Nr. 13 in fis-Dur (Lento), gefolgt von Nr. 14 in es-Moll (Allegro pesante), das ans verwirrende Finale der Sonate Opus 35 erinnert mit den Unisono-Oktaven in beiden Händen. Wir werden wohl nie erfahren, ob die berüchtigten „Regentropfen“ von Valldemosa Chopin zu seinem Prélude Nr. 15 in Des-Dur (Sostenuto) inspiriert haben, wie es George Sand erzählt und wie man seit über 150 Jahren nicht aufhört zu berichten…! Diese außerordentliche Popularität verringert keineswegs die Schönheit dieses Stücks, das das längste der Gruppe ist.

      Im Prélude Nr. 16 in b-Moll (Presto con fuoco) findet man den virtuosen Lauf der rechten Hand wieder, der den ersten Satz der Sonate Opus 35 beschließt und der Cortot dazu verleitete, darin eine Anspielung auf Goethes „Faust“ zu sehen. „Nr. 17 in As- Dur (Allegretto) beginnt lächelnd und endet dramatisch“ (Boucourechliev). Chopin hatte seiner Schülerin Camille Dubois O’Meara 8 anvertraut, dass die letzten Takte vom „Klang eines alten Glöckleins im Landhaus, das 11 Uhr schlägt“, eingegeben worden seien. Nr. 8 in f-Moll (Allegro molto), ein kurzes aber eindringliches Stück, beschließt diese dritte, wichtige Gruppe.

      Die sechs letzten Préludes nehmen den Gegensatz der Moll-Dur-Tonarten noch stärker wieder auf als die ersten sechs. Nr. 19 in Es-Dur (Vivace) erinnert in seiner scheinbar leichten Sorglosigkeit an Schumann. Wir wissen, dass dieser Bewunderer Chopins, nachdem er die Variationen über Mozarts La ci darem la mano für Klavier und Orchester Opus 2 in B-Dur zum ersten Mal hörte, gesagt haben soll: Hut ab, meine Herren, ein Genie!

      Das Prélude Nr. 20 in c-Moll (Largo), das Jane Stirling, eine (schwer in Chopin verliebte) schottische Schülerin „das Gebet“ nannte, klingt wie ein Choral; Chopin hatte den ursprünglich neun Takten drei weitere angefügt, um Pleyels Bitte zu entsprechen, der dessen Kürze bedauerte. Nr. 21 in B-Dur (Cantabile) entwickelt sich in einer zärtlichen und entspannten Atmosphäre, auf die das Gewitter von Nr. 22 in g-Moll (Molto agitato) folgt. Chopin gibt klar an, dass das Prélude Nr. 23 in F-Dur moderato zu spielen sei, eine Vorgabe, die Hélène Tysman beherzigt, da sie nicht der allzu oft beanstandeten übertriebenen Schnelligkeit verfällt. Vergessen wir nicht den Zauber des es, dieses wahrlich blauen Tons, der hier und da in der Partitur auftaucht und im vorletzten Takt aufgegriffen wird, und der diesem Prélude seine eigenartige Färbung und sein unendliches Glücksgefühl verleiht.

      Ein letzter Gipfel wird mit dem Prélude Nr. 24 in d-Moll (Allegro appassionato) erreicht. Chopin hat diese Tonart selten verwendet (alles in allem vier Mal und in posthum veröffentlichten, kleineren Werken), aber ist es nicht auch die Tonart des Finales aus Mozarts Don Giovanni…? Die Musik, so schrieb Gide, „stürzt am Ende in eine schreckliche Tiefe, sie erreicht den Grund der Hölle“ – nach einer Abwärtsbewegung über mehr als sechs Oktaven bis zum tiefen D, dem der wunderbare Steinway dieser Aufnahme eine Resonanz von seltener Harmonie verleiht.

