Symphony No. 5 in C minor
Symphony No. 6 in F major “Pastorale”
Saarbrücken Radio Symphony Orchestra
Stanislaw Skrowaczewski, conductor
Stanislaw Skrowaczewski stellt sich bewusst gegen eine allzu sklavische Befolgung der beethovenschen Metronomangaben. Er zitiert C.M. Weber: „Vergessen Sie die Zeichen auf dem Papier, benutzen Sie Ihren Verstand“ und Debussys Aussage über Metronomangaben, diese seien „wie eine Rose, die, am Morgen geschlossen, sich mit dem Licht öffnet“. Jedoch sieht er klar seine Aufgabe als Interpret, der heutzutage eine neue Beethoven-Einspielung wagt: „Der großartige Reichtum und die Vielschichtigkeit der Musik von Beethoven (…) verlangen eine perfekte Ausgewogenheit nicht nur zwischen den Hauptgruppen des Orchesters, sondern sogar bis in die Akkorde hinein. Diese Ausgewogenheit muss in einer Aufnahme ganz klar zum Ausdruck kommen.“
Nun erscheint Folge vier des hochgelobten Beethoven-Zyklus aus Saarbrücken!
Stanislaw Skrowaczewski über diese Aufnahme
Aufnahmen von Beethoven-Sinfonien sind wahrscheinlich für jedes Orchester und jeden Dirigenten eine besondere Herausforderung
– nicht allein unter technischen Gesichtspunkten, sondern auch vom Stil und einfach vom Klang her.
Der großartige Reichtum und die Vielschichtigkeit
der Musik von Beethoven, mit ihren zweiten und dritten Stimmen, verlangen
eine perfekte Ausgewogenheit nicht nur zwischen den Hauptgruppen des Orchesters, sondern bis in die einzelnen Akkorde hinein. Diese Ausgewogenheit muss in einer Aufnahme
ganz klar zum Ausdruck kommen.
Lange Zeit herrschte Uneinigkeit über Beethovens Tempovorgaben. In den letzten 30 Jahren oder länger sind manche Dirigenten beinahe blind Beethovens Metronom-Angaben
gefolgt, meiner Ansicht nach häufig zum Schaden der Musik, ihres Inhalts, ihrer Botschaft,
Majestät und Kraft.
Manchmal könnte man meinen, dass der bloße Ehrgeiz, etwas Neues zu bringen – pour épater le bourgeois, was häufig Ruhm und Reichtum bedeutet – dabei eine gewisse Rolle spielte.
Es ist bekannt, dass Beethoven die Tempoangaben
für die ersten sechs Sinfonien erst viele Jahre nach ihrer Entstehung niederschrieb. Die Genauigkeit dieser Metronom-Angaben ist fragwürdig
– so beschwerte er sich in einem Brief an seine Verleger Schott & Söhne: Mein Metronom ist krank und bräuchte einen Uhrmacher, um sein gleichförmiges, regelmäßiges Ticken wiederzuerlangen.
In anderen Briefen machte er im Laufe mehrerer Jahre unterschiedliche Tempoangaben
für ein und dasselbe Stück.
Und schließlich wissen alle Komponisten und Dirigenten, wie sehr sich unser Gefühl für das richtige Tempo über die Zeit verändern kann, besonders wenn der Komponist von vom aufbrausenden, leidenschaftlichen Charakter
eines Beethoven ist. In den 1820er Jahren
schrieb C. M. von Weber in der Berliner Musik-Zeitung: Vergessen Sie die Zeichen auf dem Papier, benutzen Sie Ihren Verstand. Debussy
sagt poetisch über Metronom-Zahlen, diese seien wie eine Rose, die, am Morgen geschlossen, sich mit dem Licht öffnet. Daher nehme ich, mit allem Respekt für Beethovens Tempovorgaben, sie manchmal „cum grano salis“ als eine Art Leitlinie, wobei für mich die Musik selbst, ihr Charakter, Inhalt, ihre Botschaft
das Tempo bestimmen.
Hinzu kommt noch die Aufgabe, Beethovens
Musik auf modernen Instrumenten zu spielen. Diese muss der Dirigent bewältigen, mit seinem Wissen, Geschmack, Gefühl und seiner Auffassung der Musik.
Ich habe das große Glück, diese Probleme gemeinsam mit dem exzellenten Saarbrücker Rundfunkorchester lösen zu können.
Nach dem Erfolg mit unseren letzten Aufnahmen
aller elf Bruckner-Sinfonien weiß ich, dass diese hervorragenden Musiker die neuen Herausforderungen gemeinsam mit mir meistern werden.
