Symphony No. 3 “Eroica” · Egmont Overture · Coriolan Overture
Bertrand de Billy, conductor
Vienna Radio Symphony Orchestra
Exakte Umsetzung der Tempoanweisungen des Komponisten, also auch der bei Beethoven immer wieder in Frage gestellten Metronomangaben – für Bertrand de Billy eine wichtige interpretatorische Bedingung, und zwar nicht aus Pedanterie oder bloßem musikologischem Ehrgeiz, sondern weil nur so die wahren Form- und Gewichtsverhältnisse des Werks erhalten bleiben. Beim ersten Satz der dritten Sinfonie z.B. gerät bei der Wahl eines zu langsamen Tempos die gesamte Satzkonstrukt in Schieflage, was zu der willkürlichen Tradition führte, die von Beethoven geforderte Wiederholung der Exposition einfach
wegzulassen. Bertrand de Billy dirigiert Beethovens „Eroica“ – wir haben es hier mit dem Ergebnis intensiver Beschäftigung mit einem Notentext zu tun, der aufgrund seiner außerordentlichen Popularität oftmals wenig reflektiert zur Aufführung kommt. Bereits mit seiner Einspielung von Schuberts großer C-Dur-Sinfonie (OC 339), ebenfalls mit dem Radio-Symphonieorchester Wien, bewies de Billy, dass man auch heute noch mit einem modern besetzten Orchester Standardwerke der Klassik in neuer, exemplarischer Weise interpretieren kann. Ergänzt wird das aktuelle Album durch die beiden „Helden“-Ouvertüren Egmont und Coriolan.
„So lieb ist der liebe Gott auch wieder nicht, dass er dem, der keinen Inhalt hat, die Form schenkt“*
Zu Beethovens Prometheus-Symphonie „Eroica“
* Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka in einer Diskussion in den 70er Jahren zu Joseph Beuys
In den 200 Jahren seit der Veröffentlichung von Beethovens großer Symphonie in Es-Dur, seiner dritten, die unter dem Titel Eroica weltberühmt werden sollte, sind so völlig unterschiedliche
Deutungen sowohl zum Inhalt als auch über die Form erschienen, wie selten bei einem musikalischen Meisterwerk.
Das rührt sicherlich zu einem guten Teil daher, dass es gerade diese Symphonie ist, die das Tor zur weiteren Entwicklung der Gattung in jeder Hinsicht weit aufstößt, denn bis hin zu den monumentalen Werken von Bruckner und Mahler und den vergleichsweise wenigen bedeutenden
symphonischen Schöpfungen, die das 20. Jahrhundert danach hervorbrachte, liefert Beethoven die Grundlage für diesen Weg.
Wohl übernahm er im Wesentlichen das Orchester Haydns und Mozarts, aber was er mit dem vorhandenen Instrumentarium machte,
war in jeder Hinsicht neu. Nur wenige Beispiele
zur Illustration: Trompeten und Hörner bekommen selbstständige motivische und dramatische Funktion, die Holzbläser werden weiter individualisiert, die Pauke bekommt (im zweiten Satz) geradezu Melodie tragende Funktion und wenn auch das Primat der Violinen
noch weitgehend unangetastet bleibt, so werden doch die tiefen Streicher fast völlig
gleichwertig eingesetzt – schon das erste Thema dieser Symphonie, das nach den beiden
legendären Akkordschlägen unmittelbar einsetzt, wird von den Celli intoniert.
Dass Rhythmus bei Beethoven ein der Melodie zumindest gleichwertiges, oftmals aber auch überlegenes Element bildet, gehört zum allgemeinen Wissen – gerade in dieser Symphonie aber wird diese Charakteristik ins Extrem getrieben. Allein schon im ersten Satz kommt es zur einer einzigartigen Häufung
von Synkopen, Hemiolen und Sforzati: in einer Stelle folgen ohne Unterbrechung 45(!)
