Gabriel Fauré:
Klaviertrio d-Moll op. 120
Maurice Ravel:
Klaviertrio a-Moll (1914)
Philippe Hersant:
Trio Variations sur la Sonnerie de Sainte-Geneviève-du-
Mont (1998)
Trio Cérès:
Julien Dieudegard, Violine
Noémi Boutin, Violoncello
Jonas Vitaud, Klavier
Das junge französische Trio Cérès gewann beim ARDMusikwettbewerb
in München 2007 den dritten
Preis. In der umjubelten Interpretation des Ravel-
Klaviertrios zeigten die Interpreten einen unverwechselbaren
Zugang zu der Farbenwelt und der eigentümlichen
Emotionalität von Ravels Musik, gepaart
mit allen Tugenden reifen Kammermusikspiels, die
gerade beim Klaviertrio auch die solistische Autorität
aller Ensemblespieler umfassen.
Dieser rundherum überzeugende und absolut
eigenständige Wettbewerbsbeitrag und der Eindruck,
dass diese Musiker „etwas zu sagen“ haben, waren
Grund genug, das Trio Cérès für ein CD-Porträt in
der Reihe OehmsClassics Debut einzuladen. Die CD
umfasst neben dem Ravel-Trio noch das Klaviertrio
von Gabriel Fauré und ein Werk des 1948 geborenen
Komponisten Philippe Hersant, das sich auf
ein Thema des Barockkomponisten Marin Marais
bezieht.
Auf den Pfaden des Neuen
Das Trio Cérès und sein CD-Debüt bei OehmsClassics
„Ich liebe die Melodie“, damit sagt Philippe
Hersant alles. Zumindest wenn es um sein
Schaffen geht. Denn der 1948 geborene französische
Komponist sucht stets eine bewusst
sing- und spielbare Tonsprache, die zudem
das musikalische Erbe auf vielfältige Weise
reflektiert. Aus der Kantabilität und musikalischen
Spurensuche heraus erschafft Hersant
gewissermaßen eine neue Virtuosität, so auch
im hier eingespielten Trio – Variations sur la
„Sonnerie à Ste Geneviève du Mont“ de Marin
Marais von 1998. Das Trio fußt auf ein Werk
von Marais, das 1723 veröffentlicht wurde
und ursprünglich für Violine, Viola da Gamba
und Cembalo geschrieben war; es basiert
seinerseits auf einem kurzen und einfachen
Carillon-Thema (Glockenspiel, Glockenmotiv)
der Kirche Saint Geneviève.
„Ich war recht gefesselt von dieser wunderbaren
Komposition, als ich sich sie vor rund
zwanzig Jahren entdeckte“, erklärt Hersant
in einem Werkkommentar. „Ich habe eine
Besetzung benutzt, die der von Marin Marais
ähnelt, aber moderne Instrumente eingesetzt.
Mein Trio erscheint wie eine Fortführung,
eine große Variation auf das Stück des Barockkomponisten.
Das Thema aus drei Noten ist in
meinem Trio omnipräsent, wobei es von einem
Instrument zum anderen springt – in verschiedenen
Tonarten und Registern. Und es variiert
in Tempo und Dynamik. Gelegentlich sind in
meinem Stück, mehr oder weniger versteckt, Zitate
von anderen berühmten Carillon-Themen
beigemengt (so Das große Tor zu Kiew aus den
Bildern einer Ausstellung von Modest Mussorgsky
oder die Carillon der Frauen von Arles
von Georges Bizet).“
Im Spannungsfeld zwischen Kantabilität
und musikalischem Erbe sieht das Trio Cérès
die Modernität von Hersant. „Es ist heute
generell schwer, Modernität zu definieren“, erklären
die drei Musiker aus Frankreich. „Hersants
Musik ist ausgesprochen persönlich; in
seinen Werken kombiniert er verschiedene Stile,
Klangwelten und Kunstepochen. Das ist seine
Modernität, in diesem Sinne ist er modern.“
Die Kontakte zwischen dem Trio Cérès und
Hersant sind vielfältig. „Seit zehn Jahren kenne
ich ihn“, berichtet Pianist Jonas Vitaud;
auch mit György Kurtág hat er bereits zusammengearbeitet.
„Zum ersten Mal bin ich Hersant an der
Académie Maurice Ravel in Saint-Jean-de-Luz
begegnet“, so Vitaud weiter. „Damals habe ich
auch schon Hersants Trio gespielt. Meine Triokollegen
haben ihn aber erst kürzlich erstmals
getroffen; für die aktuelle CD haben wir uns
mit ihm unterhalten.“ Hersant verfolge keine
dogmatischen Vorstellungen, berichtet Geiger
Julien Dieudegard. „Er ist stets sehr neugierig.
