Paul Armin Edelmann, baritone · Marco Ozbic, piano
Ein Album voll italienischer Kostbarkeiten, südländischer Romantik, Belcanto-Schmelz … Jedoch hören Sie hier nicht die ewiggleichen Schlager des italienischen Opernrepertoires sondern echte Raritäten aus der Feder von Stefano Donaudy, Ottorino Respighi, Francesco P. Tosti und Giuseppe Verdi.
Paul Armin Edelmann, Sohn des berühmten Bassisten Otto Edelmann, wurde in Wien geboren. Er begann seine Karriere am Stadttheater Koblenz und ist seit 1997 freiberuflich tätig. Während seiner ersten zehn Jahre auf der Opernbühne ist Paul A. Edelmann als Mozart-, Donizetti- und Rossini-Interpret bekannt geworden und ist überdies einer der gefragtesten österreichischen Operetten- und Liedinterpreten.
Marco Ozbic Klavier
Marco Ozbic absolvierte das Klavierstudium
am Konservatorium „G. Tartini“
in Triest (Klasse R. Kodric¡).
Der Studienweg führte ihn nach Wien, wo er an der Hochschule für Musik Komposition,
Musiktheorie, Korrepetition, Orchesterdirigieren
und Chordirigieren (Diplom bei Prof. G. Theuring) studierte.
Seine künstlerische Laufbahn begann in der Rochuskirche Wien, wo er als Regens Chori tätig war. Neben dem üblichen klassischen
Mess-Repertoire engagierte er sich für die Wiederbelebung der Kirchenmusik der Spätrenaissance und des Frühbarocks.
Danach war er drei Jahre als Kapellmeister
bei den Wiener Sängerknaben tätig.
Mit dem Chor gastierte er weltweit.
Er übernahm für zwei Jahre die künstlerische
Leitung des Wiener Jeunesse Chores und leitet gegenwärtig das Kammerorchester
„Ensemble Salieri Wien“, mit welchem er als Dirigent regelmäßig auftritt.
Derzeit ist er als zweiter Chordirektor und als musikalischer Leiter der Opernschule
für Kinder an der Wiener Staatsoper tätig und wirkte auch bei den Salzburger Festspielen bei Produktionen mit namhaften
Dirigenten (Muti, Levine, Harnoncourt, Gergiev) mit.
Als Lehrer unterrichtete er am Konservatorium
„B. Marcello“ in Venedig und an der Grazer Musikuniversität.
Als Pianist und Liedbegleiter tritt er in zahlreichen Konzerten mit österreichischen Sängern und Sängerinnen auf und begleitete
bei Gesangskursen (Jassica Cash, Guildhall
School of Music and Drama und Ashley Stafford, The Royal College of Music).
Von der Miniatur zur lyrischen Dichtung
Kompositionen für Gesang und Klavier zwischen 1850 und 1920
Die mit dieser CD unternommene Reise durch die Gattung der einstimmigen Kammermusik der vorletzten Jahrhundertwende
zeigt eine große Vielfalt an Formlösungen
und ein breites Spektrum von kompositorischen
Stilen. Den Anfang machen kurze und traditionelle Stücke des wenig bekannten Komponisten Donaudy, den Abschluss
bilden die Werke Respighis, die von einem stilistischen Eklektizismus und von großzügig angelegten Strukturen getragen werden. Vereinfacht gesagt könnte man diesen Weg als Entwicklung von der tonalen
Musiksprache des späten 19. Jahrhunderts
bis zur Übernahme der europäischen Moderne in Italien beschreiben. Wenn man in den Kompositionsdaten der hier vertretenen
Stücke einen Beweis für diese Behauptung
suchen würde, wäre man aber enttäuscht. Donaudys Lieder sind sogar ein Jahr älter als die von Respighi vertonten Tempi assai lontani (1917); trotzdem könnte der Unterschied nicht größer sein.
Der Komponist Stefano Donaudy (Palermo,
1879 – Napoli, 1925) wurde von Guglielmo
Zuelli ausgebildet. Er schrieb nicht nur symphonische Stücke und Kammerstücke, sondern auch Opern zu den Librettos von seinem Bruder Alberto, darunter La fiamminga
(Die Flämin). Sie wurde 1922 im Theater San Carlo von Neapel uraufgeführt – erlebte aber keine weiteren Aufführungen.
