Sinfonien Nr. 2 & 3
Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Stanislaw Skrowaczewski, Dirigent
Der mit viel Lob gestartete Zyklus der Sinfonien von
Robert Schumann, den sich der polnische Dirigent
Stanislaw Skrowaczewski und die Deutsche Radio
Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern vorgenommen
haben, findet seinen Abschluss: Nachdem im vorigen
Jahr bei OehmsClassics bereits die Sinfonien Nr.
1 und 4 erschienen sind, liegen nun auch die Sinfonien
Nr. 2 und 3 vor. 1845/46 entstanden, zeugt die 2. Sinfonie
von vielfältigen ästhetischen Standpunkten. So
ist das Werk formal klassisch gehalten, während die
kontrapunktische Arbeit auf Johann Sebastian Bach
hindeutet. Gestus und Ausdruck sind wiederum der
Romantik verpflichtet. Zudem finden sich Zitate aus
Bachs Musikalischem Opfer sowie aus Beethovens Liederzyklus
An die ferne Geliebte. Woher hingegen der
Untertitel Rheinische der 3. Sinfonie von 1850 rührt,
ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Schumann selbst
erwähnte zum vorletzten Satz das Erlebnis einer Kardinalsweihe
im Kölner Dom. Die Dritte ist Schumanns einzige fünfsätzige
Sinfonie, zudem beginnt der Kopfsatz erstmals ohne langsame
Einleitung.
Erinnerung an eine
„dunkle Zeit“…
Die Sinfonie C-Dur op. 61, von Schumann
selbst als Zweite bezeichnet, entstand in einer
Zeit, in der sich der 35-jährige Komponist in
einer schweren seelischen Depression und einem
schlechten körperlichen Gesundheitszustand befand
und nur wenig komponierte. Später schrieb
Schumann darüber: „Die Symphonie schrieb ich im
Dezember 1845 und noch krank; mir ist’s, als müsste
man ihr dies anhören. Erst im letzten Satz fing ich
an, mich wohler zu fühlen; wirklich wurde ich auch
nach Beendung des Werkes wieder wohler. Sonst aber
… erinnert sie mich an eine dunkle Zeit.“
… die Zweite Sinfonie
Eigentlich ist die Zweite Sinfonie seine dritte,
denn die als Nr. 4 bekannte Sinfonie in d-Moll
komponierte er in erster Fassung bereits 1841,
früher als die Zweite. Nach der Uraufführung
der d-Moll-Sinfonie entschied er aber, diese
nicht in die Zählung seiner Sinfonien aufzunehmen,
weil sie sich im Konzertleben nicht durchsetzen
und Schumann zu seiner Enttäuschung
keinen Verleger für Partitur und Aufführungsmaterial
finden konnte. Erst zehn Jahre später,
1851, arbeitete er sie wesentlich um und nahm
sie als Nr. 4 in die Liste seiner Sinfonien auf.
Zeitlebens hat sich Schumann, wie fast alle Komponisten
um die Mitte des 19. Jahrhunderts, mit
Beethoven auseinandergesetzt. Er war so etwas
wie der „sinfonische Übervater“, hatte mit seinen
Sinfonien einen kaum mehr zu überbietenden
Höhepunkt und damit das Ende der Gattung
erreicht. „Es stand zu fürchten, der Name der Symphonie
gehöre von nun an nur noch der Geschichte
an“, äußerte Schumann einmal resigniert.
Orientierungshilfe bei Schubert
Zur Inspirationsquelle für die Zweite Sinfonie
wurde allerdings Franz Schuberts „große“
C-Dur-Sinfonie, die er in einem Konzert vom
9. Dezember 1845 nach sechs Jahren zum ersten
Mal
wieder gehört hatte. Schumann hielt sie für
„das Größte, was in der Instrumentalmusik nach
Beethoven geschrieben worden ist“.
