Crudel Tiranno Amor (Cantata con stromenti)
Suite No. 7 in G minor HWV 432 for Harpsichord
Fugue No. 1 HWV 605 · Fugue No. 5 HWV 609 · Excerpts from 18 Pieces for a Musical Clock
Sylvia Greenberg, soprano · Edgar Krapp, harpsichord and organ · Wen-Sinn Yang, cello
In einer Veranstaltung der Bayerischen Staatsbibliothek im Mai 2006 fand das überaus seltene Ereignis einer veritablen Händel-Uraufführung statt. Sylvia Greenberg, Edgar Krapp und Wenn-Sinn Yang interpretierten die Kantate „Crudel Tiranno Amor“ in der bisher unbekannten Fassung für Sopran, Cembalo und Violoncello. Eine musikologische Glanzleistung war schon die Identifizierung der händelschen Handschrift im Bestand der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek durch den Musikwissenschaftler Dr. Bertold Over, handelt es sich doch um eine Reinschrift, die im Gegensatz zu Händels Arbeitsschriften extrem selten ist. Von großem Wert für die Erforschung der historischen Aufführungspraxis ist auch die Tatsache, dass hier die einzige Quelle vorliegt, in der Händel den Generalbass zu seinen Rezitativen selbst ausgeschrieben hat.
Weitere Werke für Cembalo und Orgel aus Händels Feder ergänzten den Konzertabend in der Münchner Allerheiligen-Hofkirche, der hier als Live-Mitschnitt vorliegt.
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL
Nach den Berichten seiner Zeitgenossen war Händel einer der großen Virtuosen des Orgel- und Cembalospiels. Die vorliegende Aufnahme vereinigt eine Auswahl von Werken, die im Zentrum seines eigenen Schaffens für diese Instrumente stehen: Eine der sogenannten
Acht großen Cembalo-Suiten (London 1720. HWV 426-433) und zwei der Sechs großen Fugen für Orgel oder Cembalo (London 1735. HWV 605-610).
Aus den acht großen Suiten für Cembalo
Suite Nr. 7 g-Moll HWV 432
Die Originalausgabe der großen Suiten erschien im November 1720 in London als erste Publikation
mit dem neu erteilten Privileg des englischen Königs im Selbstverlag des Komponisten. In der siebten Suite in g-Moll vereinigte Händel Sätze aus verschiedenen Perioden seines Schaffens und überarbeitete sie wesentlich. Den zweiten Satz (Andante) und den dritten Satz (Allegro) komponierte
er um 1717/18. Demgegenüber zeigen alle anderen Sätze stilistische Züge, die auf Händels frühe Jahre um 1705/06 in Hamburg hinweisen. Eröffnet wird die siebte Suite mit einer feierlichen Französischen Ouvertüre, wie Händel sie auch in seinen Opern und Oratorien verwendet hat. Es ist deshalb nicht überraschend, daß er diese Ouvertüre 1734 für sein Pasticcio Oreste in neuer Bearbeitung heranzog (HWV, A 11). – Die vier Sätze, die auf die Ouvertüre folgen, entsprechen in ihrem Charakter der deutschen Suitentradition,
obwohl nur zwei von ihnen die entsprechenden
Suitenüberschriften tragen: Sarabande und Gigue. Der Andante-Satz vertritt danach die Allemande, das Allegro steht für die Courante. Bei allen Sätzen dieser Suite behält Händel die Tonart g-Moll bei. – Die abschließende Passacaille steht gegen alle Regel nicht im 3/4-, sondern im 4/4-Takt und verlangt außerdem ein rasches statt ruhiges Tempo: ein Beispiel für Händels Freiheit der Formgestaltung. Die Passacaglia zeigt exemplarisch
Händels Variationstechnik über ein Thema von vier Takten mit seiner Wiederholung. Die 15 darauf folgenden Variationen sind nach italienischem Vorbild auf einem gleichbleibenden Harmoniegerüst aufgebaut (außer den chromatischen
Variationen 11 und 12) und führen in stetig
gesteigerter Bewegung zu einem rauschenden Abschluß.
