Recital: J.S. Bach · W.A. Mozart · Claude Debussy · Johan Severin Svendsen · Miklós Rózsa · Harald Genzmer
Ulrich Herkenhoff, pan flute · Matthias Keller, piano
Der Titel der vorliegenden CD – „Recital“ – und die Liste der Komponisten mit Bach, Mozart, Debussy u.a lassen auf ein Soloprogramm eines „klas-sischen“ Instruments schließen. Überraschenderweise haben wir es hier aber mit einem Instrument zu tun, das gemeinhin nicht mit der Tradition des Kammermusikabends in Verbindung gebracht wird – nämlich der Panflöte! Die Transkriptionen, die hier zu hören sind, lassen die Klassiker verschiedener Epochen in einem faszinierenden, neuen Licht erscheinen. Nur bei dem jüngsten Werk dieser CD handelt es sich um eine Originalkomposition für Panflöte – die Herkenhoff gewidmete Sonate für Panflöte solo von Harald Genzmer aus dem Jahr 1993.
Ulrich Herkenhoff ebnet der Panflöte seit Jahren den Weg im klassi-schen Konzertbetrieb und befreit sie vom einseitigen Klischee des „Folklore-Instruments“. Er studierte Querflöte und Panflöte am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium und schloss sein Studium mit der künstlerischen Reifeprüfung auf der Panflöte ab. Heute ist er ein international gefragter Solist. Seinem Publikum ist er vertraut als Interpret, der gleichermaßen die folklo-ristischen Wurzeln seines Instruments verinnerlicht hat, als auch in sensibler Weise die klassische Kunstmusik auf sein Instrument überträgt.
Ulrich Herkenhoff: Recital
Alle Instrumente und Gesang waren zur Teilnahme zugelassen, als 1992 der Wettbewerb um den „Musikförderpreis Gasteig“, benannt nach dem Münchner Kulturzentrum und Sitz des Richard-Strauss-Konservatoriums, erstmals durchgeführt wurde.
Gesucht wurde eine herausragende junge Künstlerpersönlichkeit. Es gewann ein Studierender
der Querflötenklasse Jochen Gärtner. Er hieß Ulrich Herkenhoff und spielte Panflöte. Im Preisträgerkonzert versetzte er das Publikum
in Rauschzustände, und der anwesende Komponist Harald Genzmer entschloss sich spontan, ihm ein Stück zu schreiben: die auf dieser CD zu hörende Sonate für Panflöte Solo.
Als Vierzehnjährger hatte der 1966 geborene

junge Osnabrücker unter dem Eindruck Gheorghe Zamfirs den Entschluss gefasst, Panflötist zu werden. Von vornherein war ihm klar, dass er den Bogen seiner Kenntnisse und seines Repertoires von der rumänischen Volksmusik als Lebensquell dieses Instrumentes
über die komplette stilkundliche Palette hinweg bis zur kompetenten Interpretation barocker
Musik spannen wollte. So studierte er bei dem schweizer Entdecker Gheorghe Zamfirs,
dem Musikethnologen und Organisten Marcel Cellier, rumänische Musik und spielte mit ihm 1990 seine erste CD ein. Um ein reguläres
Studium absolvieren zu können, erlernte er Querflöte und fand am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium in Dr. Jochen Gärtner
einen Mentor und Lehrer, der ihn nicht nur auf der Querflöte bis zur Orchesterreife führte, sondern bereit war, den Unterricht so weit wie möglich auf die Bedürfnisse des aufstrebenden
Panflötisten auszurichten.
Seither hat Ulrich Herkenhoff in geradezu staunenswerter Vielfalt sein Leben der Panflöte
gewidmet: Er baut wunderbare Panflöten,
adaptiert Literatur, betätigt sich als Verleger, unterrichtet, regt Komponisten zu Originalkompositionen an. Vor allem aber: Er ist ein grandioser Künstler, der seinem Instrument
wahrhaft erotischen Zauber zu entlocken
vermag, ein wissender Urmusikant. Ulrich
Herkenhoff ist das eigentlich Unmögliche gelungen: Als Deutscher eins zu werden mit einem Instrument, das so ganz die Seele des Balkan und der archaischen Epoche hellenischer
Antike in sich trägt. Man muss ihm mit Claude Debussy’s Syrinx gelauscht haben, um die gegenseitige Durchdringung artifizieller und archaischer, französisch-intellektueller und hellenisch-mythischer Sphären in Vollkommenheit
zu erleben. Wenn er Händels Arie Lascia qu’io pianga spielt, ist die instinktive Habachtstellung gegen solche „Entweihung“ sofort vergessen angesichts des anrührenden Schmelzes von Klang und Artikulation.
Ulrich Herkenhoff, der 1996 einen der begehrten
„Bayerischen Staatsförderpreise für Musik“ erhielt, hat inzwischen ein beeindruckendes
Spektrum an Einspielungen vorgelegt, im Zusammenspiel mit Orchester, mit Orgel und nun zum wiederholten Male mit seinem Pianisten Matthias Keller, der ihm seit den ersten Anfängen als Freund und Partner zur Seite steht. Das „Recital“ verheißt vielgestaltigen
Musikgenuss.
