Simple Symphony · Variations on a Theme of Frank Bridge
Prelude and Fugue
Festiva Strings Lucerne
Achim Fiedler, conductor
Die Festival Strings Lucerne spielen drei berühmte
Streichorchester-Werke von Benjamin Britten
ie Festival Strings Lucerne unter ihrem Chefdirigenten
Achim Fiedler haben bereits eine ganze Reihe von Standardwerken
für ihre Besetzung auf CD vorgelegt.
Seit seiner Gründung 1956 zählen auch die Werke
von Benjamin Britten zum Kernrepertoire des Ensembles.
Während die Simple Symphony (arrangiert für
Streichorchester) in gekonnter Einfachheit mit dem
musikalischen Grundmaterial spielt und dabei von einer
souveränen Beherrschung des Komponisten-Handwerks
zeugt, wird in den Variations on a Theme of Frank Bridge
die strukturelle Ebene von der poetischen Idee überblendet,
handelt es sich doch hierbei um eine musikalische
Typisierung von Frank Bridge, dem Mentor Brittens.
Brittens letztes Werk für Streichorchester, Prelude
and Fugue, zeigt den Meister in Vollendung, in einer
bis zu 18-stimmigen Kontrapunktik, die die virtuosen
Fähigkeiten der Musiker zur Gänze fordert.
Achim Fiedler
Der in Stuttgart geborene Achim Fiedler
studierte
zuerst Violine bei Saschko
Gawriloff

und Kammermusik beim Amadeus
Quartett an der Musikhochschule
Köln. Nach einem Violin-Stipendium an
der Guildhall School London setzte er seine
Ausbildung mit dem Kapellmeister-Studium
bei Franco Gallini in Mailand und Thomas
Ungar in Stuttgart fort. Daraufhin folgte
eine Einladung als Conducting Fellow nach
Tanglewood/
USA zu einem Meisterkurs
bei
Seiji Ozawa und bald darauf Assistenzen bei
Bernard Haitink und Carlo Maria Giulini.
Achim Fiedler wurde zwischen 1994 und 2001
vom Deutschen Musikrat gefördert,
erhielt
1997 das Herbert-von-Karajan-
Stipendium
und ist Preisträger verschiedener internationaler
Dirigierwettbewerbe
(u.a. 1996 erster
Preis in Cadaqués/
Spanien).
Achim Fiedler dirigiert zahlreiche Orchester
wie die Sächsische Staatskapelle Dresden,
das Berliner Sinfonie-Orchester, die Radio-Philharmonie des NDR Hannover, das Wiener
Kammerorchester, das Real Orquesta
Sinfónica de Sevilla, das Orquestra Simfónica
de Barcelona e Nacional de Catalunya
und das Orquesta Filarmónica
de Gran
Canaria. Seit 1998 ist er künstlerischer
Leiter
der Festival Strings Lucerne.
Benjamin Britten: Werke für Streichorchester
Die Welt der Kindheit und Jugend
scheint der englischen Musik besonders
nah. Tänze und Lieder bilden auch das zwanzigste
Jahrhundert hindurch einen stetigen
Bezugspunkt kompositorischen Denkens,
und selbst durch seine Idee, eigene Kompositionsversuche
aus der Kindheit später wieder
aufzugreifen, steht Benjamin Britten mit
seiner Simple Symphony nicht ohne Vorbilder
da. Edward Elgars Suite The wand of youth
beispielsweise beruht auf denselben Quellen
der Inspiration. Ungewöhnlich unter biografischem
Aspekt ist aber, das Britten nicht erst
in fortgeschrittenem Alter, sondern bereits
mit Anfang zwanzig als musikalischer Bearbeiter
diese Verarbeitung der Kindheit sucht.
Und seine Auseinandersetzung mit den eigenen
kindlichen Anfängen als Komponist
ist wohl auch aus diesem Grund heraus frei
von sentimentaler Erinnerung, sie beschwört
vielmehr auf besonders pointierte Weise die
spielerisch-konstruktive Aneignung des Vorhandenen
durch die kindliche Fantasie.