Stanislav Skrowaczewski
Ludwig van Beethoven
* 16. Dezember 1770 in Bonn
† 26. März 1827 in Wien
Ein freier Künstler in Wien
Zufall der Geschichte, Glück des historischen
Augenblicks? Jedenfalls kam Beet-hoven wie gerufen. Und fand das Glück des Tüchtigen. Er postierte sich freilich auch zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort. Als die Revolution
1789 von Paris aus die Zeitenwende einläutete, konnte der 19-Jährige bereits auf eine kurze schillernde Karriere als Wunderkind,
vor allem dann auf eine solide Basis als pianistisches Talent und erfolgversprechender
Jung-Komponist zurückblicken. Zudem hatte er bereits mehrere Jahre als kurkölnischer
Hoforganist in Bonn ernsthaft gedient. Im Alter von 22 Jahren aber sprang er, auch aus familiären Gründen, aus den Bahnen, die manch anderem als völlig genügend erschienen
wären: Er verfügte tatsächlich über respektable
Voraussetzungen für eine Musikerlaufbahn
in einer der mehr als sechshundert selbständigen politischen Einheiten auf dem Boden des Deutschen Reichs.
Aber er wollte mehr. Er schickte sich an, Großes und Erhabenes zu schaffen. Unter dem Einfluss des grundsoliden Christian Gottlob Neefe hatte sich nicht nur seine Fingerfertigkeit enorm gesteigert, sondern vor allem auch sein Geschmackshorizont erweitert, das kompositionstechnische
Bewusstsein geschärft und ein emphatisches Bildungsideal ausgeprägt. Das speiste sich wesentlich aus der Rhetorik Friedrich
Gottlieb Klopstocks, der Poetik des Göttinger
Hainbunds und des jungen Goethe sowie der Dramatik Schillers – all das wurde soeben „klassisch“. Im Januar 1793 schickte der Bonner Professor Bartholomäus Fischenich eine im Jahr zuvor entstandene Lied-Komposition an Charlotte
von Schiller: Ich lege Ihnen eine Komposition der Feuerfarbe bei und wünsche Ihr Urteil darüber
zu vernehmen. Sie ist von einem hiesigen jungen Mann, dessen musikalische Talente allgemein angerühmt werden, und den nun der Churfürst nach Wien geschickt hat. Er wird auch Schillers Freude und zwar jede Strophe bearbeiten.
Ich erwarte etwas Vollkommenes, denn so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene. Die Schillers warteten fürs erste
vergeblich auf die Zusendung der Ode an die Freude, wiewohl Frau Schiller, die dem Ehemann
einen Teil der Briefschulden erledigte, freundlich antwortete und um Zusendung bat. Ludwig van Beethoven machte sich wohl schon damals an die Arbeit – aber deren Ergebnisse sind nicht erhalten. Sie dürften im späteren Arbeitsprozess aufgegangen und dann entsorgt worden sein. Das Resultat trat erst lange nach Friedrich Schillers
Tod ans Licht der Öffentlichkeit und – als letzter Satz der 9. Sinfonie – den Triumphzug um die Welt an.
32 Jahre vor jener Akademie im Kärtnertor-theater, die Beethovens steile Karriere krönte – es wurden die Ouverture opus 124, Teile des Missa solemnis sowie die 9. Sinfonie mit der finalen Kantate An die Freude gegeben –, ließ sich der junge Musiker in Bonn studienhalber beurlauben. Zielsicher suchte er Wien auf und Joseph Haydn als Lehrer. Er stand an der Schwelle, als die Tür zu einer neuen gesellschaftlichen
und ästhetischen Epoche aufging.
Freilich musste er auch kräftig klopfen und die Klinke in die Hand nehmen. Er wusste bald, dass er eine schier übermenschliche Arbeitsleistung und große moralische Kraft für die weitgesteckten und hohen Ziele benötigte:
Nikolaus von Zmeskall, dem Freund und „liebsten Baron Dreckfahrer“, ließ er ein Briefchen
zukommen, in dem nicht nur der nächste Wirtshaus-Besuch vereinbart wurde, sondern sich auch die Lebensmaxime mitteilt: Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige.
