In der Reihe OehmsClassics Debut stellen wir in diesem Monat die junge russische Pianistin Alina Kabanova vor. Nach einem Studium am Moskauer Konservatorium übersiedelte sie nach Deutschland und studierte an der Hochschule für Musik, Münster, sowie zur Zeit an der Hochschule für Musik und Theater, Hamburg, bei Prof. Volker Banfield. Ihre Ausbildung im russischen und deutschen Sprachraum spiegelt sich auch im Programm der vorliegenden CD, das von Bach/Busoni über Beethoven und Schumann bis zu Anton Rubinstein und Sergej Rachmaninoff reicht.
Von Pianisten für Pianisten
Das Wunderkind Ferruccio Benvenuto Busoni
(1866–1924) trat siebenjährig mit Werken
von Wolfgang Amadé Mozart, Muzio Clementi und Robert Schumann öffentlich in Triest auf, zwei Jahre danach folgte das Debüt
in Wien. Seine Mutter war Pianistin deutscher
Abstammung, der italienische Vater, ein virtuoser Klarinettist, machte ihn erstmals mit dem Komponisten vertraut, der für ihn „das Fundament des Klavierspiels“ werden und mit dem er sich dann sein ganzes weiteres Leben hindurch auseinandersetzen sollte.
Das Resultat waren sowohl Choralvorspiel nebst Fuge über ein Bachsches Fragment, die Fantasia contrapuntistica oder die Zwei Kontrapunktstudien
nach Joh. Seb. Bach (1910 bzw. 1917) wie auch Übertragungen und Bearbeitungen:
1888 hatte er bereits die Transkription

der Orgelfuge in D-Dur vorgelegt. Kein Wunder, dass Busoni sich und seinen Nachfolgern
die berühmte – vom Kollegen Johannes
Brahms als eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten
Musikstücke bezeichnete und bereits von ihm für die linke Hand bearbeitete – um 1720 entstandene Chaconne, den einzigen
Variationensatz innerhalb Bachs OEuvre, aneignen wollte.
Busonis zu seiner Zeit revolutionäre, weil unsentimentale
Interpretationen – dies, obwohl ihn eine getreue Wiedergabe des Notentextes eher nicht interessierte – bereiteten auch den Boden für beispielsweise Sergej Wassiljewitsch
Rachmaninov (1873–1943) (der wiederum
u.a. drei Sätze aus Bachs 3. Solopartita in E-Dur BWV 1006 bearbeitete). Obwohl er, um seine Familie finanziell über Wasser zu halten, erst ab der Emigration aus Russland 1917 vornehmlich als Klaviervirtuose auftrat, war die Reihe seiner diesbezüglichen Kompositionen
schon zuvor nahezu abgeschlossen. Den Titel der 1886 entstandenen Moments musicaux entlehnte Rachmaninov dabei Franz Peter Schuberts halbem Dutzend: In gleichsam
paarweisem Kontrast folgt darin auf die elegische Klage eine gleichsam etüdenhaft eine einzige schnelle Figur immer wieder neu verarbeitende Etüde.
Das Spiel seines Landsmanns Anton Grigorjewitsch
Rubinstein (1829–1894), des Gründers des Konservatoriums von St. Petersburg, hatte
wiederum Busoni beeinflusst. Er sah aus wie Beethoven und spielte wie Beethoven, brachte das Klavier zu vulkanischen Eruptionen
… Wenn sein Publikum nach Hause ging, war es erledigt und hatte das Gefühl, einem Naturereignis beigewohnt zu haben. (Harold C. Schonberg) Von seinem umfangreichen Klavierschaffen blieb jedoch – abgesehen von der nach wie vor populären und oftmals bearbeiteten Melodie in F sowie der Großen Staccato-Studie aus der ersten von zwei Etüden-
Sammlungen – außerhalb seiner Heimat kaum etwas im Repertoire.
In seinen letzten Lebensjahren bereiste Rubinstein
mit einem Zyklus von sieben „Historischen
Klavierabenden“ Europa, überlange Programme, deren viertes dabei ausschließlich
Robert Alexander Schumann gewidmet; darin die Freund William Sterndale Bennett zugeeigneten Etudes symphoniques, deren formale Gestaltung mehrere Anläufe benötigte.
Die ursprüngliche Fassung von 1835 mit dem Titel Fantaisies et Finale sur un thème de M. le Baron de Fricken (dem dilettierenden Adoptivvater
jener Ernestine, mit der sich Schumann
ein Jahr zuvor verlobt hatte) besaß zwar – analog zu Frédéric François Chopins Vorbild op. 10 – zwölf Teile, von denen zwei Jahre später
jedoch nur mehr das Thema (einst quasi marcia funebre bezeichnet), das Finale sowie fünf Veränderungen überarbeitet Aufnahme in dem technisch anspruchsvollen Werk fanden, das anstelle vordergründig virtuosen Effekts „symphonisch“ orchestrale Klangfarben des Flügels auslotet und dabei mitunter weit in die Zukunft weist. (Anlässlich einer satztechnisch verbesserten dritten Version, 1852 in Leipzig gedruckt, entfernte dann Schumann zwei Abschnitte,
die nicht mehr dem nun neuen Titel Etudes en forme de variations entsprachen.)
Rubinsteins Ludwig van Beethoven zugedachter
zweiter Abend umfasste nicht weniger als acht (!) von dessen Sonaten und gipfelte in der Wiedergabe des dem Schüler Erzherzog Rudolph dedizierten, zwischen 1821 und 1823 komponierten Werks, für den etwa zeitgleich auch die Missa solemnis entstand. Die – für Beethoven – „Schicksalstonart“ markiert stets Zäsuren innerhalb seines Schaffens und signalisiert
hier wohl bewusst ein entsprechendes
Opus ultimum der Gattung. Nur mehr zwei Sätze stehen einander im zeitlichen Verhältnis eins zu zwei gegenüber, beide die Grenzen damals möglichen Musizierens anpeilend: Auf pathetisch sich steigernden Kampf folgt ein lyrischer Gesang, entspinnen sich kunstvollste Variationen, die letztendlich in elysischen Gefilden
mystisch verklingen.
Horst Reischenböck