Johannes Martin Kränzle, Bariton
Hilko Dumno, Klavier
Der Bariton Johannes Maria Kränzle ist seit 1998
Mitlied der Oper Frankfurt. Daneben wird er 2010 an
der Mailänder Scala und an der Staatsoper Berlin sein
Rollendebüt als Alberich in Rheingold unter Daniel
Barenboim haben, an der Oper Köln gastiert er als
Blaubart. Einen großen Teil seiner künstlerischen
Arbeit nimmt der Liedgesang ein, erstmals präsentiert
er sich in diesem Fach nun auf CD. Die Ballade
verkörpert wie keine andere Gattung das erzählerische
Element des Kunstlieds. Kränzle unternimmt hier eine
kleine Reise durch die Geschichte der Romantischen
Ballade, begonnen mit Carl Loewes op. 1 Nr. 1 bis
hin zu einem Werk von Feruccio Busoni, der Faust
Ballade „Lied des Mephistopheles“ von 1919.
Hilko Dumno

Hilko Dumno studierte Klavier, Kammermusik
und Liedgestaltung an den
Hochschulen Detmold und Frankfurt am
Main. Zu seinen Lehrern zählten Gregor
Weichert, Rainer Hoffmann, Tabea Zimmermann
und Charles Spencer. Er war Stipendiat
des deutschen Musikrates, der Villa Musica
Mainz und der Yehudi-Menuhin-Stiftung.
Eine regelmäßige Zusammenarbeit verbindet
Hilko Dumno u.a. mit Christoph
Prégardien, Johannes Martin Kränzle, Christine
Schäfer, Hans-Jörg Mammel, Hedwig
Fassbender, Julia Kleiter und Johannes
Schendel, als deren Klavierpartner er beim
Schleswig-Holstein Festival, den Schwetzinger
Festspielen, der Schubertiade Schwarzenberg,
den Dresdner Musikfestspielen, dem
Lucerne Festival oder dem Amadeus Festival
in Genf zu hören war.
Weitere Konzertreisen führten ihn nach
Nordamerika und Japan.
Verschiedene CD-Produktionen sowie
Rundfunkproduktionen für den Norddeutschen
und Hessischen Rundfunk als auch für
Radio de la Suisse Romande dokumentieren
seine künstlerische Tätigkeit.
Hilko Dumno unterrichtet Liedgestaltung
an der Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst Frankfurt am Main.
Die Mitternacht zog näher schon
Romantische Balladen
Die Lust am Erzählen ist der Natur des
Menschen eingeschrieben. Ob Alltagserlebnisse
oder Staatsaktionen, alles drängt
danach, berichtet zu werden, im mündlichen
Gespräch anvertraut oder in Schriftform festgehalten.
Gleichzeitig haben wir das Bedürfnis,
das Erlebte in eine angemessene Form zu
bringen, es künstlerisch zu fassen. Zwischen
Epos und Roman, Novelle und Gedicht haben
sich dabei vielerlei in Länge und Gestalt
unterschiedliche Modelle ausgebildet. Die
Ballade – die ihren vom englischen Volkslied
abstammenden Namen durch Herder,
Goethe, Bürger und Uhland bekommen hat,
die ihn als erste für ihre erzählenden Gedichte
verwandten – hat schnell auch die Komponisten
angezogen. Goethe empfand seine Balladen
ohnehin gleich als gesungen, als Lieder
eher denn als Gedichte: „Die Ballade hat etwas
Mysteriöses, ohne mystisch zu sein; diese letzte
Eigenschaft eines Gedichts liegt im Stoff, jene
in der Behandlung. Das Geheimnisvolle der Ballade
entspringt aus der Vortragsweise. Der Sänger
nämlich hat seinen prägnanten Gegenstand,
seine Figuren, deren Taten und Bewegung so tief im
Sinne, dass er nicht weiß, wie er ihn ans Tageslicht
fördern will. Er bedient sich daher aller drei
Grundarten der Poesie, um zunächst auszudrücken,
was die Einbildungskraft erregen, den Geist
beschäftigen soll; er kann lyrisch, episch, dramatisch
beginnen, und nach Belieben die Formen
wechselnd fortfahren, zum Ende hineilen
oder es
weit hinausschieben.“
Als Gegenstück zum verdichteten Moment,
den die Lyrik einem Komponisten bietet
(wie in Wandrers Nachtlied: „Über allen
Gipfeln ist Ruh“), eröffnet die Ballade
die Möglichkeit zu farbenreichem Schildern,
zur abwechselnden Kombination von Tonfällen,
zu der durch einen Erzähler zusammengefassten
Rede und Gegenrede. Dass die Musik
hier einem Handlungsverlauf folgt, führt
zu einer wesentlichen Erfordernis der Balladenvertonung:
Sie muss sich befreien von der
strengen Strophenform, in der es trotz inhaltlichen
Fortgangs musikalisch nur Wiederholungen
gibt. Schon bald nach den ersten frühromantischen
Balladen, die noch diesem Modell
verhaftet waren, begann dieser Emanzipationsprozess,
der in der vorliegenden Auswahl
exemplarisch mitzuerleben ist.