Dieses Erlebnis hat ihn wohl aus seinen
Depressionen gerissen. Kurz nach dieser Aufführung
notierte er in sein Haushaltsbuch, dass
er über die Komposition einer neuen Sinfonie
(ebenfalls in C-Dur!) nachdenke. In den Tagen
zwischen Weihnachten und Silvester 1845
schrieb er den größten Teil der Skizzen nieder,
die Instrumentierung entstand erst im Spätsommer
1846. Am 5. November 1846 dirigierte Felix
Mendelssohn Bartholdy die Uraufführung im
Gewandhaus zu Leipzig, danach nahm Schumann
einige Änderungen im ersten und letzten
Satz vor. Opus 61 ist wohl die „klassischste“ unter
den vier Sinfonien Robert Schumanns; die
Vorbildrolle Beethovens, aber auch Schuberts
tritt hier deutlicher zu Tage als in seinen anderen
drei Sinfonien. Die motivisch-thematische
Arbeit nach Beethovens Vorbild erscheint in der
Zweiten Sinfonie wesentlich stärker ausgeprägt
als in Schumanns Musik sonst üblich. Wie
auch in seiner Ersten und Vierten Sinfonie stellt
die langsame Einleitung des Kopfsatzes eine
Art Keimzelle dar, aus der sich Thematik und
Rhythmik des Satzes entwickeln. Hier beherrschen
das fanfarenartige Quintenmotiv in den
Blechbläsern und der punktierte Rhythmus der
Einleitung bedeutende Teile des ersten Satzes.
Das Scherzo ist von einer ungestüm vorwärtstreibenden
Sechzehntelbewegung bestimmt,
die fanfarenartige Coda des Scherzos stellt
einen Bezug zum Kopfsatz her. Auch das für
Schumanns Musik so typische lyrische Element
findet sich in der Zweiten Sinfonie, etwa in den
beiden Trio-Teilen des Scherzos, besonders aber
im langsamen dritten Satz. Ausgeprägte Seufzermotivik
und fallende Septimen verleihen
dem „Adagio espressivo“ einen besonders ausdrucksvollen
Charakter.
Seufzermotive, Kontrapunkt und verwegene
Satztechnik
Im zweiten Trio des Scherzos und im langsamen
Satz finden sich kontrapunktisch-polyphon gearbeitete
Partien, die an den Stil Johann Sebastian
Bachs erinnern.
Das ist kein Zufall: Von Frühjahr bis Herbst
1845 betrieben Robert und Clara Schumann
gemeinsam intensive Kontrapunkt- und Bach
Studien. Dabei entstanden unter anderem die
Vier Fugen für Pianoforte (op. 72) und die Sechs
Fugen über den Namen BACH für Orgel (op.
60). Auch die genannten polyphonen Passagen
in der C-Dur-Sinfonie sind fraglos eine Frucht
von Schumanns vorherigen Kontrapunktstudien.
Das Finale bietet eine satztechnische Besonderheit:
Auf die Exposition folgt ohne Durchführung
direkt die Reprise, in die allerdings
durchführungsartige Passagen eingearbeitet
sind. Der ekstatisch überhöhte Schlussteil des
vierten Satzes, in dem manche Musikhistoriker
schon eine Vorbereitung des sinfonischen Stils
von Anton Bruckner sehen, bringt Reminiszenzen
an die vorangegangenen Sätze. Insbesondere
der Quintenfanfare des Kopfsatzes kommt
hier ein besonderes Gewicht zu, so dass sich der
Kreis zwischen der Einleitung des ersten Satzes
und der Coda des letzten Satzes schließt.
Thomas Altmayer
Schaffensdrang
Robert Schumann war in seinem Schaffensprozess
stark abhängig von seelischen
Schwankungen. Nachdem er sein Jurastudium
abgebrochen hatte, widmete er sich ganz der
Musik und der Schriftstellerei. Er gründete die
Neue Zeitschrift für Musik, schrieb viele Musikkritiken
und Musikanalysen und komponierte
dazwischen immer wie ein Besessener. Innerhalb
von vier Tagen und Nächten hat er zum Beispiel
seine erste Sinfonie skizziert, Zeugnis einer unglaublichen
Willensanstrengung. Ganz anders
hatte Beethoven komponiert, das oft übergroße
Vorbild für Schumann und seine Kollegen.