Sforzati aufeinander! Viel weniger bewusst ist sich der heutige Hörer, wie revolutionär Beethoven den Einsatz der Dynamik in Vielfältigkeit,
Genauigkeit, Farbe und dramatischer Funktion veränderte – nach dieser Symphonie konnte auf diesem Gebiet nichts wieder sein wie zuvor.
Vor allem aber ist es aber die Form, die alles
Dagewesene sprengt, und es verwundert nicht, dass viele Uraufführungs-Zeitgenossen zunächst befremdet waren und gar von Unförmigkeit
oder Überdimensionalität sprachen. Die Symphonie überragt an Dauer alles, was auf diesem Gebiet vorher geschaffen wurde.
Diese Form – für sich allein betrachtet – führt zu keinem befriedigendem Ergebnis. Aber man sollte sich vor Augen führen, welcher
„Inhalt“ diese revolutionäre Gestaltung hervorgebracht hat. Und hier gilt es mit einigen
Irrtümern aufzuräumen, die sich hartnäckig
bis heute halten.
Zum einen: noch heute wird behauptet, die Eroica stünde nach wie vor in der Tradition jener Symphonien, bei denen das Hauptgewicht
im ersten Satz liegt. Dem widerspricht etwa der Dirigent Michael Gielen und weist zu Recht nach, dass die Eroica die erste wirkliche
Finalsatzsymphonie der Musikgeschichte ist.
Zum zweiten ist die Eroica nicht in erster
Linie eine Napoleon-Symphonie, und schon gar nicht sein musikalisches Portrait. Bonaparte hat zwar wahrscheinlich im Entstehungsprozess
eine Rolle gespielt, er war nachweislich einige Zeit als Widmungsträger vorgesehen, aber der Ausgangspunkt oder der Hauptinhalt des Werkes kann er, wie die Forschung belegt, nicht gewesen sein.
Kurz die Eckdaten der Entstehung: nach den wenigen gesicherten Informationen, die wir besitzen, gab es erste Anregungen zu einer neuen Symphonie im Jahre 1798. Ein Plan zur Ausführung mag wohl bereits 1801 bestanden haben, erste Skizzen können allerdings frühestens
ab Mai 1802 nachgewiesen werden. Der wahrscheinlich wirkliche Kompositionsbeginn liegt eher im Sommer bzw. im Herbst 1802. Beethoven arbeitete an dem Werk dann bis ins Jahr 1803 hinein. Die endgültige Fertigstellung
erfolgt spätestens Anfang 1804 und erste Privataufführungen sind seit Mitte desselben Jahres bezeugt. Die offizielle Uraufführung fand am 7. April 1805 im Theater an der Wien statt. Im Druck erschienen ist die Symphonie dann vor genau 200 Jahren, 1806, mit dem berühmten Titel Sinfonia Eroica … composta per festeggiare il sovvenire di un grand Uomo … also bereits mit der getilgten, ursprünglich geplanten Widmung an Napoleon Bonaparte: Sinfonia grande intitolata al Bonaparte. Dieser Entstehungsverlauf wird für uns auf der Suche nach Inhalt und der daraus resultierenden Form noch von Bedeutung sein.
Was neben dem Zusammenhang der Symphonie
mit Bonaparte und der Tatsache, dass der zweite Satz erstmals in der Geschichte der Symphonie mit einem Trauermarsch gestaltet wird, noch zum Allgemeinwissen gehört, ist die Verwendung zweier musikalischer Themen im vierten Satz, die Beethoven in drei anderen Werken bereits verarbeitet hat, nämlich in den zwölf „Kontretänzen“ WoO 14, den Klavier-variationen Op. 35 (geschrieben 1802), die der Komposition der Eroica unmittelbar vorangingen,
und vor allem im Ballett Die Geschöpfe des Prometheus, das er bereits 1801 komponierte. Diese Kontretänze, die das beherrschende Thema des vierten Satzes werden sollten, gehören
zu den allerersten Skizzen für die neue Symphonie und hielten sich als einzige der ursprünglichen
Entwürfe bis zur Vollendung.