Jeder Mensch hat als Kind, etwa im
Spracherwerb,
die unerschöpfliche Freude
erlebt, die daraus entsteht, all die Wörter, die
es ja schon gibt, in endlosen Wiederholungen
zu eigenen zu machen, in einer persönlichen
Setzung plötzlich eine Welt aus Zeichen
schaffen zu können. Und genau an jene kindliche
Urfreude des Schöpferischen erinnert
der immer wieder verblüffende Anfang der
Simple Symphony, wo Britten eine einfache
Kadenzformel, bloßes Material ohne persönliche
Erfindung, die ebenso Eröffnungs- wie
Abschlussbedeutung besitzt, durch mehrfache
Wiederholung ad absurdum führt. Aus dieser
gewitzten Reflektion über die Bausteine der
Musik und die Entstehung von Sinn gewinnt
die Simple Symphony ihre Perspektive, in der
die Kraft des Schöpferischen in den zitierten
Kindheitskompositionen immer stärker hervortritt,
bis hin zur raffinierten Schrägheit
des Themas des letzten Satzes, dessen chromatische
Ausweichungen bereits eine eigene
Handschrift verraten. Alle Themen, deren
Quellen der 1913 geborene Komponist in der
Partitur angibt, stammen aus den Jahren 1923
bis 1926.

1934, als die Simple Symphony entstand,
hatte Britten bereits das Royal College of
Music verlassen und entschieden, fortan als
Komponist zu leben. In den folgenden Jahren
schrieb er sehr viel Filmmusik, es entstanden
aber auch bedeutende Instrumentalwerke –
als Opernkomponist, der das Bild späterer
Jahrzehnte prägte, trat Britten erst nach 1945
in Erscheinung. Das Streichorchester steht zu
einer Seite hin der Schulmusik nahe, und die
Simple Symphony ist auch als Herausforderung
für Schulorchester entstanden, obwohl
sie ihre ganze Wirkung nur in professioneller
Darbietung entfaltet. Gänzlich in dieser
Sphäre eines virtuosen Streicher-Kammerorchesters
beheimatet sind die Variations on a
Theme of Frank Bridge, die Britten innerhalb
kürzester Zeit für das Boyd Neel Orchestra
schrieb, eine 1932 gegründete Vereinigung
von etwa zwanzig Streichern, die bald auf
Festivals in ganz Europa Furore machte und
für eine Einladung zu den Salzburger Festspielen
1937 ein Werk bei Britten in Auftrag
gab.
Die Frank-Bridge-Variationen sind ein
Werk, in dem die ganze Persönlichkeit des
Komponisten
Ausdruck findet, mit der
dichten Verklammerung von klanglicher
und thematischer Erfindung, der Liebe zu
genreartigen Modellen, der für einen englischen
Komponisten seiner Zeit ungewöhnliche
Nähe zur mitteleuropäisch-wienerischen
Musik von Mahler und Berg (im Walzer
ebenso wie im Trauermarsch). Auch hier
entspringt die Musik aber dem spielerischen
Umgang mit der eigenen Biografie. Das Thema
entnahm Britten dem Idyll für Streichquartett
von Frank Bridge, der als erster die
überragende Begabung des komponierenden
Kindes erkannt hatte und zum ersten Kompositionslehrer
Brittens geworden war. In
seiner Widmungspartitur hat Britten den
einzelnen Sätzen auch verschiedene Facetten
des Charakters seines ersten Mentors zugeordnet,
die indes in der gedruckten Partitur
fehlen. Dieser latente Porträtcharakter wird
in der Bearbeitung des fremden Themas zum
Doppelporträt, in das auch Brittens eigene
Persönlichkeit mit einfließt. Deutlich wird
dies etwa in der Wiederaufnahme des Themas
in ganz neuer Harmonisierung nach der
Schlussfuge und in dem Spiel mit Tonchiffren,
wenn Britten am Schluss immer stärker
seine ureigene Tonart D-Dur, auf der auch
die Initialformel der Simple Symphony basiert,
hervortreten lässt.
Die in den Frank-Bridge-Variationen effektvoll
eingesetzte Auffächerung des Streichersatzes
in Solostimmen wird in Brittens
letztem Streichorchesterwerk, Prelude and
Fugue, konsequent bis zur 18-Stimmigkeit
erweitert. Geschrieben wurde das hochvirtuose
Stück in Kriegszeiten und 1942 zum
10. Geburtstag des Boyd Neel Orchestra von
diesem uraufgeführt. Nicht lange nachdem
Boyd Neel nach mehr als zwanzig Jahren sein
Orchester 1954 aufgelöst hatte, formierten
sich 1956 die Festival Strings Lucerne, zu
deren Kernrepertoire auch Brittens drei Werke
für Streichorchester gehören.
Martin Wilkening