Piano Sonatas Vol. 3:
No. 4 op. 7 “Grande Sonate” · No. 9 op. 14/1 · No. 10 op. 14/2
No. 12 op. 26 “Funeral March”
Michael Korstick, piano
Spannende, wunderbar verinnerlichte, überraschende Deutungen“ (Die Zeit), „Ein Glücksfall!“ (Süddeutsche Zeitung), „Einer der interessantesten Beethoven-Interpreten unserer Zeit“ (Welt am Sonntag), „Keine Frage: Hier wächst einer der interessantesten Beethoven-Zyklen seit Jahren heran“ (Wirtschaftswoche).
Der Start von Michael Korsticks Beethoven-Zyklus wurde mit Enthusiasmus begrüßt. Gleich mehrere Gesamteinspielungen konkurrieren derzeit um die Gunst der Klavierfans. Korsticks Version liegt hier ganz vorn, einerseits auf Grund seiner künstlerischen Leistung, die quer durch die Medien gewürdigt wurde, andererseits wegen des Mehrwerts, der sich aus der Hybrid-SACD-Technik ergibt, verbunden mit einem äußerst günstigen Verkaufspreis.
Beethovens Sonaten
opp. 7, 14 und 26
Als im Oktober 1797 bei Artaria in Wien Ludwig van Beethovens neuestes Klavierwerk
erscheint, lässt bereits die äußere Form der Veröffentlichung auf das gesteigerte
Selbstbewusstsein des 26-jährigen Komponisten schließen. Hatte Beethoven nämlich bis dahin seine Erstlingsbeiträge zu den Gattungen Klaviertrio (op. 1) und Klaviersonate (op. 2) in Dreiergruppen präsentiert
(bei seinen Streichtrios op. 9 und den Violinsonaten op. 12 sollte er ebenso verfahren), und waren auch seine ersten Cellosonaten (op. 5) immerhin noch als Paar erschienen, so deutet schon die Tatsache, dass Beethoven seine neueste Schöpfung nunmehr einzeln, zudem unter dem Titel „Grande Sonate”, als sein Opus 7 herausbringt,
auf den Wert hin, den Beethoven diesem Werk beimisst und zeitlebens beimessen
wird.

Und tatsächlich ist dieser Titel keineswegs
Ausdruck einer Selbstüberschätzung des jungen Komponisten, der eben die ersten Sprossen auf der Erfolgsleiter erklommen hat, sondern ist durchaus programmatisch zu deuten: Nicht nur sollte diese Sonate (mit Ausnahme
der in jeder Hinsicht monumentalen „Hammerklaviersonate” op. 106) die längste in Beethovens Schaffen bleiben, auch stellt ihre Ausdehnung alles in den Schatten, was das 18. Jahrhundert auf dem Feld der Sonate bislang hervorgebracht hatte. Schon der erste
Satz sprengt mit seinen 352 Takten jeden Rahmen – zum Vergleich: Mozarts bei weitem längster Sonatenhauptsatz, KV 533, begnügt sich mit 239 Takten. Doch keine Spur von Redseligkeit, im Gegenteil: Die scheinbare Materialfülle der Exposition ist das Ergebnis eines erstaunlichen Maßes an thematisch-motivischer Arbeit, welche eigentlich per definitionem dem Durchführungsteil vorbehalten
sein sollte. Und so kann man beinahe von einem formalen Experiment sprechen, wenn der eigentliche Durchführungsteil mit nur 52 Takten fast lakonisch anmutet und auf die klassischen Durchführungstechniken beinahe demonstrativ verzichtet. Nicht minder
orchestral und sinfonisch angelegt ist der zweite Satz, dessen C-Dur weniger hell strahlt als von innen heraus leuchtet, und der mit einfachsten Mitteln, darunter den berühmten, das Hauptthema mitkonstituierenden
Pausen, ein Maximum an Tiefe und Ausdrucksdichte erreicht. Der dritte Satz gewinnt im Vergleich mit seinen Vorgängern aus op. 2 an Ausdehnung und Gewicht hinzu,
er ist zum ersten Mal weder als Scherzo noch als Menuett bezeichnet, sondern deutet auf das Genre des romantischen Impromptus voraus. Das Finale gibt sich, vergleichbar mit der A-Dur-Sonate op. 2, zunächst ganz klassizistisch,
doch der kontrastierende Mittelteil nimmt hier geradezu eruptiven Charakter an. Nach der Freisetzung derartiger Energien ist es fast logisch, dass Beethoven es sich leistet,
nach einer wirklich gewagten harmonischen
Rückung beim letzten Erscheinen des Hauptthemas (es erklingt im harmonisch weit abgelegenen E-Dur!), diese Klaviersinfonie in einer mild leuchtenden Coda, basierend auf dem Material des explosiven Mittelteils, im Pianissimo verklingen zu lassen.