Diese Tatsache stützt schon die Behauptung,
dass das ganze Werk auf den Schluss hin konzipiert ist. Und das wiederum widerspricht allen frühen Deutungen des 19. Jahrhundert, wonach Beethoven hier ein Charakterportrait
einer konkreten Person ausgeführt hätte. Dass Beethoven Napoleon zeitweise bewunderte,
ist unbestritten, aber sein Verhältnis zu ihm war schon vor der Kaiserkrönung 1804 nachweislich ambivalenter, als man das später darstellen wollte. Was Beethoven bewegte,
war die Idee des Heroischen an sich, und dieses Ideal, das zu seiner Zeit nicht nur in der Musik, sondern gleichermaßen in allen Künsten eine wichtige Rolle spielte, entsprang im Wesentlichen aus dem Bild der antiken Mythologie, wie es allgemein zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gesehen wurde und nicht anders vom begeisterten Homer-, Plutarch-
oder Plato-Leser Beethoven.
Und hier lässt sich nun der Bogen zu Pro-metheus und zum Prometheischen im Menschen
schlagen, das der Komponist wahrscheinlich
im jungen Napoleon und dessen kometenhaften Aufstieg verkörpert sah. Er verglich ihn auch „mit den größten römischen
Konsuln“ und brachte ihn schließlich
in eine gedankliche Verbindung mit dem Titanen
Prometheus, dessen Ideen zuletzt selbst über die Götter siegen sollten. Ein wahrhaft Beethoven’sches Lebensthema!
Von diesem Gesichtspunkt her gesehen ist die Eroica also in erster Linie als Prometheus-Symphonie zu betrachten, in der die Darstellung
des Heroischen in Beethovens Sinn nach dem Ideal der Antike gezeichnet wird. Und diese Betrachtung entspricht wohl auch eher seinem Geist als ein simples Charakterportrait – so populär solch eine Deutung sein mag.
Diese Erkenntnisse sind nicht so neu; schon Richard Wagner hat sich in seiner Eroica-Deutung
gegen solche Simplifizierungen gewandt, und besonders der geniale Musikschriftsteller und Komponist Hector Berlioz, der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Zusammenhang zwischen Beethovens Schöpfung und den Ideen der Antike hingewiesen hat. Es dauerte aber noch bis 1978, bis der Musikwissenschaftler
Constantin Floros in einer bahnbrechenden Arbeit die genannten Zusammenhänge im Wesentlichen
wissenschaftlich nachwies. Umso erstaunlicher ist es, dass heute, über 25 Jahre danach, diese Erkenntnisse so wenig Resonanz in Rezeption und Interpretation finden.
Mit diesem Wissen über den Inhalt lässt sich dann auch eingehender über die Form reden,
denn selbstverständlich wurde – um zum Anfangszitat zurückzukehren – Beethoven die Form nicht „geschenkt“, sondern die Dimensionen
des Darzustellenden veranlassten ihn, für den Symphoniesatz eine völlig neue Gestalt
zu schaffen.
Der erste Satz, Allegro con brio überschrieben,
ist auch im Vergleich mit späteren Symphonien
einer der längsten, die Beethoven je verfasst hat. Dreimal bringt er das Hauptthema
in der Exposition – nach einer Einleitung, die knapper und verstörender kaum sein kann: nur zwei harte Forte-Es-Dur-Akkorde, dann setzt unmittelbar in den Violoncelli das Thema ein. Eine auf aufs knappste reduzierte Einleitung?
Beethoven ist wohl noch viel weiter gegangen und hat das Ergebnis des Ganzen einfach an den Beginn gestellt, um uns dann in einem unglaublich spannenden Prozess zu zeigen, wie es zu diesem überhaupt kommen
konnte. Nicht nur diese Einleitung, nicht nur das dreimalige Erklingen des Themas in der Exposition sind ungewöhnlich an diesem Satz. Der Seitensatz mit zwei neuen Themen mündet in einen ausführlichen Epilog, und die nun folgende Durchführung, die wiederum ein neues Thema enthält, bildet überhaupt den längsten Formteil des Satzes (und die längste Durchführung aller Beethoven-Symphonien). Das mündet dann in eine Coda, die wiederum fast den Umfang der Exposition hat. Man kann also Beethovens Zeitgenossen und ihre Verstörung
durchaus verstehen: Ähnliches hatte es bis dahin nie gegeben.
