Lieder großer Dirigenten – Gustav Mahler mag der
erste Name sein, der einem dazu einfällt. Doch eine
Reihe weiterer Dirigenten, deren kompositorisches
Schaffen eher unbekannt ist, hat hörenswerte Werke
für Singstimme und Klavier geschrieben, darunter
der Mahler-Zeitgenosse Hans von Bülow, aber
auch Vertreter der nachfolgenden Generation wie
Clemens Krauss und Bruno Walter. Ihnen ist diese
CD gewidmet, und der Wert dieser Einspielung
ist umso höher, als dieses Raritätenprogramm von
höchstrangigen Sängern interpretiert wird: Petra
Lang (Mezzosopran) und Michael Volle (Bariton).
Die Liedvertonungen spiegeln nicht nur eine Zeit
des musikalischen Umbruchs sondern auch eine literarische
Stilwandlung. So wählte Hans von Bülow
Texte von Goethe, Grimm u.a., Bruno Walter schrieb
Zyklen nach Heine und Eichendorff, Clemens Kraus
schließlich komponierte seine Acht Gesänge nach
Texten von Rilke.
Spiegelbilder von Geisteswelten
Dirigentenlieder von Hans von Bülow,
Bruno Walter und Clemens Krauss
E s steckt in Ihnen die volle Gabe des Komponisten
in der großen Bedeutung des Wortes.“
Kein Geringerer als Franz Liszt schreibt
diese Worte am 3. August 1863. Der Brief ist
an seinen Freund Hans von Bülow gerichtet.
Richard Wagner pflichtet Liszt bei: „Mache
Deinem Inneren Luft durch Productivität als
Componist“, so der Musiktheater-Titan 1855
zu Bülow. Dieser sah jedoch sein schöpferisches
Schaffen recht zwiespältig. Er sei unproduktiv
geboren, soll Bülow gegenüber
Liszt geäußert haben. Keine Frage, Hans von
Bülow (1830–1894) hat vornehmlich als Dirigent
Musikgeschichte geschrieben.
Als unermüdlicher Propagator der Werke
von Johannes Brahms, Hector Berlioz und
den sogenannten „Neudeutschen“ Franz Liszt

und Richard Wagner nahm Bülow auch Skandale
in Kauf, vor allem bei Aufführungen von
Letzteren. Während der damalige Wiener Kritikerpapst
Eduard Hanslick wie auch Friedrich
Nietzsche zwischen Brahms und Wagner
Keile trieben, betrachtete Bülow die Musik
als folgerichtige Entwicklung von Beethoven
über Brahms bis hin zu Wagner – oder anders:
die Musikgeschichte als Geschichte der musikalischen
Formwandlungen, ganz so wie der Titel
eines bedeutenden Buches des deutsch-jüdischen
Musikschriftstellers Paul Bekker.
Und doch stellen die hier eingespielten
Lieder op. 5 von 1857 und op. 30 von 1884 Bülows
Beherrschung der Form unter Beweis.
Es stellt sich also eine Frage: Warum scheint
sich Bülow für sein schöpferisches Wirken
rechtfertigen zu müssen? Dahinter verbirgt
sich ein künstlerisch-sozialer Wandel. Während
es nämlich bis zum 19. Jahrhundert eher
der Norm entsprach, dass Dirigenten zur Feder
und Komponisten zum Taktstock griffen,
trennten sich ab Beethoven zunehmend die
Rollen – interessanterweise parallel zur Industrialisierung.
Als „Kapellmeistermusik“ werden gerne
die Werke von Dirigenten abgetan, dabei gibt
es auch heute bedeutende Dirigentenkomponisten:
Man denke nur an Pierre Boulez oder
Peter Eötvös. Im späten 19. Jahrhundert waren
es hingegen insbesondere Gustav Mahler
und Richard Strauss, die noch dazu mit
die wichtigsten Dirigentenlieder überhaupt

