Mehrere Interpreten, die wir in der Serie „OehmsClassics
Debut“ als Geheimtipp vorgestellt haben, sind mittlerweile
in der Spitze ihres Fachs etabliert, z.B. das
Klavierduo Duo d’Accord oder der Pianist Herbert
Schuch. Nun wieder ein neuer Name, den man sich
merken sollte: der 1987 in Rostock geborene Clemens
Berg. Er weist bereits eine beachtliche Konzerttätigkeit
vor, u. a. im Konzerthaus Berlin beim Benefizkonzert
„Meister der Klassik – Mozart und Beethoven“,
bei den Musikfestspielen Mecklenburg-Vorpommern
und den Usedomer Musikfestspielen. 2007 gewann
er den Klavierwettbewerb des Kulturkreises der deutschen
Wirtschaft im BDI.
Musikförderung im Kulturkreis
der deutschen Wirtschaft
Der Musikwettbewerb des Kulturkreises
der deutschen Wirtschaft
wird alljährlich in einem anderen Instrument
oder einem Fach der klassischen
Musik ausgeschrieben und gehört inzwischen
zu den traditionsreichsten Instrumentalwettbewerben
in Deutschland.
Das Musikgremium im Kulturkreis
der deutschen Wirtschaft vergibt einmal
im Jahr an den Gewinner des Musikwettbewerbs
den Musikpreis der deutschen
Wirtschaft. Dazu wird eine Fachjury berufen,
die zusammen mit dem Gremium die
Preisträger ermittelt.
Der Klavierwettbewerb 2007 „Ton und
Erklärung – Werkvermittlung in Musik
und Wort“ war von seinem Profil her so
angelegt, dass er über die gesamte Bühnenpersönlichkeit
seiner Teilnehmerinnen
und Teilnehmer Auskunft geben sollte.
Die Musikerinnen und Musiker stellten
sich in der Abfolge von drei Runden einer
besonderen Aufgabe: Sie sollten ihre
Wahl- und Pflichtstücke auf höchstem
künstlerischen Niveau präsentieren und
einleitend ihre Interpretation erklären.
Jeder Wettbewerbsbeitrag sollte so den
Charakter einer eigenen „Performance“
bekommen, welche den Pianisten in seiner
Gesamtpersönlichkeit abbildete.
Weitere Informationen unter:
www.kulturkreis.eu
Kulturkreis der deutschen
Wirtschaft
Der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft
ist in Deutschland das einzige
überregionale Forum für unternehmerische
Kulturförderung. Zu seinen Mitgliedern
zählen die wichtigsten deutschen
Unternehmen. Seit 55 Jahren fördert er
talentierte Nachwuchskünstler in den Bereichen
Literatur, Bildende Kunst, Musik
sowie Architektur und gehört damit zu
den bedeutendsten Institutionen an der
Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft.
Clemens Berg über diese Einspielung
Frédéric Chopin. Das ist der Name jenes
Komponisten, mit dem ich meine
Debüt-CD beginne – selbstverständlich,
wie könnte es anders sein! Niemand kann
sich der Faszination dieses Einzigen unter
den Berühmten, der seine Werke fast ausschließlich
dem Klavier widmete, entziehen,
seiner zarten Poesie, seinem kühnen
Klangsinn, seiner meisterhaften Vollendung
auf dem Klavier. Doch neben diesen
vielgerühmten Eigenschaften gilt meine
ganze Bewunderung etwas anderem: seiner
Traurigkeit. Diese ist genauso kompromisslos
wie Bachs polyphone Strenge oder
Beethovens Heroismus. Sie hat nichts Gekünsteltes,
sondern entspringt den tiefsten
Regionen seiner Seele. Ist die Traurigkeit in
der Gesellschaft akzeptiert? Wer sagt schon
freimütig „ich bin traurig“, ohne dass ihm
kollektives Bedauern, gar Verachtung
widerführe? Ich bewundere Chopin, weil in
seiner kompromisslosen Ehrlichkeit wahre
Größe zu uns spricht.
Meine CD beginnt mit der großen,
vierten Ballade in f-Moll. Ruhig fließend
beginnt ein schlichtes Thema in C-Dur,
nichts, so scheint es, könnte diese Idylle
trüben. Doch wie sich C-Dur als Dominante
mit eiserner Konsequenz in die Tonika
auflösen muss, folgt das eigentliche
Hauptthema in f-Moll. Dessen elegische
Weise bestimmt den Geist der Ballade,
kontrastierend wirkt nur ein liebevolles,
wiegendes Thema in B-Dur. Nach dieser
Themenexposition kommt es in einer
freien Durchführung zu mannigfaltigen
Stimmungsbildern, mal unheilvoll mystisch,
mal graziös elegant, dann wieder
freudig aufbegehrend. Höhepunkt bildet
die überraschende, in Parenthese eingeschobene
Wiederkehr des schlichten
ersten Themas in herrlich entferntem
A‑Dur. In der Reprise wird die Geschichte
zunehmend erregter: Das Hauptthema
erscheint mit schneller Läufen und viel
Rubato bereits ziemlich gequält, während
sich das dritte Thema stetig steigert
und zum Schluss geradezu triumphal in
Des-Dur aufschwingt. Nun zeigt sich die
ganze tragische Konsequenz der Ballade:
Nach einer erzwungenen Modulation in
die düstere f-Moll-Tonika rast die Musik
in ungewöhnlich schroffe und brutale Akkorde,
die nun gewaltsam das Ende des
Stückes ankündigen. Es scheint, als laufe
die ganze Ballade auf dieses blutende Kondukt
hinaus. Vergleiche drängen sich auf
zu Chopins eigenem Leben, der ja schon
im Alter von 39 Jahren nach langer, schwerer
Krankheit sterben musste. Nach einer
Generalpause erklingen dann wie aus dem
Himmel kommend Glockenschläge (wie
am Anfang in C-Dur!), die jedoch kaum
Hoffnung zu spenden vermögen. Und
schließlich endet das Werk in einer wahnsinnigen
f-Moll-Coda, voll – man kann es
nicht
anders benennen – chaotischer und
rasender Verzweiflung.