Carl Loewe, der älteste auf dieser Aufnahme
vertretene Komponist, ist sozusagen der
ungekrönte König der Balladen. Nach den
ersten Versuchen von Johann Zumsteeg –
der bereits den „Ton des Gespenstigen, Nächtlichen,
Schauerlichen“ (August Wilhelm Ambros)
vorgegeben hatte – und seinen Zeitgenossen
führte er diese neue Gattung zu ihren
Höhen, die nur in der Art noch verändert,
aber in ihrer Wirkung kaum übertroffen
wurden. Er kann mithin als ihr eigentlicher
Schöpfer angesehen werden. Auch in der Anzahl
hat es ihm niemand gleichgetan: Die
Menge seiner Balladenkompositionen geht
in die Hunderte. Schon für ihn war die überkommene
Strophengliederung nur der Ausgangspunkt.
Meist nutzt er ein musikalisches
Hauptmotiv derart, dass es immer der Charakteristik
im Einzelnen entsprechend abgewandelt
werden kann.
Häufig hat Loewe überdies Texte aus
anderen europäischen und sogar fernöstlichen
Kulturen vertont, so dass sich in seinem
Werkkatalog serbische wie polnische
und hebräische wie arabische Lieder finden.
Die Ballade von Edward stammt aus dem
Schottischen und wurde von Johann
Gottfried v. H erder (in der Anthologie „Stimmen
der Völker in Liedern“) übersetzt. Loewe
hat sich dieses Gedicht für sein erstes „offizielles“
Werk ausgesucht: Die Ballade wurde
1824 als Opus 1 Nr. 1 veröffentlicht. Die
Aufdeckung von Edwards Vatermord ist inszeniert
wie ein spannungsreicher Krimi, bei
dem die Auflösung immer weiter hinausgezögert
wird und sogar ein letzter „Twist“ die
Handlung bis zum Schluss spannend hält.
(Johannes Brahms hat diese Geschichte übrigens
zur Vorlage für die erste seiner Klavierballaden
op. 10 genommen.) Auch Herr Oluf
stammt aus Loewes früher Schaffenszeit und
vertont einen aus dem Dänischen herrührenden,
wiederum von Herder ins Deutsche gebrachten
Text. Bemerkenswert ist die ausgreifende
Rolle des Klaviers, das streckenweise
wie ein pianistisch gedachter Orchestersatz
daherkommt; die Vor- und Zwischenspiele
schlagen schon den Bogen zur auskomponierten
Opernszene. Die Schlussnote (großes
D) ist die tiefste des hier zusammengestellten
Rezitals; die höchste (eingestrichenes
As) folgt gleich im nächsten, 20 Jahre später
entstandenen Lied Der Mohrenfürst auf
der Messe. Der Text von Ferdinand Freiligrath
ist Beispiel einer frühen Kulturkritik am
kolonialistischen Exotismus, der Menschen
aus fremden Ländern zur Befriedigung reinen
Sensationsbedürfnisses aus ihrer Heimat
verschleppt: Die rollenden Oktaven im Bass
und die Trompetenstöße im Diskant nehmen
das Drama vorweg, und die hohe Tessitur
der Gesangsstimme verdichtet den Verzweiflungsschrei
der unglücklichen Kreatur. Das
Goethesche Hochzeitlied wurde von Loewe
1832 veröffentlicht (als op. 20 Nr. 1), zusammen
mit dem Zauberlehrling und der Wandelnden
Glocke. Im typischen „Balladenton“
deklamierend hebt es an; ein Quartsprung
zu Beginn jeder Strophe und wiederholte
Schlusswendungen strukturieren die Erzählung,
die von vollgriffigen Zwischenspielen
und harmonischen Ausweichungen angereichert
ist. Wie die Cabaletta aus einer Belcanto-
Komödie klingelt dann die Schilderung
des Hochzeitsschmauses, bei der die Wörter
übereinanderstürzen ganz wie das geschäftige
Festtreiben der Zwerge – bis die rollenden
Klavierfiguren nach und nach zum Epilog
wieder in tiefere Register hinuntersteigen.