Bei den beiden Sonaten op. 14 kann die auf den ersten Blick einfach erscheinende
Faktur den oberflächlichen Betrachter darüber hinwegtäuschen, dass Beethoven sich hier erstmals daran macht, die von ihm zu neuen Höhen geführte Sonatenform aufzubrechen und mit neuen Lösungen zu experimentieren. So verzichtet die E-Dur-Sonate ganz auf den traditionellen langsamen

Mittelsatz und setzt an dessen Stelle ein Allegretto in e-Moll, von dem Schindler überliefert, in Beethovens eigenem Vortrag sei es „mehr ein Allegro furioso” gewesen.
Die G-Dur-Sonate hingegen bringt als Mittelsatz ein Thema mit Variationen: Beet-hovens erster Versuch, die Variationsform in die Klaviersonate einzuführen. Mozart hatte dies bereits in seinen Sonaten KV 331 und KV 284 getan, dort allerdings als Kopf- bzw. Finalsatz.
Dagegen entwirft Beethoven in der Sonate
op. 26 eine völlig anders geartete Satzdramaturgie:
Er ersetzt den traditionell schnellen ersten Sonatensatz durch ein ausgedehntes „Andante con variazioni“, er rückt zum ersten Mal das Scherzo an die zweite Stelle, statt des erwarteten lyrischen Adagios erscheint ein orchestral konzipierter Trauermarsch (tatsächlich hat Beethoven den Satz später
orchestriert), das Finale stellt dem nicht die erwartete Schlussapotheose gegenüber, sondern verklingt, ja verebbt beinahe, auf einem einzelnen Basston im Pianissmo. Im Gegensatz zu den noch rein ornamental gehaltenen
Variationen der Sonate op. 14 Nr. 2 begegnen wir in op. 26 bereits einer komplexen
Folge von Charaktervariationen, welche ahnen lassen, zu welchen Höhen der späte Beethoven die Variationstechnik innerhalb der Sonatenform führen wird.
Allen vier Sonaten auf dieser CD ist gemeinsam,
dass sie – wenn auch unter unterschiedlichen
Voraussetzungen – immer wieder unterschätzt worden sind. So wurde die Sonate op. 7 oftmals als „akademisch” und „trocken” abgetan, galten die Sonaten op. 14 als „leichtgewichtig”, „weniger bedeutend”,
ja sogar als „Anfängerstücke”, wurde op. 26 gern wegen einer „fehlenden Finalwirkung” als „Experiment eines Komponisten
auf der Suche nach neuen Formen”
gering geschätzt.
Gefragt, worin die Ursachen hierfür liegen
könnten, meint Michael Korstick, dass sich das antiquierte Bild vom Pathos des Titanen
Beethoven wohl so weit in den Köpfen habe festsetzen können, dass derart subtile Werke, die nicht in dieses Klischee passen, an den einschlägigen Erwartungen vorbeigehen
mussten und folglich falsch eingeschätzt wurden. So sieht er auch für den Interpreten „die Gefahr, in die Falle zu tappen, Dinge besser wissen zu wollen als der Komponist, zu verharmlosen, zu glätten”. Er verweist dabei
etwa auf die Tatsache, dass Beethoven für den Kopfsatz der Sonate op. 7 erstmals die Bezeichnung „Allegro molto e con brio” verwendet, oder dass die Kopfsätze beider Sonaten op. 14 mit „Allegro” überschrieben sind, zumeist aber als „Allegretto” oder gar „Moderato” dargeboten werden. „Solche Vorschriften binden dem Interpreten doch eigentlich die Hände. Nimmt man diesen Sätzen die von Beethoven einkomponierte kinetische Energie, entsteht ganz zwangsläufig
in Bezug auf den Werkcharakter ein Vakuum, und wenn dieses Vakuum dann, wie man es so oft hört, mit künstlichen Zutaten
wie agogischen Verzerrungen, Dehnungen,
aufgesetzten dynamischen Effekten aufgefüllt wird, hat das Ergebnis meist nicht mehr viel mit dem ursprünglich gemeinten Charakter des Werkes zu tun”.
Wobei sich natürlich die Frage stellt, welche Möglichkeiten ein Interpret bald 200 Jahre nach dem Tode des Komponisten
überhaupt hat, sich dem Charakter eines Werkes angemessen zu nähern. Für Michael Korstick liegt die Antwort in zwei Kardinaltugenden: „Leidenschaftliche Hingabe
an den Geist der Musik, demütige Akribie gegenüber ihrem Buchstaben!“
Sascha Selke