Martin Maria Krüger
Der Verfasser ist Direktor des Richard-Strauss-Konservatoriums der Stadt München und Präsident des Deutschen Musikrates.
Von Bach bis Genzmer
Johann Sebastian Bach auf der Panflöte – noch dazu in einer Zeit, die mehr denn je der Idee des Originalklangs verpflichtet
scheint? Würde man diesem „historischen“
Ansatz konsequent folgen, kein Pianist dürfte Bach auf dem modernen Konzertflügel spielen.
Dass Ulrich Herkenhoff dennoch nur wenige
Werke Bachs im Repertoire hat, zeugt von seinem hohen Respekt diesem Komponisten gegenüber. Geht es ihm doch darum, Bachs Musik stilistisch gerecht zu werden auf einem
Instrument, dessen Beschaffenheit aus technisch-baulicher Sicht in der Tat „primitiv“ zu nennen ist. Deshalb sind Werke wie die h-Moll-Suite oder das hier erstmals mit der Panflöte eingespielte Concerto in C-Dur ein echtes Exerzitium für den Spieler: höchste Schule der Selbstkontrolle. Flötisten freilich dürften in diesem Concerto die A-Dur-Sonate BWV 1032 wiedererkennen, deren Tonartfolge allerdings erst in der vorliegenden Bearbeitung
durch Wilhelm Mohr stimmig und logisch erscheint, nämlich C-Dur – a-Moll – C-Dur.
Wolfgang Amadeus Mozart wiederum, dem die Panflötenliteratur bekanntlich nur ein
harmloses Fünfton-Motiv verdankt (Die Zauberflöte),
findet sich hier repräsentiert durch die Adaption seines kleinen Flötenquartetts in G-Dur, KV 285a: ein Stück, das seinen Charme vor allem aus melodiösem Einfallsreichtum schöpft, gepaart mit jener unverwechselbaren
Mozartschen Leichtigkeit – die freilich für die Spieler immer auch Tücken birgt.
Mit Claude Debussy eröffnet sich eine dritte Facette, nämlich die der bildhaften Naturschilderung.
En bateau, entnommen der Petite Suite für Klavier, widmet sich einem von Debussys Lieblingselementen, dem Wasser, und beschreibt in einer Art musikalisiertem Naturschauspiel den Ritt eines kleinen Bootes auf ozeanischen Wellen. Le petit berger aus der Sammlung Children‘s Corner wiederum führt Hörer und Spieler zurück in jene archaisch-
mythische Welt, in der auch die Sage um Herkenhoffs Instrument und den Hirtengott Pan ihren Ursprung hat. Und Clair de lune, inspiriert durch ein Gedicht Paul Verlaines, entführt in träumerische Refugien zwischen Wirklichkeit und nachttrunkener Phantasterei.
Johan Severin Svendsens Romanze op. 26, ursprünglich ein Werk für Solovioline und Orchester,
vereint virtuosen Ausdruckswillen mit klangfarblichem Reichtum – das Ganze vor dem Hintergrund einer unverhohlenen Wagner-
Affinität des Komponisten.
Dagegen führen die Nordungarischen Bauernlieder und Tänze op. 5 zurück in jenes folkloristische Refugium, in dem nicht nur die Panflöte ihren Ursprung hat, sondern auch der musikalische Kosmos des ungarischen Komponisten
Miklós Rózsa. Denn ähnlich wie sein Landsmann Béla Bartók wurde auch Rózsa bereits in frühester Kindheit geprägt von der Musik seiner Heimat, bevor er schließlich Weltruhm erlangte als Komponist von Filmmusiken
wie „Spellbound“, „Das Dschungelbuch“
oder „Ben-Hur“. Auch dieser Zyklus entstand im Original für Violine als Soloinstrument,
begleitet vom Klavier.
Seit Ulrich Herkenhoff die Panflöte als vollwertiges
Konzertinstrument präsentiert, hat er auch immer wieder Komponisten für die Idee gewinnen können, Originalliteratur für ihn zu schreiben. Harald Genzmer zählt zweifellos zu den prominentesten unter ihnen. Seine Sonate
für Panflöte solo entstand 1993 und war eines jener Stücke, die anlässlich von Genzmers
95. Geburtstag im Jahr 2004 im Rahmen eines Festkonzerts in München erklangen. Zur vorliegenden Ersteinspielung seiner Sonate schrieb der Komponist:
Matthias Keller
Matthias Keller, geboren 1956 in Bremen und aufgewachsen in Osnabrück, studierte

Klavier, Musikpädagogik und Kirchenmusik (Hochschule für Musik und Theater München). 1985 wandte er sich verstärkt dem Musikjournalismus zu und ist seit 2000 Redakteur des Bayerischen Rundfunks
(Bayern 4 Klassik). Er ist ferner Autor des Filmmusik-Buches „Stars and Sounds“ (Bärenreiter-Bosse) und Jurymitglied beim Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Auch als Komponist und Arrangeur ist er tätig und schrieb u.a. das Finale für das FIFA-Konzert „3 Orchester und Stars“, das im Juni 2006 im Münchner Olympiastadion stattfand unter Mitwirkung von Zubin Mehta, Mariss Jansons und Placido Domingo.
Seit 1987 ist er fester Duo-Partner und Manager
von Ulrich Herkenhoff.