Wenn man Veränderungsvorschläge macht,
prüft er sie und ist bereit, gegebenenfalls etwas
zu ändern. Er ist sehr offen und freundlich.“
Zwar hat sich das Trio Cérès im Oktober
2006 gegründet, die erste Zusammenarbeit
der drei Musiker liegt aber bereits zehn
Jahre zurück. „Etwa zur gleichen Zeit, als ich
an der Académie Maurice Ravel in Saint-Jeande-
Luz Hersant kennen lernte, begegnetet ich
auch meinen heutigen Triokollegen“, berichtet
Vitaud. „Erstmals spielten wir in einem Quintett
zusammen“, konkretisiert Dieudegard,
„danach machten wir viel Kammermusik in
den unterschiedlichsten Besetzungen.“ Warum
sie gemeinsam musizieren? „Weil wir uns
gegenseitig bewundern“, antwortet Cellistin
Noémi Boutin. „Wir kennen uns schon seit
zehn Jahren, sind gemeinsam gereift und wollen
gemeinsam Musik machen und weiterlernen.“
Wenn man sich mit ihnen unterhält, erlebt
man drei junge, sympathische, neugierige
Individualisten, die sich offenbar vortrefflich
ergänzen, denn: „Jonas ist sehr präzise und
achtet genau auf Details – und darauf, was der
Komponist wollte“, sagt Boutin. „Und dann
gibt es natürlich Diskussionen. Wir sind drei
Individuen mit Ideen, die zusammenkommen,
diskutieren und gemeinsam etwas erarbeiten.“
Für Dieudegard ist gerade dies das Geheimnis
des kammermusikalischen Erfolgs.
„Deswegen arbeiten wir in einem Trio, weil
wir nicht gleich sind, sondern unterschiedlich –
auch wenn wir grundsätzlich in eine Richtung
gehen. Deshalb ergänzen wir uns.“
Ob sie Freunde sind? „Nein, wir können
uns nicht ausstehen“, antwortet Dieudegard,
„und es ist das erste Mal, dass man uns für
dieses Gespräch gemeinsam beim Essen sieht.“
Jetzt muss auch er selbst laut lachen. „Scherz
beiseite“, mischt sich Boutin ein: „Ich könnte
nicht mit Menschen im Trio spielen, die ich
nicht mag. Das ist für mich sehr wichtig.“ Für
Vitaud steht fest: „Wir spielen auch deswegen
gerne zusammen, weil wir perfekt aufeinander
hören.“ Natürlich gebe es auch Streit, „jeder
von uns hat eine eigene starke Idee“, so Vitaud
weiter. „Es gilt, gemeinsam eine Sicht zu eruieren.
Nicht immer kann man flexibel und diplomatisch
sein, in solchen Momenten knallt es.“
Und wenn es knallt, freut sich in der Regel
Boutin, denn: „Das Praktische für mich ist,
dass sich bei uns fast immer die beiden Herren
streiten. Ich kann dann zwischen den Positionen
wählen und entscheiden.“ Was scherzhaft
gemeint ist, ist für kammermusikalisches
Musizieren von elementarer Bedeutung.
„Auseinandersetzungen sind sehr wichtig für
die Interpretation“, so Vitaud, „das zeichnet
Kammermusik aus.“ Und die Drei aus Frankreich
empfinden sich durch und durch als
Kammermusiker: „Wir spielen Trio, weil es
unser Bedürfnis ist“, betont Boutin.
Dass sie 2007 beim ARD-Musikwettbewerb
in München erfolgreich teilgenommen
haben, brachte ihnen diese CD ein. Ein
französisches Trio, das französische Trios von
Gabriel Fauré, Maurice Ravel und Philippe
Hersant einspielt, wobei Letzterer noch dazu
auf Marin Marais und Georges Bizet zurückgreift:
Französischer könnte ihr CD-Debüt
nicht sein. Äußert sich auch eine französische
Sicht und Klanggestaltung? „Es gibt in diesem
Sinne keine französische Richtung“, lautet die
gemeinsame Antwort, „französisch ist und bedeutet
sehr viel –“
Dafür aber steht diese CD für eine
grundsätzliche programmatische Haltung,
möchten doch die drei Musiker einerseits
das klassische Repertoire pflegen und weiterentwickeln
sowie andererseits neue Wege
zur neuen Musik beschreiten. Schon sind
Werke der Komponisten To-ru Takemitsu
und Mauricio Kagel im Gespräch. „Wir sind
im Reifungsprozess und genießen das“, heißt
es, was letztlich auch ihr Verständnis von
CD-Aufnahmen berührt. „Man muss sich im
Klaren darüber sein, dass eine Einspielung interpretatorisch
nur eine Momentaufnahme ist“,
erklärt Vitaud.
„Später wird man womöglich bestimmte
Details anders sehen.“ Denn: „Wir leben, wir
haben unsere Liebesaffären, wir wandeln uns
wie sich das Leben wandelt“, ergänzt Dieudegard.
„All das fließt ebenso in eine Interpretation
ein und bereichert sie. Musik ist lebendig, sie
ist Teil des Lebens.“ Allgemeines Kopfnicken,
bis Boutin einschränkt: „Unsere Persönlichkeiten
bleiben natürlich grundsätzlich die
Gleichen. Es mögen sich Leben und Erfahrungen
ändern, aber wesentliche Grundzüge unseres
Charakters bleiben erhalten – das betrifft auch
die Interpretation.“
Florian Olters