Aus ‚Six Fugues or Voluntarys
for the Organ or Harpsichord’
Fuge Nr. 1 g-Moll HWV 605 und
Fuge Nr. 5 a-Moll HWV 609
Händels sechs große Fugen sind zweifellos ein Gipfelwerk seiner Fugenkunst. Sie verbinden satztechnische Meisterschaft mit einer ausgeprägten
Individualisierung und einem starken Ausdruckswillen. Im Druck erschienen sind die sechs Fugen 1735 bei John Walsh in London. Aus dem Autograph geht jedoch hervor, daß ihre Entstehungszeit vermutlich bis in die Jahre 1717/18 und auch in eine noch frühere Zeit zurückreicht.
Die erste Fuge in g-Moll wurde nach der Beschaffenheit des Autographs zwischen 1711 und 1716 komponiert. Den Kern des ersten Fugenthemas hat Händel der Toccata prima in dem bekannten Orgelwerk Apparatus musico-organisticus von Georg Muffat entnommen, das 1690 in Salzburg im Druck erschien. Händel gestaltete
damit – wie auch in seiner dritten Fuge – eine Doppelfuge, bei der das zweite, gegensätzliche
Thema direkt am Anfang mit dem ersten fest verbunden wird. Aus dieser Komposition entwickelte Händel 1738 den Chor Nr. 20 in Israel in Egypt: He smote all the firstborn of Egypt (Er schlug alle Erstgeborenen von Ägypten: die zehnte Plage, die Gott den Ägyptern schickt), eine stürmische vierstimmige Fuge in a-Moll, bezeichnet A tempo giusto e staccato.
Die Fuge Nr. 5 in a-Moll ist mit ihrer hoch-expressiven Chromatik, ihrer reichen Harmonik und mit den kontrapunktischen Spannungen sicherlich der Höhepunkt der Sammlung. Sie entstand um 1717/1718. Max Seiffert zeigte bereits 1899 in seiner Geschichte der Klaviermusik,
daß im Fugenthema ein Modell verwendet ist, das in der Orgel- und Klaviermusik des 17. Jahrhunderts zuerst bei dem Nürnberger Organisten
und Komponisten Johann Pachelbel (1653–1706) nachgewiesen werden kann. In der Folgezeit tritt es bei vielen weiteren Meistern auf. Von ihnen seien nur Dietrich Buxtehude, Vincent
Lübeck und Johann Kuhnau genannt. – Mit seinen extremen Intervallen erzeugt dieses Thema
starke Spannungen und einen dunklen Stimmungsgehalt:
Am Anfang folgen große Septime, Oktave und verminderte Septime direkt aufeinander;
im dritten Takt treten die chromatischen Schritte hervor: im weiteren Verlauf der Fuge werden diese Elemente in Engführungen und Sequenzen noch wesentlich verdichtet und gesteigert.
– In Israel in Egypt verwendete Händel die Fuge für den vierstimmigen Chor Nr. 15 in g-Moll, überschrieben Largo assai, über die erste Plage, die Gott den Ägyptern sendet: They loathed
to drink of the river (Sie verabscheuten es, aus dem Fluß zu trinken). Mit ihm beschreibt Händel das Verhängnis, wie das Wasser in Blut verwandelt wird.
Aus den 18 Stücken für eine Spieluhr
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren in England mechanische Musikinstrumente weit entwickelt und verbreitet. Händel komponierte für solche ,Spieluhren‘ zwischen 1730 und 1740 eine Anzahl von kurzen ein- bis zweistimmigen Stücken. Bei diesen Musikautomaten treibt ein Uhrwerk eine Walze an, auf der die Musikstücke mit Stiften aufgezeichnet sind. Die Stifte dieser Walze steuern ein Glockenspiel oder eine kleine Flötenuhr mit Labialpfeifen. Händels Stücke für eine Spieluhr erschienen 1988 im Rahmen der Hallischen Händel-Ausgabe (Serie IV, Bd. 19). Sie bilden einen unterhaltenden, leichtgewichtigen Gegenpol zu seinen beiden anspruchsvollen Fugenkompositionen.
‘Crudel tiranno Amor. Cantata con stromenti.’
Spätere Fassung für Sopran, Cembalo und Violoncello
HWV 97 b
In der Bayerischen Staatsbibliothek wurde im Jahr 2004 ein Musikautograph von Georg Friedrich
Händel neu entdeckt: Die vollständige italienische
Solokantate Crudel tiranno Amor in der bisher unbekannten Fassung für Sopran und Cembalo. Das elfseitige Autograph ist offenbar die einzige bekannte Quelle, in der Händel selbst den Generalbaß in seinen Rezitativen ausgeschrieben
hat. Die Handschrift besitzt deshalb auch für die Aufführungspraxis von Händels Musik hohen Wert.