Robert Schumann hat, bevor er sich im
„Liederjahr“ 1840 der Vokalmusik zuwandte
– eine Befreiung aus einer tiefen Lebensund
Schaffenskrise –, fast ausschließlich
fürs Klavier komponiert. Das kam seinen
Liedern zugute, wusste er doch genau, wofür
er das Tasteninstrument einsetzen konnte.
Seine delikaten Klangreliefs und sein sattes
Rhythmusfundament geben der Stimme
immer einen Untergrund, über dem sie
sich frei gestaltend entfalten kann. Im Lied
Frühlingsfahrt (Schumann benutzt den Gedichttitel
der Erstausgabe, Eichendorff hat
es später in „Die zwei Gesellen“ umbenannt)
werden zwei Lebensentwürfe geschildert,
die beide auf unterschiedliche Weise scheitern:
der eine in bürgerlicher Behaglichkeit,
der andere in hemmungsloser Genusssucht.
Musikalisch verfolgt Schumann die beiden
Schicksale vom unbekümmerten Aufbruch
mitsamt fröhlichen Hornsignalen über die
zunehmende „Formelhaftigkeit“ des Sesshaftwerdens
(Günther Spies), bis neapolitanische
Akkorde und andere harmonische
Abweichungen den Grund schwankend machen
und eine Abwärtssequenz den Sog in
die Tiefe des Verderbens nachahmt. Das innige
Nachspiel spinnt den letzten, ins Religiöse
gewandten Gedanken einige Takte lang
aus. Auch in Der Schatzgräber – ebenfalls im
Herbst 1840 komponiert – verwendet Schumann
die Korrelation von absteigenden Notenfolgen
und realer Bewegung nach unten;
immer wieder stürzt die nach oben strebende
Klavierlinie ab. Diese Bedeutungsbeziehung
erhält eine weitere Ebene, indem sie die Verfehltheit
und Vergeblichkeit der Obsession
des Schatzgräbers darstellt: Wer nur nach irdischem
Besitz strebt, endet bestenfalls wie
Sisyphos, aber eher noch unter Hohnlachen
in der Hölle. Belsazar entstand Anfang 1840
und ist vermutlich Schumanns erste Heine-
Vertonung. Die Legende lehnt sich ans
5. Buch Daniel und vollzieht in der musikalischen
Gestaltung die Situation äußerster
Beklemmung bis zum Schluss hin komplex
mit. In der Lästerungsszene wird das „Ich“
auf mehrfache Weise hervorgehoben (durch
gedehnten Akzent, metrisch betont und mit
einem verminderten Septakkord grundiert),
während die Menetekel-Erscheinung durch
die Zurücknahme von Tempo und Lautstärke
subtil an untergründiger Spannung gewinnt.
Die beiden Grenadiere (aus dem
Kapitel
„Junge Leiden“ im „Buch der Lieder“)
dokumentiert Heinrich Heines Napoleon-
Begeisterung – und Schumanns Übereinstimmung
mit ihr, was die freiheitlichen Ideen
der Französischen Revolution betrifft, wie
das Pathos der marschartigen Eröffnungstakte
und insbesondere natürlich die ins triumphale
Dur gewendete Schlussstrophe mit
dem Marseillaise-Zitat zeigen; wenn letztere
auch nur die Fiebervision eines tödlich verwundeten
Soldaten ist und demgemäß von
einem wie trauernd-bedauernden Klaviernachspiel
abgeschlossen wird.