Durchsetzungskämpfe
Ludwig, der Student aus Bonn, begriff in der Hauptstadt rasch, dass es darauf ankam, original
zu werden, wie Lehrer Haydn formulierte. Nie würde ich so etwas gesetzt haben, schrieb er bereits kurz nach seiner Ankunft in Wien – es sollte, was er sich wohl selbst kaum vorstellen
konnte, seine endgültige Lebensstation sein. Die verehrte Eleonore von Breuning, der er Variationen für Violine und Klavier widmete und nach Bonn schickte, bat er aus gegebenem
Anlass um Nachsicht für bemerkenswerte instrumentaltechnische Schwierigkeiten: … ich hatte schon öfter bemerkt, daß hier und da einer in W. war, welcher meistens, wenn ich des abends fantasiert hatte, des andern Tages viele von meinen Eigenheiten aufschrieb, und sich damit brüstete. Weil ich nun voraus sah, daß bald solche Sachen erscheinen würden, so nahm ich mir vor, ihnen zuvorzukommen.
Originell und genial
Bald war Beethoven, mit seiner wilden Mähne rasch eine stadtbekannte Figur, von Geschäften überhäuft, wie er den Bonner Verleger Nikolaus Simrock voller Stolz wissen ließ (auch mit der Absicht, das Geschäft zu beleben und die Honorare
zu seinen Gunsten anzuheben). In unseren demokratischen Zeiten, einem kurzen Wiener Frühling, etablierte er sich, was nach wie vor ein Ausnahmefall war, als freier Künstler – und blieb auch freischaffend, als mit der Verhaftung der Demokraten und den „Jakobiner-Prozessen“
in der Metropole des Habsburger-Reichs allen weiteren republikanischen Bestrebungen der Garaus gemacht wurde. Er hielt Kurs als Komponist auf dem Weg des Neuen, auf dem er auch zunehmend Anerkennung fand: Gewaltig,
mächtig und ergreifend trat Beethoven auf, hieß es im Rückblick auf die ersten Arbeiten im Wiener Journal für Theater, Musik und Mode. Neuheit und Fülle, eine Leichtigkeit die harmonischen
Mittel zu gebrauchen, eine gewisse Eigenheit
des Stiles und der Behandlung liessen von dem noch jungen Manne einen originellen und genialen Komponisten erwarten, und seine
großen Instrumentalkomposizionen, einige seiner Symphonien und Konzerte bestätigten diese Hoffnung. Wie eine Leuchtspur durchziehen
die Hinweise auf die „Götterfunken“ die Rezensionen der Instrumentalwerke: Ein heroisches
Feuer macht den vorherrschenden Zug ihres Karakters aus. Freilich wurde auch bald die allzu bizarre Manier moniert, die ausufernde
Länge einzelner Sätze und Werke und die Überfülle der Ideen – die Tendenz, Gedanken wild auf einander zu häufen.
Dessen ungeachtet wuchs der Erfolg, und die Preise stiegen.
Groß – feierlich – erhaben
Dass im 19. Jahrhundert das bürgerliche Konzert
einen so bemerkenswerten Aufschwung nahm, die Instrumentalmusik in Mitteleuropa zu derart hohem Ansehen und Rang gelangte, war in entscheidendem Maß den Sinfonien zuzuschreiben – jener Gattung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vom Mannheim-Schwetzinger Hof aus profilierte
und in Wien mit Mozart und dem späten Haydn jene Meisterschaft erlangte, die Beet-hoven den Parnass erklimmen ließ. So gut wie gänzlich unberührt von der aufkommenden
Diskussion um Klassizität bzw. Romantik der Musik, dachte Beethoven in den Vorstellungen,
die J.A.P. Schulz in Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste entwickelt hatte: Die Symphonie ist zu dem Ausdruck des Großen,
des Feierlichen und Erhabenen vorzüglich
geschickt. Um glücklich zu geraten, sollten
die Werke dieses Genres jedoch nicht nur erschüttern und erheben, sondern sich auch durch ein besonderes Maß an Besonnenheit auszeichnen.
Die Sinfonien bedeuteten – zusammen mit der Klavier- und Kammermusik – den „Durchbruch“
Beethovens. In der Wahrnehmung des nicht speziell interessierten Publikums, überhaupt
in der Rezeptionsgeschichte nehmen sie freilich rasch eine Schlüsselstellung ein – auf dem Weg zur Vergötterung des „Titans“ wie in späteren heftigen Abwehr-Reaktionen.
Frieder Reininghaus
Sinfonie Nr. 5 c-Moll
So pocht das Schicksal an die Pforte – Beet-hovens letzter Sekretär und erster Biograph
Anton Schindler hat diesen angeblichen Ausspruch des Komponisten überliefert. Ob die Deutung des Beginns der fünften Sinfonie authentisch ist oder doch nur eine der notorischen
Ungenauigkeiten und Fälschungen Schindlers, erscheint unerheblich. Längst ist das viertönige Klopfmotiv zur Legende geworden,
hat sich als Markenzeichen Beethovens und der klassischen Musik überhaupt durchgesetzt.
