Anton Bruckner: Vorspiel und Fuge c-Moll
Vinzenz Goller: Festpräludium in memoriam Anton Bruckner
Franz Liszt: Variationen über „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“
Josef Rheinberger: Orgelsonate Nr. 9 b-Moll op. 142
Max Reger: Phantasie über den Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ op. 52/2
Andreas Götz, Organ by F.B. Maerz, St. Rupert, Munich
Eine der wenigen erhaltenen großen Orgeln des Münchner Orgelbauers Franz Borgias Maerz findet sich heute in der katholischen Stadtpfarrkirche St. Rupert in München. Herausragende Bedeutung erhält das Instrument dadurch, dass es zudem eine der wenigen überlebenden Konzertsaal-Orgeln dieser Zeit ist, ursprünglich wurde es nämlich für den königlichen Odeon-Saal gebaut und war hier bis 1907 beheimatet. Das Booklet dieser SACD gibt einen ausführlichen Einblick in die bewegte Geschichte des Instruments, das die Kriegswirren überstand und erst ab 1997 sorgfältig restauriert wurde. Der Organist Andreas Götz spielt auf dieser Orgel Werke, deren Komposition direkt mit der Odeon-Orgel verknüpft sind, oder deren Entstehung im unmittelbaren
Umfeld anzusiedeln ist. Josef Rheinberger z.B. war als Orgel- und Kompositionsprofessor in München regelmäßig Solist an der Odeon-Orgel, und Andreas Götz beschränkt sich bei der Widergabe der Orgelsonate Nr. 9 ausschließlich
auf die 25 erhaltenen Orgelregister aus dieser Zeit.
Die Odeon-Orgel
Vorliegende Aufnahme wurde auf der 1887
errichteten historischen Maerz-Orgel des
königlichen Odeons in München aufgenommen.
Seit 1907 befindet sich das inzwischen
erweiterte Instrument in der katholischen
Stadtpfarrkirche St. Rupert, ebenfalls in der
bayerischen Landeshauptstadt.
Die Klangschönheit der Orgel dokumentiert
eindrucksvoll die Kunst des bedeutenden
süddeutschen Orgelbauers Franz Borgias
Maerz, der an der Wende vom 19. zum
20. Jahrhundert zu den führenden Instrumentenbauern
seiner Zeit zählte. Durch seine Verbindung
mit einem der ehemals berühmtesten
und geschichtsträchtigsten Konzertsäle – 18
Jahre lang erklang die Orgel bei den Aufführungen
im großen Saal des königlichen Odeon
in München – kommt dem Werk zudem eine
herausragende Bedeutung als Denkmalorgel
und somit Stück Münchner Musiktradition zu.
Der Erbauer der Odeon-Orgel
Franz Borgias Maerz wurde 1848 als Franz
Borgias Nothwinkler in München geboren.
Nach dem Tod beider Eltern wurde der Knabe
von dem befreundeten Nachbarsehepaar
Max und Maria Maerz adoptiert.
Das Orgelbauhandwerk erlernte er in der
Werkstatt seines Stiefvaters, der das Unternehmen
bereits in zweiter Generation leitete.
Nach dem Tode von Max Maerz übernahm
Franz Borgias ab 1879 den Betrieb seines Ziehvaters.
Der wirtschaftliche Aufschwung Münchens
am Ende des 19. Jahrhunderts führte
dazu, dass die bis dahin eher unbedeutende
Orgelbauanstalt in der Landsbergerstraße
eine hervorragende Auftragslage verzeichnen
konnte. Aufgrund der hohen Qualität seiner
Werke wurde Maerz 1905 der Titel „Königlich
Bayerischer Hoforgelbauer“ verliehen, der
seine Stellung unter den bedeutendsten Orgelmachern
der Zeit verdeutlicht. 1910 verstarb er
nach längerer Leidenszeit in München.
Sein OEuvre umfasst allein über 400 Orgelneubauten,
50 davon für die bayerische Landeshauptstadt.
Durch den sich verändernden
Zeitgeschmack, sowie durch Kriegsverluste
sind zahlreiche Werke aus seiner Hand heute
zerstört. Das Instrument in St. Rupert stellt
so als einzige erhaltene Maerz-Orgel dieser
Größenordnung in München und als eines
der wenigen Beispiele einer erhaltenen
Konzertsaalorgel ein besonderes Klang- und Zeitdokument
dar, das die Meisterschaft seines
Erbauers noch heute bezeugt. Ein vergleichbares
Werk aus der Hand Maerz befindet sich
erst wieder im Dom zu Augsburg.