Musikautographen von Händel gehören bei internationalen Handschriftenauktionen zu den seltensten Kostbarkeiten. Auch Neuentdeckungen
seiner Autographen in Bibliotheken sind ein herausragendes Ereignis; dies gilt umso mehr, wenn es sich – wie im vorliegenden Fall – um die bisher unbekannte Fassung eines Meisterwerks handelt.
Dem Musikwissenschaftler Dr. Berthold Over gelang dieser sensationelle Fund in der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek.
Er konnte mit Hilfe des wissenschaftlichen
Instrumentariums dieser Forschungsbibliothek das anonym überlieferte Manuskript der italienischen
Solokantate Crudel tiranno Amor als Werk von Händel in dessen eigener Niederschrift identifizieren. Diese Verifikation war durchaus nicht leicht, da hier eine der seltenen, schwer zu erkennenden Reinschriften des Komponisten vorliegt und nicht eine seiner zahlreichen, charakteristischen
Arbeitsniederschriften, wie sie in mehreren Faksimile-Ausgaben veröffentlicht wurden. Berthold Over hat im Händel-Jahrbuch 2005 die gesamte Handschrift ausführlich beschrieben.
Das Musikautograph der Solokantate Crudel tiranno Amor befindet sich unter den weit über dreihundert Nachlässen in der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek. Es ist in einem Sammelband mit 18 verschiedenen Handschriften
enthalten, der zum Nachlaß des bekannten Kulturhistorikers, Musikschriftstellers und Novellisten
Wilhelm Heinrich von Riehl (1823–1897) gehört.
Die Bayerische Staatsbibliothek hat direkt nach der Neuentdeckung des Händel-Autographs
den Wunsch verfolgt, eine hochwertige Faksimile-Ausgabe sowie den Erstdruck zu veröffentlichen
und das Werk in der bisher unbekannten
Fassung zur Uraufführung zu bringen. Es ist überaus erfreulich, daß der Bärenreiter-Verlag als Verleger der Hallischen Händel-Ausgabe
die Publikation des Faksimiles im Vierfarbdruck
und die Edition der Kantate übernommen hat. Eine spätere Übernahme der Edition in die Hallische Händel-Ausgabe ist schon jetzt vorgesehen.
Das Faksimile und der Erstdruck sind zum Zeitpunkt der Uraufführung der Kantate am 17. Mai 2006 erschienen, herausgegeben von Berthold Over und der Bayerischen Staatsbibliothek
in Zusammenarbeit mit der Redaktion der Hallischen Händel-Ausgabe.
Ausgehend von den neuen Erkenntnissen
über das Händel-Autograph nahm auch Dr. Hartmut Schaefer, der Leiter der Musikabteilung,
mit einer Reihe von namhaften Händel-Spezialisten Verbindung auf. Schon bald nach der Entdeckung haben Prof. Dr. Hans Joachim Marx sowie Dr. Michael Pacholke, Mitarbeiter bei der Redaktion der Hallischen Händel-Ausgabe, die Echtheit des Autographs bekräftigt und auf seine
herausragende Bedeutung hingewiesen. Prof. Christopher Hogwood und Prof. Edgar Krapp untersuchten insbesondere die Fragen, welche die Handschrift für die Aufführungspraxis stellt. Prof. Dr. Donald Burrows, der 1994 den grundlegenden Katalog der Händel-Autographen
veröffentlicht hat, unternahm detaillierte vergleichende Untersuchungen des Autographs im Hinblick auf die Händel-Überlieferung insgesamt.
Er hat seine Forschungsergebnisse 2006 in Band 11 der Göttinger Händel-Beiträge veröffentlicht.
Als Ergebnis aller soeben genannten Studien kann heute folgende Charakterisierung des Händel-Fundes gegeben werden:
In dem Münchner Autograph ist auf elf Seiten
die gesamte Kantate Crudel tiranno Amor vollständig als sehr sorgfältige Reinschrift des Komponisten überliefert (Mus.ms. 4468, fol. 49r – 54r). Sie ist jedoch nicht mit Orchester besetzt,
sondern in einer bisher unbekannten Fassung
für Solo-Sopran und ein Tasteninstrument (Cembalo) bearbeitet, die in vielen Einzelheiten von der bisher bekannten Überlieferung abweicht.