Gerade die Enttäuschung für die geringe
Verbreitung dieser Oper brachte den Künstler dazu, mit dem Komponieren aufzuhören.
Unter den Kammerstücken sind die 1918 veröffentlichten 36 Arie di stile antico zu erwähnen, die Erfolg beim Publikum hatten,
von der Kritik aber mit Distanz aufgenommen
wurden.
Die Texte von den sieben Romanzen, die hier zu hören sind, wurden ebenfalls von Alberto Donaudy geschrieben. Die Kompositionen
zeigen im Allgemeinen eine Harmonie
ohne Überraschungen; das Klavier begleitet die Stimme oft mit Terzen. Mehr Aufmerksamkeit verdienen dagegen ihre Strukturen, die sich nicht selten von der traditionellen Strophenform abheben.
Im Text Vaghissima sembianza (Anmutiger
Anschein) steigert sich allmählich beim Betrachten des Portraits der Geliebten das Liebesgefühl zur Leidenschaft. Der metrischen
Homogenität des Textes entspricht eine ebenfalls regelmäßige Struktur der Musik: Alle einzelnen Phrasen sind – mit Ausnahme der letzten – viertaktig und der Gesamtaufbau ist eine Strophenform. Das poetische Ich von Quand’il tuo diavol (Wenn dein Teufel) prahlt mit seiner Kompetenz in Sachen Liebe und fragt seine Gesprächspartnerin,
ob sie eigentlich wisse, was Liebe
ist. Auch in dieser Romanze ist eine musikalische
Strophenform vorhanden. Diese allgemeinen Merkmale – Symmetrie der Phrasen und Strophenstruktur – erlauben, die beiden Stücke mit dem Strophenlied im deutschsprachigen Raum zu vergleichen.
Sorge il sol (Die Sonne geht auf) ist eine Maggiolata (Mailied), in der die Bilder der aufgehenden Sonne und des Frühlings eine noch schlafende Seele zu wecken versuchen.
Die Gesamtstruktur ist hier nicht strophisch,
sondern von der Wiederholung der Anfangsphrase mit den wiederkehrenden Versen „sorge il sol, che fai tu?“ (die Sonne geht auf, was machst Du?) gekennzeichnet.
Dieser textlichen und musikalischen Wiederholung folgt jedes Mal eine andere Entwicklung der Melodie. In der zweiten Strophe zeigt sich, wie diese schlichte Musiksprache plötzlich raffiniert werden kann. Bei den Worten „è tempo venuto di correre ancor“ (es ist Zeit, zu laufen) würde die Stimme eine viel banalere Harmonie in g Moll erahnen lassen, als tatsächlich vorhanden.
Die aus Quintintervallen bestehende
Basslinie klingt naïv; dieser Wirkung widersetzt
sich aber die Harmonie in Es Dur, die bewusst eine Art intellektuelle Distanz erzeugt.
Dieses schwierige Gleichgewicht zwischen
Naivität und Intellektualität ist in Quando ti rivedrò („Wann werde ich dich wieder sehen?“) nicht mehr vorhanden. Hier wird der Schmerz eines verschmähten Verliebten direkt ausgedrückt, ohne intellektuelle
Mittel. Die Stimmlinie erreicht den Höhepunkt mit einer rezitativartigen Passage,
die die Leidenschaft zum Ausbruch bringt. Die rhythmische Freiheit der Stimme an dieser Stelle ist mit dem unsymmetrischen
Gesamtaufbau des Stückes kongruent.
Der Schluss, bei dem eine leidenschaftliche
Melodie vom Klavier erklingt, die keine thematische Beziehung mit dem Rest der Komposition hat, trägt dazu bei, dass diese Romanze ein fast durchkomponiertes
Stück ist.
Der Verlust der Geliebten ist das Thema von O del mio amato ben perduto incanto („Ach, verlorener Zauber meiner Geliebten“);
die Leere kann nur ausgeglichen werden, indem man sich dem Schmerz und den Tränen hingibt. In diesem Fall werden die Taktwechsel und die unsymmetrischen Sätze mit einer strophischen Struktur kombiniert.