komponierten. Mahler verehrte Bülow, Bülow
seinerseits hatte indessen ein ambivalentes
Verhältnis zu Mahler. Als Dirigenten
verehrte er ihn, Bülow ließ Mahler auf einer
Operngala sogar einen Lorbeerkranz überreichen
(laut Bruno Walter hing der Lorbeerkranz
stets über Mahlers Schreibtisch).
Als Mahler jedoch Bülow seine Totenfeier
– also den Kopfsatz zu seiner späteren 2.
Sinfonie – auf dem Klavier vortrug, soll sich
dieser die Ohren zugehalten haben: „Wenn
das noch Musik ist, verstehe ich nichts mehr
von Musik!“ Denn für den älteren Bülow
endete die Musik mit Wagners Vorspiel zu
Tristan und Isolde, er selbst hatte am 25. März
1859 die Konzertfassung des Vorspiels in Prag
uraufgeführt. Den Schluss hatte Bülow beigesteuert,
Wagner komponierte das Ende der
Konzertfassung des Tristan-Vorspiels erst im
Dezember 1859. Bülows Schluss kam seinerzeit
sehr gut an: Ohne Blick in die Partitur
habe man nicht hören können, wo Wagner
ende und Bülow anfange, so eine Kritiker-
Stimme.
Während sich Bülow in seinen Tondichtungen
mit der sogenannten neudeutschen
Richtung auseinandersetzt, sind die hier eingespielten
Lieder insgesamt der Früh- und
Hochromantik – der Blütezeit also des deutschen
Klavierlieds – verpflichtet. In ihnen
spiegelt sich die traditionsbetonende Seite
im Schaffen und Wirken von Bülow wider.
Dagegen zeugen Bruno Walters Lieder nach
Joseph von Eichendorff und Heinrich Heine
– erstmals 1910 bzw. 1901/02 veröffentlicht –
mehr oder weniger von dessen Hingabe für
die Musik seines engen Freundes Mahler.
Von Mahler wie auch Robert Schumann
rührt etwa die subtile Tragikomik in Der Soldat
her, die Tragödie 2 ist wiederum von den
für Mahler typischen Dur-Moll-Wechseln
und harmonischen Rückungen geprägt. Tatsächlich

war Bruno Walter (1876–1962) unter
den Dirigenten der zentrale Wegbereiter des
seinerzeit äußerst umstrittenen, unter den
Nazis und teilweise auch Sowjets schließlich
verbotenen Sinfonikers Mahler. Walter war
es, der postum Mahlers 9. Sinfonie und das
Lied von der Erde uraufführte. Zu Beginn seiner
Laufbahn hatte er Mahler an der Hamburger
Oper assistiert. Zuvor hatte den jungen
Walter ein Konzert unter Bülow derart
stark beeindruckt, dass er für sich entschloss,
Dirigent zu werden.
In Mahler sah Walter einen Lehrmeister
und Seelenverwandten, was auch an der eigenen
jüdischen Herkunft lag. Noch im Januar
1938, als wenig später in Österreich der Einmarsch
der deutschen Braunhemden gefeiert
wurde, gab Walter mit den Wiener Philharmonikern
Mahlers Neunte. Bald darauf wurde
Walter von den Nazis ins Exil getrieben.
Dagegen verraten die vielfach orchestral
gedachten Acht Lieder nach Rainer Maria
Rilke von Clemens Krauss (1893–1954), die
erstmals 1920 erschienen, eine grundsätzliche
Affinität zum Jugendstil.
Es war Richard Strauss, der einige seiner
Lieder in der 1896 gegründeten Münchner
Zeitschrift Jugend veröffentlichte (sie gab dem
Jugendstil seinen Namen). Mit der Rückkehr
zu einprägsamen Melodien, mitunter filigranimpressionistischen
Verzierungen in der Begleitung
und der Betonung der Singstimme
übertrug Strauss den Jugendstil in das Liedgenre.
Hier knüpft Krauss an. In seiner Zeit
als Dirigent an der Wiener Staatsoper lernte er
Strauss auch persönlich kennen, fortan sollte
sie eine enge Freundschaft verbinden.
Nicht zuletzt schuf Krauss das Textbuch
zu der ihm gewidmeten Oper Capriccio. In
Krauss’ Liedern sind zudem Bezüge zu Alban
Bergs Sieben frühen Liedern von 1907 wahrzunehmen.
Vor Aufführungen seiner Acht
Lieder wünschte sich Krauss den gesprochenen
Vortrag des Rilke-Gedichts Initiale : „Aus
unendlichen Sehnsüchten steigen / endlich
Taten wie schwache Fontänen, / die sich zeitig
und zitternd neigen. / Aber, die sich uns
sonst verschweigen, / unsre fröhlichen Kräfte
– zeigen / sich in diesen tanzenden Tränen.“
Marco Frei
Petra Lang, Sopran

Petra Lang studierte nach abgeschlossenem
Violinstudium Gesang und entwickelte
sie sich zur gefragten Darstellerin von Wagners
Brangäne, Kundry, Venus, Sieglinde, Ortrud,
Adriano, Bartoks Judith, Bergs Marie,
Berlioz’ Cassandre, Strauss’ Ariadne und zur
Interpretin des Vokalwerks Gustav Mahlers.
Die Sängerin singt mit den großen Orchestern
und an den renommierten Opernhäusern
diesseits und jenseits des Atlantiks unter dem
Dirigat von Abbado, Boulez, Bychkov, Chailly,
Chung, Davis, Haitink, Harding, Inbal, Janowski,
Jordan, Metha, Muti, Saraste, Sawallisch,
Rattle, Runnicles, Tate und Thielemann. Petra
Lang sang bei den Festspielen von Salzburg,
Bregenz, Edinburgh und Bayreuth.
Sie besuchte Meisterkurse bei Fassbaender,
Fischer-Dieskau und Schreier und arbeitete
mit Ch. Spencer, M. Martineau, C. Piazzini
sowie W. Rieger. Ihr Repertoire umfasst Lieder
von Berg, Berlioz, Brahms, Britten, Duparc,
Fauré, Liszt, Mahler, Marx, Milhaud, Mozart,
Poulenc, Reger, Schönberg, Schubert,
Schumann, Sibelius, Strauss, Wagner, Wolf,
Zemlinsky. Die Mezzosopranistin gab Liederabende
in Amsterdam, Brüssel, Darmstadt,
Dortmund, Düsseldorf, Dresden, Edinburgh,
Feldkirch, Genf, Gent, London, Mainz, München,
New York, Paris und Wiesbaden.
CDs: Tristan und Isolde (Thielemann, Queler),
Les Troyens (Colin Davis, 2 Grammys), Le
Nozze di Figaro (Harnoncourt), Rossini Stabat
Mater (Creed), Mahler II/III (Chailly).
Michael Volle, Bariton