In der vorliegenden Aufnahme tritt zur Verstärkung der Baßlinien noch ein Violoncello hinzu. Die Kantate setzt sich zusammen aus drei einzelnen Da-Capo-Arien für Sopran mit einem anonymen italienischen Text, die durch zwei Rezitative
verbunden sind.
Die ursprüngliche Fassung, wie sie in der Hallischen Händel-Ausgabe (Serie V, Band 3) veröffentlicht und in mehreren Aufnahmen auf CDs bekannt ist, hat die Besetzung Sopran, zwei Oboen, Streicher und Generalbaß. Diese Fassung wurde wahrscheinlich am 5. Juli 1721 am King’s Theatre (Haymarket) in London mit Händels Opernorchester erstmals aufgeführt. Dagegen ist das vorliegende Autograph wesentlich
später – vermutlich in der Zeit um 1738 – niedergeschrieben.
Die Solistin war 1721 die berühmte Sängerin Margherita Durastanti, und zu ihren Gunsten wurde das Benefizkonzert veranstaltet. Händel hatte sie bei seinem Aufenthalt in Dresden 1719 für das von ihm geleitete und 1720 eröffnete Opernunternehmen Royal Academy of Music engagiert. Durastanti wirkte auch bei der Wiederaufführung
von Händels Oper Floridante am 4. Dezember 1722 in London mit. Für diese Aufführung hat Händel alle drei Arien aus der Solokantate Crudel tiranno Amor übernommen.
Daran zeigt sich, daß Händel von der hohen Qualität seiner Kantate überzeugt war. Daß er sie außerdem etwa sechzehn Jahre später erneut bearbeitet und verändert hat, bekräftigt diese Überlegung. Auch die Uraufführung des Werks in seiner kammermusikalischen Fassung macht deutlich, daß jede der drei Arien ihren unverwechselbaren,
individuellen Affektcharakter besitzt. Der Text der Kantate beschreibt eine innere
Entwicklung: Den Anfang bildet die Klage an den Gott Amor über die schmerzliche Trennung von dem Geliebten; in der Mitte steht die bange Hoffnung; in der dritten Arie siegt schließlich die freudige Zuversicht.
Das neu entdeckte Autograph besitzt seine Bedeutung jedoch nicht allein als Autograph Händels und wegen der bisher unbekannten Aufführungsfassung, sondern wegen drei zusätzlicher
Sachverhalte:
Zum einen ist von der bisher bekannten Fassung
der Kantate Crudel tiranno Amor mit der Begleitung von zwei Oboen, Streichern und Generalbaß keine Eigenschrift von Händel
überliefert; sie liegt nur in Manuskripten vor, die von fremder Hand stammen. Damit ist die neue Münchner Quelle die einzige Überlieferung des Werks von Händels eigener
Hand.
Zum andern enthält die Fassung der Münchner
Handschrift wesentliche Abweichungen in der Melodik, im Rhythmus und bei den hier reicher vorhandenen Verzierungen.
Der dritte Sachverhalt ist besonders spektakulär:
Nach Einschätzung der Redaktion der Hallischen Händel-Ausgabe ist das neu entdeckte Autograph die einzige bekannte Quelle, in der Händel den Generalbaß zu seinen Rezitativen selbst ausgeschrieben hat. Damit ist diese Handschrift von hohem Wert für die Kenntnis der Aufführungspraxis von Händels Musik. Sie dokumentiert, daß der Generalbaß in den Rezitativen vollstimmig und phantasievoll ausgeführt wurde, wie dies auch die führenden Lehrwerke dieser Zeit zum Generalbaßspiel demonstrieren.
Bei dem Autograph der Bayerischen Staatsbibliothek
handelt es sich – wie bereits hervorgehoben
– um eine sorgfältig ausgeführte Reinschrift.
Prof. Dr. Hans-Joachim Marx nimmt an, daß Händel sie im Zusammenhang mit einer uns unbekannten Aufführung für eine hochgestellte Persönlichkeit niedergeschrieben hat. Prof. Dr. Donald Burrows, der Autor des Standardwerks über Händels Musikautographen, hat bei der Untersuchung des Sammelbandes festgestellt, daß Händel sein Autograph wahrscheinlich als Musiklehrer für die Prinzessinnen am englischen Königshof geschrieben hat. Daraus würde sich auch seine sehr sorgfältige Reinschrift erklären. Wir können deshalb mit einiger Sicherheit beim Konzert am 17. Mai 2006 von der öffentlichen Uraufführung sprechen, denn es ist anzunehmen,
daß Aufführungen zu Händels Lebenszeit nur in kleinerem, internem Kreis stattgefunden haben.