Generationen von Autoren haben am Mythos der „Schicksals-Sinfonie“ gefeilt und ihren Komponisten als einen mit den Tönen
ringenden Titanen dargestellt. Natürlich bezogen sie das Motiv auch auf Beethovens persönliches Schicksal, auf seine zur Kompositionszeit
schon weit fortgeschrittene Taubheit.
Und natürlich verstanden sie die Sinfonie insgesamt als Kommentar zum politischen Schicksal Europas – Napoleon war schließlich gerade dabei, die Ideale der französischen Revolution
zu verraten.
„Schicksalssinfonie“
Doch ob man nun Programmatisches in dem Werk vermutet oder nicht – in jedem Fall übt die Fünfte eine Faszination aus, die nun seit fast 200 Jahren ungebrochen ist. Erste Entwürfe
zur c-Moll-Sinfonie beschäftigten den Komponisten seit 1803/04, fertig wurde sie in den ersten Monaten des Jahres 1808. Die Uraufführung
in einer „musikalischen Akademie“ am 22. Dezember 1808 war zwar noch wenig erfolgreich, doch schon in den folgenden Jahren
setzte sich die Sinfonie überall durch. Unzählige
Bearbeitungen für die verschiedensten Besetzungen popularisierten das Werk im 19. Jahrhundert, und als zu Beginn des 20. Jahrhunderts
die Schallplatte aufkam, war Beethovens
Fünfte die erste Sinfonie, die auf diesem neuen Medium aufgezeichnet wurde (1913 mit den Berliner Philharmonikern).
Woran liegt es, dass die Fünfte geradezu zum Inbegriff der Gattung Sinfonie werden konnte? Vermutlich an der einzigartigen Kombination
aus Breitenwirksamkeit und höchster kompositorischer Qualität. Das lapidare, äußerst
eingängige „Schicksalsmotiv“ des Beginns
bildet die Keimzelle des ganzen Werkes. Es dominiert mit seiner rhythmischen Energie den ersten Satz, wobei es sich als überaus wandlungsfähig erweist. Ein melodisches Seitenthema
bleibt dagegen episodisch, es tritt nur in Exposition und Reprise auf.
Auftrumpfen vor dem Sieg
Sonaten- und Variationstechnik vereinigt der zweite, langsame Satz in sich. Dem gesanglichen
As-Dur-Thema der Celli und Bratschen steht ein fanfarenartiges C-Dur-Motiv des ganzen Orchesters gegenüber, das in seinem vorwärtsdrängenden Klangcharakter als Vorgriff
auf das Finale gehört werden kann – ein verfrühtes Auftrumpfen vor dem eigentlichen Sieg.
Den scherzoartigen dritten Satz hat Beet-hoven ursprünglich fünfteilig (ABABA) konzipiert.
Doch bei der Uraufführung erschienen ihm die 611 Takte offenbar zu lang, so dass er den Satz auf die dreiteilige Form ABA-Coda kürzte. Im Scherzoteil verbindet sich ein aufsteigendes
Bassmotiv mit einem viertönigen Hornmotiv, das auf den Anfang der Sinfonie verweist. Das Trio ist geprägt von Fugen-thematik. Ein Attacca-Übergang verbindet den
dritten Satz mit dem Finale, wodurch sich beide
zu einem großen Schlussteil vereinigen.
Dieses Finale nun erweist sich eindeutig als der Zielpunkt des ganzen Werks: Es ist – erstmals in einer Sinfonie – länger als der Kopfsatz und damit alles andere als der heitere
Kehraus, den man seit Haydn von einem Schlusssatz erwartete. Und es wartet mit einer weiteren Neuerung auf: Die Besetzung ist um drei Posaunen, Kontrafagott und Piccoloflöte erweitert, alles Instrumente, die bis dahin in der Sinfonik noch kaum gebräuchlich waren. Außerdem zeigt der Satz einige Merkmale, die sich kaum anders als programmatisch im Sinne
des „per aspera ad astra“ (durch Mühsal zu den Sternen) deuten lassen: Zum einen wechselt
die Tonart vom düsteren c-Moll zu strahlendem
C-Dur. Zum anderen hat das Ganze unbestreitbar den Charakter eines Marsches, der nun einmal fest mit der Vorstellung von Kampf und Sieg verbunden ist. Und dieser Sieg fällt so gewaltig aus, dass die Schlusskadenz zu den längsten der Musikgeschichte gehört.