Beethoven hatte häufig monatelang, ja manchmal
sogar jahrelang an einem Stück gearbeitet,
mit einem Werk geradezu gerungen. Im Jahre
1850 war Robert Schumann voller Tatendrang.
Im September zog die Familie Schumann in die
Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz Düsseldorf.
Dort wurde er in sein Amt als Städtischer
Musikdirektor eingeführt. Zu seinen Aufgaben
gehörten die Planung und Durchführung der
Abonnementskonzerte des Musikvereins, die
Proben der Chorgesellschaft und die Leitung
besonderer musikalischer Veranstaltungen in zwei
großen Düsseldorfer Kirchen.
Die Dritte Sinfonie
Die Rheinländer hatten ihn und seine Frau Clara
herzlich empfangen. Schumann wollte ihre
Erwartungen selbstverständlich erfüllen und
machte sich sogleich an die Arbeit. Im Oktober
schrieb er ein Cellokonzert, das berühmt
wurde und bis heute ein fester Bestandteil des
Konzert-Repertoires ist. Unmittelbar nach der
Fertigstellung des Stückes hatte er gleich die
Idee für eine neue Sinfonie. Da Schumann die
Angewohnheit hatte, nach Vollendung jedes
Satzes das entsprechende Datum in der Partitur
zu vermerken, ist die Entstehungsgeschichte der
Sinfonie gut nachzuvollziehen. Am 2. November
1850 begann er mit der Arbeit. Er geriet in
einen regelrechten Schaffensrausch. Mit großer
Geschwindigkeit notierte er zunächst die Themen
und wichtigsten motivisch-thematischen
Verläufe. Am 9. Dezember hatte er die Sinfonie
bereits vollendet.
W as ist nun der „Inhalt“ der Dritten Sinfonie?
Schumann war ein durch und durch romantischer
Komponist. Äußerst sensibel hat er
die sinnlichen und poetischen Eindrücke, die
er erhielt, verarbeitet. Aber wie ist es mit dem
Gefühl, das Schumann ergriffen haben soll, als
er den Kölner Dom erblickte? Er war gewiss
von diesem Eindruck überwältigt, unter dem
er dann – angeblich – begonnen hat, die Dritte
Sinfonie zu komponieren. Wilhelm von Wasielewski,
der erste Biograph Robert Schumanns,
hatte behauptet, der Komponist habe den ersten
Anstoß zu dem neuen Werk durch den Anblick des
Cölner Domes erhalten. Immerhin ist nachgewiesen,
dass Schumann am 5. und 6. November
1850 den Dom ausgiebig besichtigt hatte – also
während der ersten hitzigen Schaffensphase an
der Dritten Sinfonie.
Ein Füllhorn an Ideen
Der erste Satz mit der Überschrift „Lebhaft“
beginnt ohne langsame Einleitung direkt mit
Schwung und dem Hauptthema. Es klingt wie
ein Signal und wird von den Musikern breit und
klangvoll ausgeführt. Große Intervallsprünge
und eine komplexe rhythmische Struktur
charakterisieren dieses Thema. Es hat genügend
musikalische Substanz, um daraus zahlreiche
Motivgestalten abzuleiten und zu verarbeiten.
Dies macht Schumann in der Durchführung,
in der er sein Ausgangsmaterial nach allen Regeln
der Kunst variiert sowie harmonisch und
instrumental immer neu färbt. Mit dem Hauptthema
in den Hörnern bereitet Schumann dann
die Reprise vor. Sie ist recht kurz und bündelt
die unterschiedlichen musikalischen Gestalten
dieses ersten Satzes.