Beethoven lässt die Exposition ausdrücklich
wiederholen, eine Anweisung, die der Komponist zuerst einmal wieder getilgt hat, um sie dann aber später wieder einzusetzen.
Das Weglassen dieser Anweisung, auf das man noch heute erstaunlich oft im Konzert-leben stößt, ist umso unverständlicher, als Beethovens ausdrücklicher Wunsch hinlänglich
bekannt ist. Hier kommt man unvermeidlich
zur Frage von Tempo und Metronomzahlen
bei Beethovens Symphonien, ein Thema, das man eigentlich für längst abgehandelt halten sollte, wenn nicht auch heutige Interpretationen
immer wieder das Gegenteil bezeugen. Das bewusste Weglassen der Wiederholungsanweisung der Exposition hat nämlich unmittelbar mit dieser Tempofrage zu tun. Wenn man allerdings trotz aller Erkenntnisse
nach wie vor nicht bereit ist zu akzeptieren,
dass Beethovens Tempoangaben nicht nur gewollt, sondern auch ein entscheidender Bestandteil der Wirkung der Symphonie sind, und trotzdem wesentlich langsamere Tempi wählt als vom Komponisten angegeben, dann wird eine Wiederholung der Exposition tatsächlich
zum Problem, weil natürlich durch ein verändertes – eben deutlich langsameres Tempo – sowohl die rhythmische als auch die dramatische Konsistenz verändert wird. Hält man sich dagegen an das von Beethoven
gewünschte Tempo (die punktierte Halbe = 60 – ein zwar schnelles, aber keineswegs übertriebenes Tempo), so ist sein Wunsch, die Exposition noch einmal vorzutragen, bevor man in die gigantische Dimension der Durchführung
gerät, völlig verständlich, denn es gerät sonst die architektonische Struktur des Werkes in eine Schieflage. (Dies betrifft übrigens
generell jede Missachtung der Wiederholungs-
Vorschriften in der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts.)
Noch wichtiger als die Beachtung der Tempovorschriften ist jedoch deren Relation zueinander. Die Befolgung des Metronoms
heißt ja nicht a priori, dass dieses sklavisch über die volle Strecke durchgehalten werden,
und damit jeder musikalische Ausdruck geopfert werden muss. Aber es bildet das Rückgrat des Hauptzeitmaßes und die Grundlage
zu jedem weiteren Tempo – und in diesen Angaben war Beethoven äußert präzise. Eine Veränderung der Temporelationen rächt sich in einer Beethovenaufführung noch mehr als die Missachtung des Tempos an sich. Es muss doch wohl einen Grund gehabt haben, dass Beethoven auch in späteren Jahren, wann immer ihm jemand über seine Aufführungen berichtete, als erstes nach dem Tempo fragte.
Nun zurück zum ersten Satz der Symphonie,
und hier muss man sich zum ersten Mal mit dem knapp davor entstanden Ballett Die Geschöpfe des Prometheus auseinandersetzen.
In seinem Untertitel wird dieses als heroisch-allegorisches Ballett bezeichnet. Der Theaterzettel der Uraufführung spricht über Prometheus: „… als einen erhabenen Geist…, der die Menschen zu seiner Zeit in einem Zustand der Unwissenheit antraf, sie durch Wissenschaft und Kunst verfeinerte und ihnen Sitten beybrachte…“ Wie lautete Beethovens Widmung der Eroica? Sagt er nicht, die Symphonie sei komponiert worden, „… um das Andenken an einen großen Mann zu feiern“ ? Die Zusammenhänge werden bald noch deutlicher, wenn wir wissen, dass es im Aufbau des ersten Satzes bemerkenswerte Parallelen sowohl in der Struktur als auch in Verarbeitung und Rhythmik zwischen Eroica und einzelnen Nummern aus den Geschöpfen des Prometheus gibt. Wenn man nun zum augenfälligen
Zusammenhang der Beschreibung des Ballettes und der Widmung auch noch die ersten Skizzenbücher heranzieht, in denen der Komponist bereits versuchte, das Heroische durch militärische, martialische Themen für den ersten Satz zu charakterisieren, so sind zum Beispiel die Ähnlichkeiten zur Nr. 8 der Ballettmusik, einer „danza eroica“, unmöglich ein Zufall.