      Hervé & Catherine Dumesny
      Übersetzung: Alexandra Richter

      1In die von ihm überarbeitete Fassung der Walzer- Partitur schreibt Debussy: „Auch wenn die Freiheit Harmoder Form einige Kritiker zu täuschen vermochte […] so muss man dennoch den Wert der Anordnung und der sicheren Einteilung verstehen.“ ( J.J. Eigeldinger: Univers Musical de Chopin)

      2 Noch am selben Abend sagt Chopin zu seinem Freund Hiller: „Was ist die Sand doch für eine unsympathische Frau! Ist sie überhaupt eine Frau? Ich wage es zu bezweifeln.“ Aber da sie viele gemeinsame Freunde haben, sehen sie sich regelmäßig…

      3 Chopin hatte ein idealisiertes Bild des jungen Mädchens, das vollkommen unter dem Einfluss seiner Eltern, besonders der intelligenten und energischen Mutter stand.

      4 Vgl. den Brief an Albert Grzymala (einen gemeinsamen Freund von Sand und Chopin) Ende Mai 1838.

      5Sie lebte zu der Zeit in wilder Ehe mit dem Schriftsteller und Hauslehrer ihres Sohnes Félicien Mallefille.

      6Vgl. „Correspondance de Chopin“. Anbei sei der amüsante Umstand erwähnt, dass Chopin, wohl aus Höflichkeit, am 22. Januar 1839 an Pleyel schreibt, er habe seine Préludes auf dem Pianino beendet…

      7Brief von G. Sand an die Gräfin Marliani vom 15. Januar 1839: „Endlich ist sein Klavier in Palma angekommen; aber es steckt beim Zoll fest. […] Chopin spielt auf einem armseligen mallorquinischen Piano, das mich an jenes von Bouffé im ,Pauvre Jacques‘ [einem Vaudeville-Stück der Zeit] erinnert.“

      8Eine außergewöhnliche Schülerin: Nichte des irischen Arztes, der Napoleon auf Sankt Helena pflegte, und Vorfahrin der frz. Schauspielerin Clémentine Célarié!

      Titelliste weniger

      CD 1
      • Frédéric Chopin (1810–1849)
        Piano Sonata No. 2 in B-flat minor op. 35
        • 1.Grave – Doppio movimento08:02
        • 2.Scherzo07:36
        • 3.Marche funèbre – Lento09:03
        • 4.Finale – Presto01:32
      • 24 Préludes op. 28
        • 5.No. 1 in C major – Agitato00:42
        • 6.No. 2 in A minor – Lento02:48
        • 7.No. 3 in G major – Vivace01:08
        • 8.No. 4 in E minor – Largo02:29
        • 9.No. 5 in D major – Allegro molto00:43
        • 10.No. 6 in B minor – Lento assai02:20
        • 11.No. 7 in A major – Andantino00.58
        • 12.No. 8 in F-sharp minor – Molto agitato02:14
        • 13.No. 9 in E major – Largo01:23
        • 14.No. 10 in C-sharp minor – Allegro molto00:38
        • 15.No. 11 in B major – Vivace00:53
        • 16.No. 12 in G-sharp minor – Presto01:27
        • 17.No. 13 in F-sharp major – Lento03:58
        • 18.No. 14 in E-flat minor – Allegro (pesante)003:35
        • 19.No. 15 in D-flat major – Sostenuto06:35
        • 20.No. 16 in B-flat minor – Presto con fuoco01:08
        • 21.No. 17 in A-flat major – Allegretto03:18
        • 22.No. 18 in F minor – Allegro molto00.55
        • 23.No. 19 in E-flat major – Vivace01:27
        • 24.No. 20 in C minor – Largo02:04
        • 25.No. 21 in B-flat major – Cantabile02:45
        • 26.No. 22 in G minor – Molto agitato00:48
        • 27.No. 23 in F major – Moderato01:10
        • 28.No. 24 in D minor – Allegro appassionato02:53
      • Total:01:12:39