Händel fertigte solche Reinschriften in erster Linie an, wenn sie direkt für Aufführungszwecke verwendet werden sollten. Dagegen hat er die Partituren seiner groß angelegten Werke (beispielsweise
der Opern und Oratorien) stets in einer
zügigen Arbeitsschrift ausgeführt, die durch ihre charakteristische starke Rechtsneigung auffällt.
Nach Abschluß dieser eigenhändigen Partitur
fertigten dann professionelle Kopisten für Aufführungszwecke eine Abschrift der Partitur an, und mit Hilfe dieser Abschrift wurde daraufhin
das Stimmenmaterial für Orchester, Chor und Solisten erstellt.
Das Händel-Autograph ist in einem unauffälligen
Sammelband aus der Zeit um 1800 enthalten.
Er umfaßt insgesamt 18 Handschriften mit Solokantaten und Kammerduetten von verschiedenen
Komponisten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bei den ersten elf Handschriften
ist der Name des jeweiligen Komponisten
angegeben. Genannt werden Georg Friedrich
Händel (mit dem zusätzlich enthaltenen Kammerduett A mirarvi son intento HWV 178), Nicola Porpora, Agostino Steffani, Emanuele
d’Astorga, Francesco Corradini, Francesco Webber und Annibale Pio Fabri (genannt Balino).
– Die Handschriften 12 bis 18 sind in dem Sammelband dagegen anonym überliefert. Am Anfang von ihnen steht als zwölfte Handschrift Händels Kantate Crudel tiranno Amor.
Als zusätzliche Besonderheit hat sich bei der Untersuchung des Schriftbefundes herausgestellt,
daß von den 18 Handschriften des Sammelbandes
acht Manuskripte von John Christopher
Smith senior, Händels engstem Mitarbeiter, geschrieben wurden. Deshalb ist anzunehmen, daß die Handschriften aus Händels engstem Umkreis stammen.
Der beschriebene Sammelband gehört zum Nachlaß des bekannten Kulturhistorikers, Musikschriftstellers und Novellisten Wilhelm Heinrich von Riehl (1823–1897). Riehl wirkte seit 1854 als Professor für Staatswirtschaftslehre an der Münchner Universität, seit 1859 für das Fach Kulturgeschichte. Seit 1885 war er auch Direktor des Bayerischen Nationalmuseums und Generalkonservator der Kunstdenkmäler und Altertümer Bayerns. Er hielt außerdem 1876–1892 Vorlesungen über Musikgeschichte
an der Königlichen Musikschule in München. Riehl gehört zu den Begründern der wissenschaftlichen
Volkskunde in Deutschland. Er war überzeugt von der hohen Bedeutung der Musik für das Kulturleben eines Volkes. Auch seine musikhistorischen Schriften erlangten große Verbreitung. Außerdem hatte er mit seinen literarischen
Veröffentlichungen großen Einfluß auf die historische Novelle und den historischen Roman in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Bayerische Staatsbibliothek erwarb im Jahr 1899 aus dem Nachlaß von Wilhelm Heinrich
von Riehl insgesamt 15 Einheiten mit Musikhandschriften
und 33 zum Teil sehr wertvolle Notendrucke aus dem 18. und 19. Jahrhundert für den Bestand ihrer Musikabteilung. Die Händel-Handschriften stammen aus der Musikbibliothek
von Riehls Vater, und sein Sohn befaßte sich schon in seinen Jugendjahren näher mit ihnen. Ganz gewiß hätte er sich glücklich geschätzt, wenn er das erst jetzt identifizierte Autograph von Händel erkannt hätte, das sich in seinem Besitz befand. Somit zeigt dieser Quellenfund
von höchstem Rang, wie wichtig auch die vertiefte Pflege der weniger bekannten Nachlässe
ist.
Mit Hilfe der Aufnahme von der Münchner Uraufführung der Kantate wird der Hörer Händels
Wertschätzung sicherlich nachvollziehen und sich einen Eindruck verschaffen können, daß Crudel tiranno Amor zu seinen reizvollsten und prägnantesten Werken gehört, die auf der Höhe seiner Meisterschaft entstanden sind.