Anders als in der großen Ballade zeigt
sich die Traurigkeit in den Nocturnes in
ihrer in sich gekehrten Form. So hat der
Anfang des Nocturnes op. 48 Nr. 1 den
Ausdruck schlichter Melancholie. C-Moll
beherrscht dann auch 24 Takte lang das
musikalische Geschehen, bis im Mittelteil
überraschend ein neues, choralartiges Thema
in C-Dur erscheint, anfangs äußerst
leise gehalten steigert es sich zu triumphaler
Kraftentfaltung. Umso erschreckender
wirkt dann die Wiederkehr des Hauptthemas,
nun im doppelten Tempo geradezu
angstvoll verzerrt. Nach einer letzten,
verzweifelten Steigerung endet das Nachtstück
dann in unglaublich einsamen, verhaltenden
c-Moll-Akkorden. Ohne Zweifel
ist der triumphale Mittelteil eine Vision
von Kraft und Glück, welche jedoch in
der Nacht und an der Nacht scheitert. Sie
ist nicht real, eine kurzer Traum. Zurück
bleibt nur stille, nächtliche Traurigkeit.
Das zweite Nocturne erscheint mir fast
noch trauriger. Wenn das vorherige Stück
noch als aufbäumend bezeichnet werden
kann, so erscheint das zweite widerstandslos,
unlebendig, ermattet. Endlos klingen
die stets abwärts gerichteten Melodiebögen.
Der Des-Dur-Mittelteil – in schnellem
Tempo vielleicht ein Scherzo – erscheint
durch das noch langsamere Tempo
und die vielen piano-Einschübe und Ritardandi
kraftlos und seltsam unbeteiligt.
Der einzige wirkliche Höhepunkt führt
dann auch in einem unglaublichen Trugschluss
wieder nach fis-Moll zurück. Die
Reprise überrascht durch neue Varianten
und führt nach vielen Trillerketten zum
Schluss sogar nach Fis-Dur, und das Nocturne
endet in süßer Ermattung. So führte
nicht die kraftvolle Vision und der klagende
Widerstand der ersten Nocturnes zum
Dur-Schluss, sondern die vollkommene
Ergebung des zweiten. Das ist Chopins
ehrliches Bekenntnis. Es verdient unsere
Wertschätzung.
Der zweite Teil meiner CD ist Werken
der Moderne gewidmet. Alban Bergs Sonate
op. 1 schlägt hierbei den Bogen zwischen
den Epochen, könnte man dieses
elegische Werk doch als die größtmögliche
Steigerung des romantischen Ausdruckswillen
bezeichnen. Gleichzeitig weist es
mit seiner scheinbaren Atonalität in die
Zukunft. Mit dem Ende in h-Moll – übrigens
vom Anfang abgesehen der einzige
h-Moll-Akkord der Sonate – wird in dieser
düsteren Tonart auch die Tonalität begraben,
ein neues Zeitalter beginnt.
Die Variationen op. 27 von Anton Webern
zählen zu meinen absoluten Lieblingsstücken.
Bis ins Letzte zwölftontechnisch
konstruiert, manifestiert sich in dem Werk
trotzdem ein genialer Ausdruckswillen. Webern,
entgegen falscher Vorstellungen vom
trockenen Minimalisten, wollte für nahezu
jeden Ton einen eigenen Ausdruck finden.
So sang er seinen Schülern seine Musik
vor(!), nie jedoch berichtete er von den
Techniken, wie sie gemacht sei. Ich hoffe,
Sie lernen den verhaltenen ersten Satz, den
lustig bewegten zweiten und den eine Reihe
verschiedener Stimmungen durchlaufenden
dritten Satz wie ich zu schätzen.
Danach folgt ein Exkurs in die Gegenwart.
Ich hatte die große Freude, die
folgenden zwei Préludes von Manfred
Trojahn uraufzuführen zu dürfen und
bin stolz, diese als Erster auch einspielen
zu können. Als Hommage an die Préludes
Claude Debussys, findet er gleichsam eine
eigene, moderne Sprache für seine Stücke.
Lassen Sie sich einfach von den Titeln inspirieren…
Zum Abschluss habe ich mit der Zweiten
Sonate von Alberto Ginastera von 1982
ein Stück aufgenommen, das vor allem
durch prägnante Rhythmen geprägt ist.
So bedient sich der fröhliche erste Satz
verschiedener lateinamerikanischer
Tänze,
während der nächtliche zweite Satz
von Gesängen der Urvölker inspiriert ist.
Ginastera nannte das Thema dieses Satzes
ein melancholisches Liebeslied, gesungen
in der Nacht. Der Mittelteil, in der Art eines
Scherzos, handelt von den ganz leisen
Geräuschen in der stillen Nacht. Der letzte
Satz geht dann noch einmal ganz in rhythmischer
Kraftentfaltung auf, eine Musik,
in der Brutalität durchaus gewollt ist. Und
so verwundert es nicht, dass die Sonate
dann äußerst kraftvoll und bestimmt zu
Ende geht.
Viel Vergnügen beim Hören wünscht
Clemens Berg.