Der zweite Satz „Scherzo – sehr mäßig“ steht
in einem gemächlichen Dreier-Takt. Es ist ein
„Ländler“, ein Tanz, der ursprünglich aus Österreich
kam und auch in Süddeutschland viel
getanzt wurde. Das Thema des Ländlers ist
übersichtlich gegliedert, und so ist dieser Teil
der Sinfonie beschaulich mit einigen kleineren
dissonanten Akzenten, die die Stimmung dieses
Satzes jedoch nicht nachdrücklich eindunkeln.
Zu einem Scherzo gehört auch ein Trio. Dieser
Teil des Satzes ist etwas langsamer, in der Dritten
Sinfonie erkennt man das Trio an einem lang
liegenden Ton, einem sogenannten Orgelpunkt,
über dem die Bläser eine zarte Melodie intonieren.
Im dritten Satz „Nicht schnell“ erklingen drei
musikalische Gedanken, die alle ähnlich harmonisiert
sind. Mit diesem Kunstkniff kann
sie Schumann gegeneinander verschränken
und miteinander verknüpfen, ohne die heiterlyrische
Stimmung durch zuviel motivisch-thematische
Arbeit zu verkomplizieren.
Gegen den Strich gebürstet
Eine klassische Sinfonie besteht normalerweise aus
vier Sätzen. Schumann durchbricht diese Regel.
Sein vierter Satz „Feierlich“ bildet noch nicht das
Finale. Er hat ihn zusätzlich eingefügt. Warum er
auf diese Idee kam, geht aus einer Bemerkung hervor,
mit der er den Satz ursprünglich überschrieben
hatte: „Im Charakter der Begleitung einer feierlichen
Ceremonie“. Musikwissenschaftler haben nun spekuliert,
Schumann habe diese Musik komponiert,
als der Erzbischof Johannes von Geißel zum Kardinal
erhoben wurde. Doch Schumann hatte die
Feierlichkeiten im Kölner Dom nicht erlebt. An
jenem 12. November 1850 war er krank und hütete
in Düsseldorf das Bett. Also darf man diese
Anmerkung nicht allzu wörtlich nehmen, zumal
Schumann sie später auch wieder getilgt hat.
Die feierliche Stimmung erzielt Schumann
durch ein enges kontrapunktisches Geflecht, das
er aus den einzelnen Stimmen zusammenwebt
und auch durch die Verwendung von Posaunen.
Mit einer synkopischen, gegen die Taktschwerpunkte
gezielten Rhythmik bekommt das Geschehen
zudem einen strengen, fast archaischen
Charakter. Schumanns Ehefrau Clara war dieser
Satz ein Rätsel. In ihrem Tagebuch hat sie dazu
vermerkt: „Welcher der fünf Sätze mir der liebste,
kann ich nicht sagen … Der vierte jedoch ist derjenige,
welcher mir noch am wenigsten klar ist; er
ist äußerst kunstvoll, das höre ich, doch kann ich
nicht so recht folgen, während mir an den anderen
Sätzen wohl kaum ein Takt unklar ist.“
Im fünften, „Lebhaft“ überschriebenen Teil
der Sinfonie verknüpft Schumann zahlreiche
Ideen und Motive aus den vorangegangenen
Sätzen und bündelt das Geschehen mit einer
kurzen Fuge. Mit Beginn des letzten Abschnittes
(Coda) treten die Posauen dann erneut markant
in Erscheinung. Die Musik wirkt so, als
wäre an dieser Stelle ein Knoten durchtrennt
und ein Durchbruch geschafft.
Schumann konnte nach der Uraufführung
seiner Dritten Sinfonie im Februar 1851 sehr
zufrieden sein. Er hatte die Aufführung dirigiert
und war vom Publikum herzlich gefeiert
worden. Die Beliebtheit der Sinfonie hängt
bestimmt mit ihrer Gelöstheit und Leichtigkeit
zusammen. Schumann bezeichnet sie in
einem Brief an seinen Verleger Simrock sogar
als „volkstümlich“. Sie spiegele „hier und da ein
Stück Leben wieder“. Zumindest das Leben der
Rheinländer.
Eckhard Roelcke