Unter Stanislaw Skrowaczewski wurde 2007 die erste
CD der Deutschen Radio Philharmonie veröffentlicht.
Nun folgt die mit Spannung erwartete erste CD unter
dem Chefdirigenten Christoph Poppen (der junge
Klangkörper vereint das Rundfunk-Sinfonieorchester
Saarbrücken und das SWR Rundfunkorchester
Kaiserslautern). Auf drei CDs wurden die fünf
Sinfonien desjenigen Komponisten eingespielt, den
Schumann einst „Mozart des 19. Jahrhunderts“ nannte
– Felix Mendelssohn Bartholdy. Ist die 1. Sinfonie, die
hristoph oppen
erster Chefdirigent der Deutschen Radio Philharmonie
Mendelssohn 1824 mit fünfzehn Jahren schuf, noch der
Wiener Klassik verpflichtet, so knüpft die 2. Sinfonie
(„Lobgesang“) an Beethovens Neunte an: Kantatenartig
werden schließlich Texte aus Luthers Übersetzung des
Alten Testaments vertont. Im Finalsatz der 5. Sinfonie
(„Reformationssinfonie“) ertönt hingegen der Luther-
Choral Ein feste Burg ist unser Gott. Reiseeindrücke
prägen wiederum die berühmten Sinfonien Nr. 3
(„Schottische“) und 4 („Italienische“).
Christoph Poppen im Interview
mit Teresa Pieschacón Raphael
(November 2007 in Saarbrücken)
Herr Poppen, wieso gab es bisher so wenige
Gesamtaufnahmen von Mendelssohns
Symphonien?
Das liegt wohl daran, dass er nach wie vor im
Konzertleben nicht den Platz gefunden hat,
den er meiner Meinung nach verdient. Das
wiederum hat verschiedene Gründe: In der
deutschen Romantik, die ja gewissermaßen
geprägt ist von einer unerfüllten und oft leidvollen
Sehnsucht nach der unerreichbaren
„Blauen Blume“, nimmt Mendelssohn eine
Ausnahmestellung ein. Auch seine Musik ist
von Sehnsucht geprägt, aber diese mündet
bei ihm in den meisten Fällen in einen erfüllten
Glückszustand. Er war offenbar wirklich
ein glücklicher Mensch. Und eben diesem
Phänomen begegnet das Publikum bis heute
mit Misstrauen, und oft hört man die Unterstellung,
dass seine Sehnsucht und damit
seine Musik nicht ehrlich sei. Ich glaube das
nicht.
Eine ziemlich melancholische Einstellung…
Warum darf das nicht ein Kunstmodell sein,
dass sich eine Sehnsucht auch erfüllt?
Ich würde es sogar als Lebensmodell gelten
lassen! Es gibt übrigens eine Statistik, die zeigt,
dass Mendelssohn in Deutschland weniger
häufig gespielt wird als im Ausland. Das hängt
wahrscheinlich schon mit der deutschen Einstellung
zur Romantik zusammen – auf der
anderen Seite ist es natürlich auch eine Folge
der Kulturpolitik des Dritten Reiches.
Es gibt das Wort des Kritikerpapstes Eduard
Hanslick, demzufolge bereits im 19.
Jahrhundert die Wagnerianer und Antisemiten
in „Hass und Überhebung“ ihr
„trauriges Geschäft“ trieben.
Ja. Und das Dritte Reich setzte dies fort.
Aber inzwischen hat sich ja einiges geändert.
Ich bin nicht der einzige, der immer wieder
für Mendelssohns Werk gekämpft hat. Wir
schulden ihm so viel.
Inwiefern unterscheiden sich die einzelnen
fünf Symphonien? Was macht das Besondere
der Ersten aus, die 1824 entstand?
Natürlich nimmt die erste Symphonie als
Werk des Fünfzehnjährigen eine Sonderstellung
ein. Man spürt hier deutlich den
Einfluss der Klassiker (Beethoven/Haydn!),
und doch findet Mendelssohn bereits hier zu
einer persönlichen Sprache. Wann hört man
diese Symphonie schon einmal im Konzert?
Die Entstehungsreihenfolge der übrigen
vier Symphonien entspricht nicht ihrer
Nummerierung.
Ja, das muss man berücksichtigen. Die Reformations-
Symphonie (mit Nr. 5 beziffert) entstand
im Winter und Frühjahr 1829/30 zum
300-jährigen Jubiläum 1830 der „Confessio Augustana“,
der grundlegenden Bekenntnisschrift
des Protestantismus. Doch das Jubiläum wurde
dann doch nicht gefeiert, und so wurde das
Werk erst zwei Jahre später uraufgeführt.