Ein Kontrast zur ausgedehnten Liedlyrik eines
Johannes Brahms – der die Ballade nur als
rein instrumentale Form berücksichtigt hat –
bildet die zugespitzte, unmittelbar mit dem
ersten Ton auf den Punkt kommende Kunst
Hugo Wolfs. Manche seiner Lieder sind
kaum eine Minute lang und wechseln doch
alle paar Takte ihre Stimmung. Gutmann und
Gutweib nach Goethe erzählt die Geschichte
einer kuriosen Wette zwischen Eheleuten:
In kalter Nacht muss derjenige, der als erster
eine Silbe spricht, aufstehen und die klappernde
Tür zuriegeln. Das kommt zwei Einbrechern
zugute, die sich ungestört an den
Leckereien der Küche gütlich tun. Erst als sie
sich auch an den Spirituosen vergreifen, verliert
der Mann die Nerven. Dietrich Fischer-
Dieskau hebt, trotz einer gewissen Überfülle
an Motiven, die „Feinheit der Detailarbeit“
hervor, mit der sich Wolf durch diese Szene
für die Oper qualifizieren wollte.
Der Feuerreiter gehört fraglos zu Wolfs
berühmtesten Liedern. Eduard Mörike wurde
durch Wolf eigentlich erst entdeckt, und
der Komponist trug dazu bei, dass der schwäbische
Dichter wieder ins Bewusstsein rückte.
Das Gedicht basiert auf dem Volksglauben
von Feuerpropheten oder Feuerreitern,
die über weite Entfernungen Brände erspüren
und von ihnen magisch angezogen werden,
aber sie nicht löschen dürfen. Wolf
führt diese unheimliche Begebenheit – die er
mal „flüsternd“, mal „wild“ und „geheimnisvoll“
gesungen wissen wollte – vom wispernden
Beginn über das die Tonart festigende
Feuerglöckchen zu flammendem Entsetzen
(„Hinterm Berg, hinterm Berg …“), bis die
Balken zu Asche zusammenkrachen und sich
nach atemloser Stille im Epilog das Schicksal
des todgeweihten Feuerreiters erfüllt.
Der Zwerg gehört zu den vielen Liedern, die
Franz Schubert auf Gedichte seiner Freunde
schrieb. In diesem Fall stammt die Vorlage
von Matthäus v. Collin (dessen Schauspiel
Coriolan Beethoven mit seiner Ouvertüre
unsterblich gemacht hat); die Vertonung
bezieht ihre düstere Wirkung aus einem Ostinato-
Vierton-Motiv der Begleitung, schicksalhaft
klopfend auf die Taktschwerpunkte
hinzielend: tatsächlich ein Beethovenscher
Effekt. Die dichte harmonisch-rhythmische
Façon bleibt das ganze Lied hindurch
bestehen und macht es zu einer makabren,
schwarz-schauerromantischen Fantasie. Und
so bedeutsam Carl Loewe für diese Liedform
auch gewesen ist, – es bleibt doch Schubert,
der den Inbegriff der musikalischen Ballade
geschaffen hat – mit dem Erlkönig nach
Goethe (was nichts daran ändert, dass sich
Loewes Vertonung mit ihr durchaus messen
kann). Als Opus 1 publiziert, wurde es bereits
zu Schuberts Lebzeiten zu seinem berühmtesten
Lied. Jedoch sprengte das Stück
alle die Fesseln, die Goethes Musikerfreunde
Reichardt und Zelter dem Gedichtvertonungshandwerk
aus Geschmacksgründen angelegt
hatten, so dass der Poet zunächst keine
Freude daran fand: Die sorgsam notierten
Liederhandschriften, die Schubert nach Weimar
schickte, kamen kommentarlos zurück.
Zwei Jahre vor seinem Tode allerdings hörte
der alte Goethe Wilhelmine Schröder-Devrient
die Ballade singen und konnte sich doch
noch für diese „Tour de force“ von Oktaventrommelfeuer
und Stimmvielfalt erwärmen:
„Auf diese Weise gesungen, beginnt es die Form
eines Gemäldes anzunehmen.“
Jede Note von Gustav Mahler erzählt etwas.
Der Komponist, der in seinen Sinfonien
„eine Welt aufbauen“ wollte, hat Musik
nicht losgelöst vom Leben denken können.
