Hans Thomalla - Dark Spring (2020)
Wendla: Shachar Lavi
Ilse: Anna Hybiner
Melchior: Christopher Diffey
Moritz: Magid El-Bushra
Nationaltheater-Orchester Mannheim
Alan Pierson
Erfolgsdruck im Popularitätsranking des Freundeskreises, und nicht zuletzt dem Druck zu einer perfekten Performance in Sexualität und
Intimität. Der Druck ist verinnerlicht. Eltern oder Lehrer treten in der Oper nicht auf, und die Protagonisten stehen den spätkapitalistischen
Anforderungen einer ständigen Ich-Optimierung ganz alleine gegenüber. Der Konflikt zwischen Erfolgsdruck einerseits und dem Gefühl
von Ohnmacht und unerreichbarer Selbstverwirklichung in einer Zeit permanenter Stagnation andererseits spitzt sich mehr und mehr zu
und schlägt schließlich um in Destruktion: in die sexuelle Gewalt von Melchior und den Selbstmord von Moritz.
Im Zentrum der Oper steht weniger die Erzählung einer linearen Geschichte jener vier jungen Menschen, sondern vielmehr ihr Versuch
die damit verbundenen oft widersprüchlichen Gefühle zu artikulieren und zu verstehen. Gefühle von Entfremdung und Verlorenheit
in einer Gesellschaft, die auf Produktivität und Erfolg ausgerichtet ist, und die zugleich deren Erreichen so gut wie unmöglich macht;
Gefühle von Schmerz und Leid aber auch vom Verlangen nach Schmerz als sexuelles Erleben; Gefühle von Solidarität und Liebe, die
zwischen den vier Protagonisten aufscheinen, aber auch die Angst vor der damit einhergehenden Verletzbarkeit. In einer Welt des alles
umfassenden Wettbewerbs erscheinen Gefühle jedoch als Blöße. Die Sehnsucht, zu begegnen, sich zu offenbaren und sich und den
Anderen zu spüren, und dafür einen eigenen Ausdruck zu finden, verunsichert.
Die vier Protagonisten von Dark Spring singen Songs. Sie artikulieren ihre Gefühle in der Maske des scheinbar distanzierten Formschemas
aus Reim, Vers, Strophe und Refrain. Hinter der Formalisierung dieser Songs und ihren Bildern bricht jedoch immer wieder eine rohe,
ungeformte Klanglichkeit durch, eine undomestizierte akustische Welt aus Geräusch, Lärm, Schrei und Stille.