Hartmut Schaefer
Folgende Abbildungen:
Georg Friedrich Händel: „Crudel tiranno Amor. Cantata
con stromenti.“
Autograph der bisher unbekannten Fassung für Solo-Sopran und Cembalo HWV 97b. Bayerische Staats-bibliothek München, Mus.ms. 4468, Fol. 49r–54v.
DIE KÜNSTLER
Sylvia Greenberg – Sopran
Die in Bukarest geborene, nach Israel emigrierte Sängerin debütierte in einem Konzert des Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta. Die Interpretation der großen Koloraturpartien wie Königin der Nacht und Zerbinetta begründete
seit ihrem ersten Engagement am Opernhaus Zürich ihre steile Karriere an den internationalen Opernhäusern. Sylvia Greenbergs breites Repertoire
umfaßt nicht nur die Koloraturpartien des 18. bis 20. Jahrhunderts; durch einen Fachwechsel
erarbeitete sie sich in den vergangenen Jahren auch zahlreiche lyrische Opernrollen, wie Konstanze,
Gilda und Donna Anna. Sie pflegt darüber
hinaus ein breites Konzertrepertoire, stets in Zusammenarbeit mit führenden Dirigenten und Komponisten. Sylvia Greenberg etablierte sich ebenso als Interpretin im Bereich der Neuen Musik und wirkte an Uraufführungen gewichtiger
zeitgenössischer Bühnenwerke der Moderne mit (Berio: Un ré in ascolto, Manzoni: Doctor Faustus). Sie ist Professorin für Gesang an der Hochschule „Konservatorium Wien Privatuniversität“
und an der Hochschule für Musik und Theater, München.
Edgar Krapp
– Cembalo und Orgel
Der in Bamberg geborene Organist studierte bei Franz Lehrndorfer in München und bei Marie-Claire Alain in Paris. Edgar Krapp ist Preisträger zahlreicher
Musikwettbewerbe und erhielt viele Auszeichnungen,
begonnen mit dem Felix-Mottl-Orgelwettbewerb
1970, dem Gewinn des 1. Preises beim ARD-Wettbewerb 1971 bis hin zum Friedrich-Baur-Preis im Jahre 2000. Sein Konzertrepertoire ist weit gefaßt:
Johann Sebastian Bachs Orgelwerke führte er in mehreren Städten zyklisch auf. Daß Krapp Georg
Friedrich Händels Werke besonders schätzt, ist durch eine vollständige Einspielung der Orgelkonzerte
und der Musik für Cembalo dokumentiert.
Internationales Renommee erlangte er gleichermaßen
mit seinem Engagement für zeitgenössische
Orgelwerke, z.B. in den Uraufführungen von Harald Genzmers Symphonischem Konzert, Günter Bialas‘ Introitus-Exodus, Rafael Kubeliks Symphonischer Peripetie und Hans-Jürgen von Boses
Symbolum, wie durch zahlreiche Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen. Als Hochschullehrer
wirkte Edgar Krapp an der Frankfurter Musikhochschule
und am Salzburger Mozarteum. In der Nachfolge seines Lehrers Franz Lehrndorfer ist er seit 1993 Professor für Katholische Kirchenmusik und Orgel an der Hochschule für Musik und Theater, München und bekleidet dort das Amt des Prorektors. Er ist Mitglied der Bayerischen Akademie
der Schönen Künste.
Wen-Sinn Yang – Violoncello
Der Schweizer Cellist taiwanesischer Abstammung
studierte bei Claude Starck und Wolfgang Boettcher; Meisterkurse besuchte er bei Janos Starker und David Geringas. Er ist einer der profiliertesten
Cellisten der Gegenwart und Preisträger
bei internationalen Wettbewerben. Bereits 1989 wurde Wen-Sinn Yang als Erster Solocellist
im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks engagiert und blieb dem Orchester, mit dem er unter Leitung von Lorin Maazel auch solistisch auftrat, über sechzehn Jahre verbunden.
Sein in vielen Konzerten auf internationalen
Podien gepflegtes und durch Einspielungen dokumentiertes Repertoire umfasst nicht nur den gesamten Kanon der „klassischen“ Cello-werke von Bach bis Šostakoviè, sondern ebenso Uraufführungen von Cellokonzerten, wie etwa des Konzertes von Kevin Volans im Rahmen der „Musica Viva“ (1997). Seit 2005 ist Wen-Sinn Yang Professor für Violoncello an der Hochschule
für Musik und Theater, München.