Sinfonie Nr. 6 in F-Dur „Pastorale”
Es werden vielleicht von hier wieder Schimpfschriften über meine letzte musikalische
Akademie an die Musikalische Zeitung
geraten; ich wünschte eben nicht, dass man alles unterdrücke, was gegen mich; jedoch
soll man sich nur überzeugen, dass niemand
mehr persönliche Feinde hier hat als ich; dies ist umso begreiflicher, da der Zustand der Musik hier immer schlechter wird ...
Aus diesem Brief Beethovens vom 7. Januar
1809 an seinen Verleger Breitkopf und Härtel sprechen zweifellos Wut und Enttäuschung.
Das Konzert, auf das sich Beethoven bezog, hatte am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien stattgefunden, und dass der Komponist
den Misserfolg nicht leicht verwinden konnte, ist verständlich: Immerhin ging es um die Uraufführung seiner Fünften und Sechsten Sinfonie, der Chorfantasie op. 80 sowie des vierten Klavierkonzerts. Gerade dieses übermäßig
lange Programm war aber mitverantwortlich
für die reservierte Haltung des Wiener
Publikums.
Immerhin bot Beethoven seinen Zuhörern bei der denkwürdigen Akademie reichlich Abwechslung
– nicht nur zwischen instrumentalen
und vokalen Kompositionen, sondern auch innerhalb des symphonischen Programmteils. Man kann die Sechste geradezu als Gegenmodell
zur Fünften verstehen: Während die sogenannte „Schicksalssymphonie“ von zielgerichteter
Dynamik und einer Dramaturgie „durch Nacht zum Licht“ geprägt ist, gibt es in der „Sinfonia pastorale“ kaum Konflikte. Statt dessen über weite Strecken Idylle pur – die sich natürlich aus dem programmatischen Vorwurf des Werkes ergibt. Allerdings wollte Beethoven ausdrücklich keine rein illustrative Musik schreiben. Das geht schon aus seiner berühmten Bemerkung hervor, die Sechste sei „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Auch der Untertitel „Erinnerung an das Landleben“
weist darauf hin: Nicht die reale Natur soll in Tönen dargestellt werden, sondern ihre Eindrücke auf ein vermittelndes Subjekt.
Natürlich fehlt die „Malerei“ nicht ganz: Man glaubt im ersten Satz das Heranrollen der Kutsche zu hören, im zweiten das Murmeln des Bachs und gegen Ende eine Vogel-Kadenz
(Beethoven notierte in der Partitur sogar „Nachtigall“, „Wachtel“ und „Kuckuck“). Der dritte Satz, der an Scherzostelle steht, parodiert
liebevoll die Musizierweise von Dorfmusikanten:
Am Anfang wechseln sich zwei Kapellen ab, eine spielt in F-Dur, die andere ohne Überleitung in D-Dur. Sforzati stehen für derbes Fußstampfen, und im Mittelteil scheint die Oboe ihren Einsatz um zwei Schläge zu verfehlen, während die Basstöne noch weiter hinterher hinken. Grollende Celli, Kontrabässe und Pauken, dazu Tremoli und abwärtsstürzende
Dreiklänge der Geigen malen im vierten Satz Donner und Blitz eines Gewitters.
Doch Beethoven bietet seinen Zuhörern noch mehr und weit Tiefgründigeres: nämlich musikalische Analogien zu dem, was in seinen Augen das Wesen der Natur ausmachte – das Prinzip der Beständigkeit im ewigen Wandel. Gerade der erste Satz, sonst oft Schauplatz dramatischer Konflikte, verweigert sich jeglicher
Entwicklung und scheint mit seinen unzähligen
Motivwiederholungen die Zeit außer Kraft setzen zu wollen. Mittel musikalischer Veränderung wie Leittöne, Chromatik und auffällige
Modulationen kommen nur selten vor, reine Durklänge um so öfter. Für den zweiten Satz, dessen murmelnder Bach geradezu ein Sinnbild für Bewegung und Stillstand, Wechsel
und Ewigkeit ist, findet Beethoven die musikalische Entsprechung des Variierens: Das Thema bleibt immer gleich und wird doch stets neu beleuchtet. Einleuchtend ist auch die Konzeption des Finales: Natürlich kommt hier keine triumphierende Apotheose in Frage, denn die Naturmacht des Gewitters im vierten Satz lässt sich nicht bezwingen, sie zieht sich selbst zurück. Daher bleibt nur Dankbarkeit und eine Wiederkehr der Idylle in Gestalt eines gänzlich undramatischen Rondos im wiegend naturhaften 6/8-Rhythmus.
Jürgen Ostmann