Michael Volle – von Josef Metternich
und Rudolf Piernay ausgebildet – hat
sich nach Festverpflichtungen an Häusern
wie Mannheim, Düsseldorf, Köln und Zürich
zu einem international bedeutenden
Sänger seines Fachs entwickelt.
Er ist Gast der internationalen Bühnen
und Festspiele, wie z.B. der Bayreuther Festspiele
(Die Meistersinger von Nürnberg/
Beckmesser in der Neuinszenierung von Katharina
Wagner, 2007), Baden-Baden Pfingstfestspiele
(Falstaff/Ford, 2007), Salzburger
Festspiele (Neuinszenierung Die Gezeichneten/
Tamare, 2005), der Berliner Festwochen,
der Grand Opéra Paris, der Mailänder Scala,
dem Théâtre de la Monnaie Brüssel, des Royal
Opera House London (Le Nozze di Figaro/
Graf, 2006, Neuinszenierung Salome/Jochanaan,
2008, Lulu/Dr. Schön/Jack the Ripper
und Tristan und Isolde/Kurwenal, 2009),
der Deutschen Oper Berlin, der Staatsopern
Berlin (Don Giovanni/Titelpartie, Le Nozze
di Figaro/Graf und Ariadne auf Naxos), Dresden
(Don Giovanni/Titelpartie) und Hamburg
(wie zum Beispiel Tannhäuser/Wolfram,
2006/2007 und Pélleas et Mélisande/Golaud,
2009). Debüt an der Staatsoper Wien, Spielzeit
2001/2002 mit Re-Engagement für Don
Giovanni/Titelpartie unter Seiji Ozawa, Februar
2004. Festverpflichtung an das Opernhaus
Zürich (1999 bis 2007).
Mit Beginn der Spielzeit 2007/2008
Wechsel an die Staatsoper München, an der
er unter anderem in Neuinszenierungen von
Eugen Onegin/Onegin, Palestrina/Morone
und Wozzeck/Wozzeck zu hören sein wird.
Eine umfangreiche Konzerttätigkeit
und Liederabende sowie die Arbeit mit internationalen
Spitzenorchestern unter bedeutenden
Dirigenten wie Sir Colin Davis,
Bernard Haitink, James Levine, Seiji Ozawa,
Zubin Mehta, Riccardo Muti, Charles Dutoit,
James Conlon, Valery Gergiev, Antonio
Pappano, Kent Nagano, Mstislaw Rostropowitsch,
Wolfgang Sawallisch, Marek Janowski,
Mariss Jansons, Philippe Herreweghe und
Franz Welser-Möst zeigen das internationale
Renommee dieses Künstlers.
Rundfunkaufnahmen und Fernsehauftritte
sowie diverse CD- und DVD-Produktionen
dokumentieren sein künstlerisches
Schaffen.
Adrian Baianu, Klavier

Nach dem Abitur Musikstudium in
München (Klavier bei G. Hefele, Liedgestaltung
bei E. Werba, H. Deutsch, N.
Shetler und S. Mauser), Musikwissenschaft,
Theaterwissenschaft und Italienische Philologie
an der Ludwig Maximilians-Universität
und am Mozarteum in Salzburg.
Adrian Baianu arbeitet als Korrepetitor
und Liedbegleiter u.a. mit Susan Anthony,
Wolfgang Brendel, Albert Dohmen, Wolfgang
Koch, Petra Lang, Noëmi Nadelmann,
Andreas Schmidt, Juha Uusitalo, Michael
Volle, Edith Wiens und Elena Zaremba.
Liederabende in Berlin (Komische Oper),
Bern, Krakau, Leipzig (Gewandhaus), München
(Prinzregententheater), Savonlinna
(Opernfestival), Stuttgart, Zürich.
CDs: Lieder von Enjott Schneider, Lieder
von Franz Schreker, Lieder von Engelbert
Humperdinck sowie Brahms’ Schöne Magelone.