Den Begriff Ballade auf die drei hier vertretenen
Lieder anzuwenden, hat durchaus seine
Berechtigung. Mahler selbst hat einige seiner
Vertonungen aus „Des Knaben Wunderhorn“
– das lange Zeit seine einzige lyrische
Quelle war – als „Humoresken“ bezeichnet,
wie es auch schon Carl Loewe gelegentlich
tat. Mahler verwendet dieses Wort praktisch
synonym mit Ballade – was den Vorzug hat,
dass dadurch die besondere Bedeutung des
Humors in seiner Musik herausgestrichen
wird. Insbesondere ist es der distanzierte Erzählstil
der Ballade, der ironische Zwischentöne
wirksam werden lässt. Zum Beispiel im
Lob des hohen Verstandes von 1896, das in einer
frühen Fassung „Lob der Kritik“ hieß („ein
köstlicher Hohn auf die Kritik“ sollte es sein,
wie Natalie Bauer-Lechner überliefert) – das
keck vorzutragende Lied verblüfft dadurch,
dass die Musik der Nachtigall kaum anders
klingt als die des Kuckucks; der Notentext ist
fast derselbe, nur die Vortragsanweisungen
bringen ein wenig Differenzierung: Wir hören
sozusagen das, was sich der so voreingenommene
wie beschränkte „Juror Esel“ zurechthört.
In derselben, von Mahler schlicht
„Des Knaben Wunderhorn“ benannten
Sammlung erschien Des Antonius von Padua
Fischpredigt (dessen Musik später als Scherzo
Einzug in die Zweite Sinfonie hielt). In dieser
in Ländlerform gehaltenen Satire auf Scheinheiligkeit
und Unbeständigkeit lässt Mahler
die Begleitung in gurgelnden Drehorgelfiguren
dahingluckern. Benjamin Folkman
brachte es auf den Punkt: Die kritische Darstellung
wirkt umso menschlicher, je „fischiger“
die Musik ist. Revelge (veröffentlicht in
den „Sieben Liedern aus letzter Zeit“) hielt
Mahler für sein bedeutendstes Wunderhorn-
Lied; der endgültigen Niederschrift im Sommer
1899 war eine lange Beschäftigung mit
der Vertonung vorangegangen.
Von Anfang
bis Ende wird der Marschrhythmus strikt
und unerbittlich durchgehalten. Über ihm
entfaltet sich die kunstvoll komplexe Melodie,
deren aussichtsloses Ansingen mit ihrem
trotzig-fröhlichen „Tralali“ geradezu gespenstisch
wirkt – schließlich erleben wir, als
Seitenstück zu Schumanns Grenadieren, den
„Marsch und Kampf des Trommlers über den
Tod hinaus“ (Alphons Silbermann).
Der deutsch-italienische Musiker Ferruccio
Busoni war einer der größten Pianisten
des frühen 20. Jahrhunderts und als Komponist
eine faszinierende Gestalt zwischen neuen
ästhetischen Konzepten und traditioneller
Klangvorstellung. Während Klaviermusik
(darunter seine vielen von Bach inspirierten
Bearbeitungen und Originalwerke)
den Großteil seines OEuvres ausmacht, ist die
Oper – insbesondere sein Doktor Faustus –
die Gattung, mit der er noch heute am meisten
nachwirkt. Nach ersten Liedern aus seiner
Studienzeit kehrte er erst 1919 zu dieser
Form zurück und setzte gleich mehrere
Gedichte Goethes in Musik, darunter das Lied
des Mephistopheles aus der Szene in Auerbachs
Keller im Faust I – das damit in engem
Zusammenhang mit den Entwürfen zu
seiner unvollendet hinterlassenen Goethe-
Oper steht. Was Busoni in seinen späten Liedern
anstrebt, sind – nach Hans Heinz Stuckenschmidt
– geradezu Gesangsszenen, oft
aufgebaut aus einer einzigen musikalischen
Grundidee. Im Falle des Flohliedes beruht
das Stück auf Staccatofiguren des Klaviers in
wachsender rhythmischer Bewegung: So wie
die Flohplage überhand nimmt und jede Linderungsbemühung
zum Scheitern verurteilt
ist, beschleunigen sich die perpetuum-mobile-
artigen Figuren, über denen die Stimme in
plastischer Deklamation die wachsende Verzweiflung
des Hofstaates ausdrückt. Busonis
Stimmbehandlung ist mit dem Vokalsatz aus
Schuberts großen Balladen verglichen worden:
keine Opern, aber Miniaturen mit einer
packenden Unmittelbarkeit von dramatischem
Ausdruck und Gefühlsreflexion.
Malte Krasting