Der zweite Satz, der berühmte Marcia funebre, ist als Adagio assai gekennzeichnet. Allein die Tatsache, dass ein Trauermarsch einen Symphoniesatz
bildet, verstörte zunächst. Die Behandlung
der Form verstörte allerdings noch mehr, denn nach den 68 Takten der Moll-Einleitung
bricht ein durchgehend crescendierender C-Dur-Teil schmerzlich ein, gleichsam ein Licht der utopischen Hoffnung im strengen Kondukt. Formal würde man danach eine Reprise erwarten.
Beethoven nimmt tatsächlich zuerst auch den Trauermarsch wieder auf, gelangt allerdings nach wenigen Takten in ein Fugato mit völlig neuen Themen, die bereits in Beziehung
zum nachfolgenden Scherzo gebracht werden könnten. Wieder erwartet man, dass der Marsch erneut aufgenommen wird, aber der Komponist konterkariert dies durch einen unerwarteten As-Dur-Akkord. Auch dieser Satz endet mit einer ausgedehnten Coda, an deren Ende der Trauermarsch dann gleichsam stockend
und klagend versinkt. In den Entwürfen zu den Geschöpfen des Prometheus finden sich zwei (später nicht verwendete) Skizzen, in denen die Kinder des Prometheus den Vater beklagen. Auch hier wiederum deutliche Parallelen
zur Eroica-Coda, die sich so als Klagegesang
auf einen „großen Mann“, auf dessen Geist und Visionen deuten lässt. Man könnte auch sagen, die Coda beklage ganz allgemein mit dem (vermeintlichen) Ende eines „großen Mannes“ den Untergang einer großen Idee!
Mit dem dritten Satz hat Beethoven offensichtlich
besonders gerungen. In ersten Skiz-zen war ein Menuetto serioso geplant, das attacca an den zweiten Satz anschließen sollte, der wiederum in ersten Entwürfen als C-Dur-Adagio gedacht war. Bei ersten Skizzen mit dem Themenmaterial, das dem heutigen dritten Satz zugrunde liegt, muss Beethoven noch an ein schnelles Menuett gedacht haben,
bevor er dann die endgültige Lösung im nunmehrigen Scherzo Allegro vivace samt Trio fand. Auch in diesem Satz geht er erneut über die konventionelle Form hinaus. Jeder an dieser Stelle erwartete Tanzcharakter wird verworfen. Man wartet auf ein Thema, bis man begreift, dass das eigentliche Thema dieses Satzes eben jene hastig klopfende Bewegung
der Viertel darstellt, die 91 Takte lang im Piano bzw. Pianissimo gehalten werden und dann unvermittelt ins Fortissimo des ganzen
Orchesters übergehen. Auch das Trio, das mit der ungewöhnlichen Besetzung mit drei Hörnen aufwartet, wird oft fälschlicherweise als „Jagd-Trio“ charakterisiert. Die Hörner sind erst seit der Romantik vornehmlich der Jagd zugeordnet, zur Zeit Beethovens galten sie ebenso als Ausdruck des Heroischen. Auch hier spielt wiederum das korrekte Tempo
die entscheidende Rolle in der Erfassung
von Form und Inhalt. Aber neuerlich und besonders
deutlich findet sich hier die unübersehbare
Verbindung zur Prometheus-Musik des Balletts, und zwar mit dessen Finale. Die wissenschaftliche Untersuchung weist hier eindeutig nach, dass beide „Sätze“ in Dynamik,
Artikulation und Instrumentierung, wie auch der Klangregie äußerst ähnlich angelegt sind. Es folgt in der Symphonie, wie auch im Ballett auf die scena tragica (entsprechend dem zweiten Symphoniesatz) eine scena giocosa
(parallel zu Scherzo/Trio) in der der getötete Titan ins Leben zurückgerufen wird. Eine solche Entsprechung existiert schon beim Kopfsatz der Symphonie mit dem „danza
eroica“, und wir werden sehen, dass diese
Übereinstimmung auch beim vierten Satz nicht ausbleibt.