Das königliche Odeon in München
Das zwischen 1826 und 1828 im Auftrag Ludwig I.
nach Plänen von Leo von Klenze (1684–1764) im
Stil der Neurenaissance erbaute Münchner
Odeon gehörte bis zu seiner Zerstörung im
Kriegsjahr 1944 zu den herausragendsten Stätten
öffentlicher Musikkultur. Als Aufführungsort
überregional bedeutender Konzertveranstaltungen,
Sitz der Musikalischen Akademie und
des königlichen Konservatoriums, das ab 1867
als königliche Musikschule neu gegründet wurde,
gewann das Münchner Odeon schnell an
internationaler Reputation.
Aus der langen Reihe der hier konzertierenden
Künstler seien stellvertretend nur
Anton Bruckner, Johannes Brahms, Robert
Schumann, Hans von Bülow, Gustav Mahler,
Richard Strauss, Karl Straube und Josef Gabriel
Rheinberger erwähnt.
Die Orgel in St. Rupert München war also
ursprünglich nicht als Kirchenorgel gebaut
worden, sondern wurde von Franz Borgias
Maerz als Konzertsaalorgel für das königliche
Odeon konzipiert. Nach Abbau und Übertragung
des alten von Joseph Frosch errichteten
Werkes in die Stadtpfarrkirche Halsbach 1887
lieferte Maerz noch im selben Jahr ein neues
zweimanualiges Instrument mit mechanischen
Kegelladen und 25 Registern für den großen
Konzertsaal. Äußerlich besaß die Maerz-Orgel
damals ein noch völlig anderes Erscheinungsbild.
Über einem schlichten Untergehäuse, das
durch stehende quadratische Füllungen akzentuiert
wurde, erhob sich ein dreiteiliger Pfeifenprospekt
mit einfachen Flachfeldern, deren
mittleres leicht vorsprang. Das geschmackvoll
zurückhaltende Dekor mit Dreiecksgiebel und
Zinnenfries fügte sich stilistisch gut in die Architektur
des Konzertsaales ein.
Der Wunsch, ein größeres Instrument
zu besitzen – auch war die eher ungünstige
Platzierung der Maerz-Orgel auf dem Orchesterpodium
mehrmals beklagt worden – führte
zwischen 1905 und 1906 zum Abbau des alten
Werkes und zum Einbau einer neuen Orgel aus
der Werkstatt der Orgelbaufamilie Walcker mit
64 klingenden Registern auf vier Manualen.
Aufstellung fand das elektro-pneumatische Instrument
auf dem Säulenumgang oberhalb der
Tribüne. Der Zerstörung des Odeons im 2. Weltkrieg
fiel auch die Walcker-Orgel zum Opfer.
Der heutige Aufstellungsort der Odeon-Orgel:
Die Stadtpfarrkirche St. Rupert
Zwei Jahre nach ihrem Abbau erhielt die
Maerz-
Orgel 1907 in der gerade erst errichteten
Stadtpfarrkirche St. Rupert im Münchner
Westend
eine neue Heimat. Bedingt durch
die stetig steigende Einwohnerzahl der bayerischen
Residenzstadt kam es damals zu
mehreren Kirchenneubauten an der urbanen
Peripherie. Der Entwurf für den groß angelegten
Sakralbau stammte von dem berühmten
Architekten Gabriel
von Seidl (1848–1913).
Zwischen 1901 (erster Spatenstich) und 1908
(Einweihung) entstand so am Gollierplatz ein
überkuppelter Zentralbau über quadratischem
Grundriss, dessen vier Seiten von je einer
halbrunden Konche abgeschlossen wurden.
Stilistisch griff der repräsentative Bau die
Formensprache
romanisch-byzantinischer Vorbilder
auf.
Umbauten und Restaurierung
Beim Einbau in den Kirchenraum erweiterte
Maerz – selbst Pfarrkind der Gemeinde – die
Orgel um drei Zungen-Register (Trompete 8’
im I. Manual, Clarinette 8’ im II. Manual und
Posaune 16’ im Pedal). Außerdem wurde die
Traktur des Werks pneumatisiert. Zusätzlich
wurden weitere Spielhilfen, wie z.B. zusätzliche
Koppeln und freie Kombinationen,
sowie ein Schwellzug hinzugefügt und der
Winddruck auf 110 mm erhöht. Auch optisch
musste sich das Werk an die neue Umgebung
anpassen. Zeigte es sich im Konzertsaal noch
von dessen neuklassizistischer Ausstattung
geprägt (z.B. durch einen Dreiecksgiebel mit
Lyra), wurde es nun durch Bogenfriesdekor,
Rundgiebelaufsatz, Kreuze etc. an die Gegebenheiten
des Sakralraumes angeglichen.