Ihr folgte die Italienische (mit Nr. 4 beziffert),
die Mendelssohn in Rom und Neapel
1830/31 in Angriff nahm, die aber erst 1833 in
London uraufgeführt wurde. Fast ein Jahrzehnt
später – um 1839/40 – komponierte
er den Lobgesang (mit Nr. 2 beziffert) zum
400-jährigen Jubiläum der Erfindung der
Buchdruckerkunst 1840. 1842 dann, zwölf
Jahre nach seiner Reise ins schottische Hochland,
entstand sozusagen aus der Erinnerung
heraus die Schottische (mit Nr. 3 beziffert),
wobei er seinerzeit schon Skizzen angefertigt
hatte. Wenn ich die Symphonien rein von
ihrer Entstehung her ordnen würde, müsste
es heißen: Nr. 1, Nr. 5, Nr. 4, Nr. 2, Nr. 3.
Dann gibt es ja noch unterschiedliche Fassungen…
Mendelssohn war sehr selbstkritisch. So identifizierte
er sich ebensowenig mit der Reformations-
Symphonie wie mit der noch heute
fast ausschließlich gespielten Erst-Version der
Italienischen.
Wir haben erst überlegt, ob wir
in dieser Aufnahme die von ihm revidierte endgültige
Fassung dieser Symphonie präsentieren
sollten, aber abgesehen von einigen hochinteressanten
Details finde ich ehrlicherweise
nicht, dass diese Version stärker ist als der „erste
Wurf“. Diese jugendliche, nicht so sehr reflektierte
Kraft Mendelssohns hat einfach eine ganz
besondere energetische Wirkung.
Welche Symphonie hat für Sie die größte
Wirkung?
Dass die beiden weltlichen Symphonien sich
im Konzertleben am besten etabliert haben,
ist nicht verwunderlich, bergen sie doch eine
ungeheuer attraktive Dramatik und auch
eine sehr wirkungsvolle Virtuosität in sich.
Aber die größte Dimension hat doch eindeutig
die Lobgesang-Symphonie, in der er auf
viele Ansätze aus der Reformations-Symphonie
zurückgreift. Hier haben wir wieder diese
ganz starke und sich erfüllende Sehnsucht,
die sich im Religiösen bei Mendelssohn genau
so leidenschaftlich äußert wie im Persönlichen.
Und wie er jüdische Elemente
mit denen christlicher Choräle verschmilzt,
kann uns fast vermuten lassen, dass er auch
die Sehnsucht in sich trug, die großen Religionen
miteinander zu versöhnen.
Deutsche Radio Philharmonie
Saarbrücken
Kaiserslautern
Die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken
Kaiserslautern ging im September
2007 in die erste Spielzeit. Chefdirigent
ist Christoph Poppen.
Als erstes Orchester, das aus dem Zusammenschluss
zweier Rundfunkklangkörper
verschiedener Sender hervorgeht, knüpft es
dabei an die traditionsreiche Geschichte des
Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken
(SR) und des Rundfunkorchesters Kaiserslautern
(SWR) an.

Sitz des neuen Orchesters ist Saarbrücken
und Kaiserslautern. Mit 114 Musikern
ist es eines der größten Orchester der ARD
und verfügt über eine größere Bandbreite an
künstlerischen Möglichkeiten als die beiden
Ursprungsorchester. So kann es sich einem
vielfältigen Repertoire und außergewöhnlichen
Programmen widmen.
Die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken
Kaiserslautern konzertiert vor allem
in der Großregion SaarLorLux und Rheinland-
Pfalz. Regelmäßige Spielstätten für die
seit langem erfolgreichen Abonnementzyklen
sind die Congresshalle in Saarbrücken, die
Fruchthalle in Kaiserslautern und die Sendesäle
des Saarländischen Rundfunks und des
SWR in Kaiserslautern.
Nationale Präsenz zeigt das Orchester in
der ersten Spielzeit mit Gastspielen in der Alten
Oper Frankfurt, in der Philharmonie im
Gasteig und im Herkulessaal in München, in
der Philharmonie in Essen und beim Festival
„RheinVokal“.
Die Konzerte der Deutsche Radio Philharmonie
Saarbrücken Kaiserslautern werden
– über die deutsch-französische Rundfunk-
Kooperation auch europaweit – auf
SR 2 KulturRadio und zum großen Teil auch
auf SWR2 übertragen.
Neben Auftritten von Weltstars wie Maxim
Vengerov, Sharon Kam und Julia Fischer
erhalten junge Künstler in einer Konzertreihe
ein eigenes Forum. Wiederbegegnungen gibt
es mit dem Ersten Gastdirigenten Stanislaw
Skrowaczewski sowie mit dem ehemaligen
Chefdirigenten des RSO Günther Herbig.
In Familienkonzerten, moderierten Konzerten
und Künstlerbegegnungen werden
neue Wege der Musikpräsentation beschritten.
Reihen wie „Musik für junge Ohren“,
„Musikspielplatz“ und Konzertprojekte in
Zusammenarbeit mit Schulen wenden sich
explizit an ein junges Publikum.