Der Finalsatz bildete, wie wir bereits wissen, den Ausgangspunkt des gesamten Werks; Prometheus also. Wenn wir in den vorhergehenden
Sätzen auf die Neuerungen in der Form immer wieder hingewiesen haben, so übertrifft das Finale, Allegro molto bezeichnet, dies noch bei Weitem; es steht im gesamten Schaffen Beethovens als Unikum da. Allein die Form zu bestimmen, fällt nicht leicht, denn der erste Anschein eines „Themas mit Varia-tionen“ wird alsbald durch eingeschobene Überleitungen gestört; es finden sich Fugati ebenso wie eine alte ungarische Tanzform, der Verbunkos. Auch steht der scheinbaren Leichtigkeit die Strenge der rhythmischen und instrumentalen Verarbeitung ebenso entgegen
wie die Tatsache, dass in der Gesamtkonstruktion
des Ganzen die Sonatensatzform wiederum durchscheint.
Der Satz ist fast ausschließlich auf die beiden schon erwähnten Themen aufgebaut, die also hauptsächlich in Variationenform abgehandelt werden, und auch hier ergeben sich erstaunliche Parallelen zur Ballettmusik. Deren Finale ist als „feierliche Szene zu Ehren des Prometheus“ gedacht. Und wie heißt es in Beethovens endgültiger Widmung zu seiner Symphonie? „Composta PER FESTEGGIARE il sovvenire di un grand Uomo“.
Und hier finden wir auch den letzten Baustein in der Entsprechung der Sätze zur Ballettmusik:
„Danze festive“ – eine festliche Szene also auch in der Symphonie. Das erklärt auch, warum von vornherein die beiden Kontretanzthemen
zum festen Bestandteil des Konzeptes
gehören und warum er mit diesen nun in verschiedensten Veränderungen das Finale gestaltet. Wie die Widmung verspricht, feiert der Komponist mit festlichen Tänzen – zu Ehren,
im Gedenken, in Gedanken an einen großen
Mann – eine große Idee.
Es zeigt sich also, dass die Ungewöhnlichkeit der Form dem Anspruch des Themas entwachsen
ist – und das gilt für ausnahmslos jeden der vier Sätze dieser außergewöhnlichen
Schöpfung. Seinen wahren Inhalt kann man durchaus aus dem Studium der Form und seiner Entstehung ableiten, aber man muss sich wohl bewusst sein, dass Beethoven eben diese völlig neuartige, ja revolutionäre Form fand, um das, was er zu sagen hatte, musikalisch
adäquat darstellen zu können. Es stimmt schon: Niemanden wird die Form geschenkt, die nicht vom Inhalt her diktiert ist.
Dieser Aufsatz verdankt seine Idee, wesentliche Grundlage und wichtige Zitate der Untersuchung von Constantin Floros „Beethovens
Eroica und seine Prometheus-
Musik“, Wilhelmshaven: Heinrichshofen 1978.
Zwei Helden der anderen Art
Zu den Ouvertüren „Egmont“ und „Coriolan“
Die Ouvertüren Beethovens sind, betrachtet man sie von ihrer Grundidee her, in gewisser
Weise ähnlich konzipiert.