Auch wurde der bisher dreiteilige Prospekt um
zwei seitliche Flachfelder erweitert. Am Untergehäuse
sind noch heute die Schnittstellen
der Erweiterungen erkennbar.
Im Jahr 1933 kam es durch die Münchner
Orgelbaufirma Magnus Schmid zu umfangreichen
Umbaumaßnahmen. Obwohl technisch
immer noch einwandfrei, wurde das Instrument
– um dem Zeitgeschmack und den modernen
Möglichkeiten im Orgelbau zu entsprechen
– um mehrere Stimmen und Spielhilfen
(z.B. Pedalpiano und Registercrescendo) ergänzt.
Die Stimmenzahl wurde auf 37 erhöht.
Durch den Einbau hochtöniger Register, wie
z.B. Sesquialter 2 2/3’ und Scharf 1’, und das
Kürzen der Aeoline 8’ zum Piccolo 1’ (II. Manual),
sowie dem Austausch des Cornetts durch
eine Cymbel 2/3’ (I. Manual), sollte das ursprünglich
romantische Klangbild des Werkes
an das von der Orgelbewegung protegierte
Ideal der norddeutschen Barockorgel herangeführt
werden. Das äußere Erscheinungsbild
des Instruments wurde vollständig verändert.
Von dem originalen Gehäuse blieb nur das Untergehäuse
erhalten. Der Prospektbereich mit
seinen Flachfeldern wurde durch einen mächtigen
Freipfeifenprospekt ersetzt, der zur Mitte
hin vorhangbogenartig ansteigt. Den notwendig
gewordenen neuen Spieltisch lieferte die
Firma Ludwig Eisenschmid (Erling).
Im zweiten Weltkrieg wurde das Instrument
durch eine in der Nähe der Kirche einschlagende
Sprengbombe schwer beschädigt.
Scherben der geborstenen Kirchenfenster
durchlöcherten die Prospektpfeifen und drangen
so auch in die Windladen.
Mitte des letzten Jahrhunderts kam es
dann zu mehreren Eingriffen in das wertvolle
Werk. Einige historische Pfeifenreihen aus der
Werkstatt Franz Borgias Maerz wurden einfach
gekürzt, um neue Klangfarben zu erhalten.
Der Cellobass 8’ wurde so zum Choralbass
4’, das Dolcissimo 4’ zur Kleinquinte 1 1/3’ und
die Vox coelestis 8’ zur Oktave 2’ umgebaut.
Am Ende des 20. Jahrhunderts zeigte sich
die Orgel in einem derart desolaten Zustand,
dass eine umfangreiche Restaurierung unumgänglich
wurde. Die Wiederherstellung hatte
den Bestand des Instruments von 1907 zum
Vorbild, dessen originale Disposition bis auf
vier Register noch erhalten war. Gekürzte Pfeifen
wurden wieder angelängt, fehlende rekonstruiert.
Außerdem wurden die Erweiterungen
aus dem Jahr 1933 teilweise umdisponiert und
so klanglich sinnvoll an die älteren Werkbestandteile
angeglichen. Zusätzlich wurde der
bis dahin stumme 16’-Prospekt als Hauptwerksprinzipal
spielbar gemacht. Die umfassenden
Arbeiten wurden ab 1997 unter der Leitung des
französischen Orgelbauers Jean-Paul Edouard
durchgeführt. 2001–2003 vollendete Stefan
Niebler die Gesamtintonation des Werkes.
Zum Programm
117 Jahre lang – von seiner Erbauung
zwischen 1826 und 1828 bis zu seiner
Zerstörung 1944 – prägte das königliche
Odeon mit seinen Konzerten, Bällen, Künstlerfesten
und sonstigen Veranstaltungen das
kulturelle und gesellschaftliche Leben weit
über die Grenzen Münchens hinaus. Namhafte
Komponisten, Dirigenten und Interpreten
gastierten in dem repräsentativen Saal. Zahlreiche
Ur- und Erstaufführungen wurden hier
zu Gehör gebracht.
Die Intention der vorliegenden Einspielung
ist es, ein Stück dieser Musiktradition zu dokumentieren
und wieder lebendig werden zu
lassen. Mit der Maerz-Orgel in St. Rupert ist
das adäquate Instrument hierfür erhalten geblieben,
denn es beherbergt, obwohl inzwischen
umgebaut und erweitert, im Kern noch
die ehemalige Orgel des königlichen Odeon.
Zu den herausragendsten Künstlerpersönlichkeiten,
die mit dem Odeon aufs engste verbunden
waren, zählte sicherlich Anton Bruckner
(1824–1896). 1885 erlebte der Einundsechzigjährige
hier mit der Aufführung seiner 7. Sinfonie
unter dem Dirigat Hermann Levis einen der
größten Erfolge seiner bisherigen Laufbahn.
Im darauf folgenden Jahr konnte Bruckner
miterleben, wie sein Te Deum vom Münchner
Publikum ebenfalls begeistert aufgenommen
wurde. Es ist überliefert, dass Bruckner jeweils
nach der Generalprobe die Orgelbank
bestieg und als musikalisches Dankeschön für
die Orchestermusiker und Zuhörer sein organistisches
Können eindrucksvoll unter Beweis
stellte. Zu dieser Zeit befand sich noch ein
Werk der Orgelbaufirma Joseph Frosch im großen
Konzertsaal. Diese erste Odeon-Orgel hat
sich im niederbayerischen Halsbach erhalten.
Im kompositorischen Schaffen Bruckners ist
der Einfluss der Orgel, die ihm als Inspirationsquelle
diente, mannigfach. Dennoch sind von
ihm insgesamt nur sechs Kompositionen für
dieses Instrument erhalten, da er als begnadeter
Improvisator wenig niedergeschrieben
hat. Die Aufnahme seines Werks Präludium
und Fuge in c-Moll für Orgel in das Programm
dieser SACD ist als Reminiszenz an diesen
großen Meister zu verstehen. Die Komposition
selbst war von Bruckner ursprünglich als
kontrapunktische Studie geplant gewesen. Im
Vorspiel dominieren harmonische
Komponenten, durch die das Werk einen festlichen Charakter
erhält. Charakteristisch für das Präludium
ist die chromatisch von as bis es absteigende
Linie (Passus diriusculus) am Ende der
Komposition, die über einem darauf folgenden
neapolitanischen Sextakkord und dem Septakkord
der erhöhten vierten Stufe zur Dominante
zurückgeführt wird. In der Fuge scheinen bereits
die für Bruckner typischen Motive und
Elemente seiner späteren Symphonien – wie
z.B. der Dreiklang und der Vorhalt der kleinen
Sext vor der reinen Quint – vorweggenommen
zu sein.
Den musikalischen Brückenschlag von Bruckner
in die Zeit der Erweiterung der Maerz-Orgel
in den 30er Jahren des vorherigen Jahrhunderts
bildet das Festpräludium für Orgel in
memoriam Anton Bruckner von Vinzenz Goller
(1873–1953). Das dem Zeitgeschmack entsprechend
monumental anmutende Werk wurde
anlässlich der Transferierung der Brucknerbüste
in die Walhalla am 6. Juni 1937 geschrieben.
Dieser für die Nationalsozialisten symbolische
Akt der „Heimholung“ Bruckners ins
Deutsche Reich (unter Anwesenheit von Hitler
und Goebbels) wurde mit der Aufführung von
Bruckners 5. Sinfonie durch die Münchner
Philharmoniker unter Siegmund von Hausegger
in der Minoritenkirche Regensburg
begangen. Goller legte Motive aus dieser Sinfonie
seinem Festpräludium zugrunde. Damit
ist die Komposition – mit ihrem kurzen expressiven
Vorspiel, das in eine freie Fuge mündet
– auch eine musikalische Verneigung vor dem
großen Symphoniker Anton Bruckner.
Herzstück der Einspielung ist das historische
Programm mit Werken von Liszt, Rheinberger
und Reger, das Karl Straube (1873–1950) am
20. November 1905 im Münchner Odeon spielte.
Leider konnte bis heute anhand der Quellenlage
noch nicht eindeutig geklärt werden, ob dieses
Konzertprogramm noch auf der Maerz-Orgel
oder bereits auf ihrer Nachfolgerin, der Walcker-
Orgel gespielt wurde. Das Opusbuch der
Firma Walcker notiert die Vertragsaufgabe bereits
in den Mai 1905 und verspricht eine Auslieferung
bis spätestens Mitte Oktober desselben
Jahres. Das Instrument selbst ist aber erst auf
Anno 1906 datiert.