Errichtet Beethoven in den großformatigen
Werken, sei es in der Symphonie, der Kammermusik oder den großen Klaviersonaten,
komplexe Gedankengebäude aus Tönen und teilweise völlig neuen Formteilen, überraschend
in Rhythmus und Harmonik, so bilden dagegen die Ouvertüren zumeist eine Art „Minidrama“.
Die bekanntesten sind wohl die beiden hier aufgenommenen, nämlich Egmont nach Goethes gleichnamigem Schauspiel und Coriolan
zum Trauerspiel von Heinrich Joseph von Collin.
Beethovens Bewunderung für den Dichter Goethe ist ebenso bekannt wie seine spätere Enttäuschung über den Menschen bei einer kurzen Begegnung (beide Haltungen beruhten übrigens völlig auf Gegenseitigkeit!).
Der Stoff des Egmont, seine Freiheitsliebe, seine Aufopferung für die Sache des Volkes
und schließlich seine Vision einer besseren freien Welt vor seiner Hinrichtung – all das musste Beethoven sehr nahe sein, und er versuchte,
das in dem hier knapp acht Minuten dauernden Stück komprimiert zu verarbeiten.
Die dunkle, dramatische Einleitung in f -Moll könnte die Situation der Niederlande während der spanischen Besatzung nachzeichnen. Dagegen
setzt Beethoven eine Kantilene in den Holzbläsern, bevor er in klassischer Sonatensatzform
das Drama verarbeitet. Nach der Reprise
tritt eine erschütternde Generalpause ein – nach Beethovens eigenen Andeutungen der Tod Egmonts –, und dann erst erfolgt die Coda, die Beethoven dazu benutzt, die Freiheitsvisionen
des Titelhelden gleichsam als Utopie an den Schluss zu stellen – nichts anderes hat er später in seiner Oper Fidelio gemacht: die Geschichte von Leonore und Florestan könnte, ja müsste eigentlich
tragisch enden – der Rest ist Utopie.
Coriolan wurde nicht, wie heute noch manche vermuten, nach Shakespeares Trauerspiel
komponiert, sondern zu einem zeitgenössischen
Stück, dessen Uraufführung Beethoven beiwohnte. (Später machte er sich einige Hoffnungen, den Dichter als Librettisten gewinnen zu können, was aber von diesem zu Gunsten eines heute unbekannten Komponisten
abgelehnt wurde).
Auch diese Ouvertüre bildet gleichsam ein Drama in Taschenformat. Allerdings steht die Coriolan-Ouvertüre für sich allein und wurde auch in einem Konzert, noch vor der ersten Aufführung in der Wiederaufnahme des Schauspiels
1807, zu Gehör gebracht. (Zum Drama Egmont hingegen, gibt es noch weitere 30 Minuten
Musik, darunter zwei Lieder für Sopran).
Wie bei Egmont beginnt auch Coriolan mit heftigen Akkorden – diesmal des ganzen Orchesters,
wiederum wird der Hauptteil in – hier etwas freier gehandhabter – Sonatenhauptsatzform
gestaltet, in der ein lyrisches Thema mit den heftigen Ausbrüchen kontrastiert.
Nur: ein triumphales Ende findet dieses Werk nicht. Zu düster, zu ausweglos endet das Drama mit dem Selbstmord des Helden, der zwischen seinem Hass auf Rom (dem er einst als Feldherr gedient hatte und das er nun aus Rache für seine Verbannung mit einem eigenen Heer bedroht) und den Gefühlen für Frau und Mutter (die als Mittler aus der Stadt zu ihm geschickt wurden) zerbricht.
Beethoven illustriert nicht im eigentlichen Sinn die Handlung, sondern ihn bewegt – und hier gibt es die klare Verbindung zur Eroica – der Gedanke an den Helden, an seine Gefühle und seine Taten.
Egmont – Coriolan – Prometheus (Napoleon):
sie haben bei aller Verschiedenheit etwas Gemeinsames. Sie sind die wahren Trägerfiguren
einer Utopie. Und diese Utopie war es, für die Beethoven mit seiner Musik stand und steht – bis zum heutigen Tage.
Michael Lewin