Der Thomaskantor Straube begann sein Konzert
mit dem Variationswerk über den
chromatischen Instrumentalbass des Eingangschores
der Bachkantate „Weinen, Klagen, Sorgen,
Zagen“ von Franz Liszt (1811–1886). Dieses
Motiv des Passus diriusculus verwendete
Bach später auch im „Crucifixus“ der h-Moll-
Messe. Die Komposition Liszts eignet sich mit
ihren teils polyphon, teils akkordisch gesetzten
Themenvariationen hervorragend dazu, sowohl
die orchestralen Qualitäten als auch die Klangschönheit
der Soloregister der Maerz-Orgel
darzustellen. Das Werk wird durch 16 Takte
Lento eingeleitet, die die folgenden kontrastierenden
Variationen thematisch bereits vorwegzunehmen
scheinen. Den Abschluss bildet
der Schlusschoral „Was Gott tut das ist wohlgetan“
der besagten Kantate. Das Aufscheinen
der Melodie dieses beliebten Kirchenliedes
– in vorliegender Aufnahme mit der entrückt
klingenden „Vox humana“ registriert – verleiht
der klagenden Grundhaltung der Komposition
einen hoffnungsvoll-triumphalen Ausblick.
Die musikwissenschaftliche Forschung
sieht in dem Werk, in dem Liszt seine persönlichen
Schicksalsschläge – wie z.B. den Verlust
seines Sohnes Daniel und den Tod seiner
Tochter Blandine – zu verarbeiten suchte,
auch ein Stück Trauerarbeit.
Den unmittelbarsten Bezug zur Maerz-Orgel
bildet das Schaffen von Josef Rheinberger
(1839–1901), dessen Orgelsonate Nr. 9 in
b-Moll (op. 142) bei dem Konzert am 20. November
1905 ebenfalls aufgeführt wurde.
1867 erfolgte die Ernennung Rheinbergers
zum Professor für Orgel und Komposition an
der durch Richard Wagner und Hans von
Bülow erneuerten königlichen Musikschule,
die im Münchner Odeon ihre Heimstatt hatte.
Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem Tode
1901. Rheinberger war also mit der Maerz-
Orgel bestens vertraut und hat auf ihr auch
selbst häufig gespielt. Zahlreiche Kompositionen
aus seiner Feder erklangen auf diesem
Instrument zum ersten Mal. Herauszuheben
ist hier besonders die Uraufführung seines
Orgelkonzerts in g-Moll im Jahr 1894 unter der
musikalischen Leitung von Richard Strauss.
Den Solopart übernahm damals Josef Becht,
der sich später im Zusammenhang mit der
Übertragung der Maerz-Orgel nach St. Rupert
gutachtlich über das Instrument äußerte und
somit ihre Authentizität als ehemalige Odeon-
Orgel eindeutig bezeugte. Die Orgelsonate
Nr. 9 verfügt über drei Sätze: Präludium – Romanze
– Fantasie und Finale. Das Finale besteht
aus einer Fuge, deren Thema mit seinen
fallenden Quinten an symphonische Motive
Bruckners erinnert. Am Ende der Fuge greift
der Komponist nochmals das Hauptthema
des Präludiums auf. Rheinberger hat dieses
anspruchsvolle Werk dem berühmten französischen
Organisten Alexandre Guilmant
gewidmet. Bei der Einspielung der Sonate
wurden ausschließlich die 25 noch erhaltenen
Originalregister der Maerz-Orgel verwendet,
über die das Instrument während seiner Zeit
im Odeon verfügte.
Der fulminante Abschluss des historischen
Straubeprogramms ist die Choralphantasie
„Wachet auf ruft uns die Stimme“ (op. 52/2)
von Max Reger (1873–1916). Mit Reger verband
den Thomaskantor ab ca. 1897 eine
lebenslange Freundschaft – bei dem Konzert
im Odeon war der Oberpfälzer Komponist
sogar persönlich anwesend. Eine klanglich
weitgehend authentische Darstellung dieser
komplex-virtuosen Choralphantasie scheint
auf der Maerz-Orgel erst durch die Erweiterungen
der 30er Jahre und die Renovierung
des Instruments am Ende des vergangenen
Jahrhunderts möglich geworden zu sein. Das
Werk basiert auf dem gleichnamigen Kirchenlied
von Philipp Nicolai aus dem Jahr 1599.
Die geistige Größe dieser Komposition zeigt
sich in dem Nebeneinander von Choralvariation
und symphonischer Dichtung. Der düster
eschatologischen Endzeitstimmung der Introduktion
– die durch blitzartig aufflammende,
den Jüngsten Tag anzukündigen scheinende
Läufe und Akkorde unterbrochen wird
– wird die jubelnde Fuge – innerhalb derer die
Schlussstrophe „Gloria sei dir gesungen“ erklingt
– gegenüber gestellt.
Die Aufnahme in Form einer SACD ermöglicht
es, einen lebendigen Eindruck von dem
charakteristisch-symphonischen Klang der
Odeon-Orgel in der außerordentlichen Akustik
der Kirche St. Rupert (München) zu erhalten.
Martina Topp