In der Arietta Vorrei poterti odiare (Ich möchte dich hassen können“) liebt das poetische Ich bis zur Selbstaufgabe. Das Gefühl ist so stark, dass jeder rationelle Versuch, die untreue Geliebte zu verlassen, vergeblich ist. Wie in Quando ti rivedrò finden
wir hier eine musikalische Rückbesinnung
auf den Anfang. Dieses Mal handelt es sich aber um keine Andeutung, sondern um eine wörtliche Wiederholung, bei der die Klaviereinleitung – die auch unverändert geblieben ist – und der Stimmeinsatz in der umgekehrten Reihenfolge wieder erklingen.
Im Vergleich zum kurzen Anfang und Ende bildet der Mittelteil den musikalischen Kern des Stückes, wegen seiner Länge und des thematischen Kontrastes. Auf der Basis
dieses Gesamtaufbaus – und auch der Bezeichnung Arietta – zeigt sich ein spielerischer
Umgang mit der traditionellen Form A B A. Dieser Umgang wird in No, non mi guardate („Nein, schaut mich nicht an“) zu einer noch deutlicheren Anwendung der dreiteiligen Form. Die Verführungskünste einer weiblichen Schönheit, die den Naturelementen
entsprungen zu sein scheint, ist das Sujet dieses Textes.
Mit den beiden Romanzen Verdis, Ad una stella (An einen Stern) und Brindisi (Trinklied),
kehren wir siebzig Jahre in die Vergangenheit
zurück. Beide Stücke gehören zu den 1845 herausgegebenen 6 Romanzen, deren Text von Andrea Maffei (1798–1885) stammt. Der Dichter und Übersetzer schrieb für Verdi auch das Libretto für die Oper I Masnadieri. In beiden Kompositionen führen
die Gedichte zu einer konsequenten Struktur: in Ad una stella A B C A, in Brindisi eine rondoähnliche Form.
Die Originalversion des Poemetto lirico (kleine lyrische Dichtung) von Ottorino Respighi
(1879–1936) mit dem Titel Il tramonto (Sonnenuntergang) wurde 1914 für Mezzosopran
und Streichquartett (oder Streichorchester)
komponiert. Roberto Ascoli, der Shelleys Text auf Italienisch bearbeitet hat, schafft eine elegische Stimmung, in der Naturbilder mit menschlichen Gefühlen
in Verbindung gebracht werden. Der verträumte musikalische Ausdruck, der an Debussy erinnert, wird kombiniert mit einer Harmonie, die noch aus der Musiksprache des späten 19. Jahrhunderts stammt. Die fließenden Triolen setzen manchmal aus, um Passagen Raum zu geben, die von einem
schlichten Klang gekennzeichnet sind. Ein Beispiel dafür ist der Moment, wo sich der Junge wünscht, den Sonnenaufgang zusammen mit seiner Geliebten zu sehen – ein Wunsch, den er nicht mehr erleben wird.
Die 1912 entstandene Serenata indiana (Indisches Ständchen) ist ein Beispiel für Respighis Eklektizismus. Dem Stück liegt eine pentatonische Tonleiter zugrunde. Diese Tonleiter ist oft mit Akkorden harmonisiert,
die nicht nach den Regeln der traditionellen
Harmonielehre aufgelöst sind; jedoch
kann man oft unter der orientalischen Oberfläche die Spuren der westlichen Tonart
wahrnehmen.
Das Gleichgewicht zwischen Modernität und der spätromantischen Musiksprache scheint in den beiden Kompositionen aus dem Zyklus Cinque Liriche (Fünf Gedichte, 1917) noch gelungener zu sein. Die erste, Tempi assai lontani (Ferne Zeiten) ist noch eine Bearbeitung von Ascoli nach einem Text Shelleys, La fine (Das Ende) dagegen eine Bearbeitung von Clara Zannoni Chauvet
nach einem Gedicht von Rabindranath Tagore. In den freien Versen von Tempi assai lontani findet sich eine alles verzehrende
Sehnsucht nach den vergangen Zeiten. Die musikalische Form ist dagegen nicht so frei, da sie aus drei Teilen besteht, wobei der erste am Ende wiederholt wird. Während im Mittelteil vor allem Dreiklänge vorkommen, die ohne Modulationen aneinender
gereiht sind, verbindet der erste Teil zarte und atmosphärische Klänge mit einer klaren Tonsprache. La fine ist der Abschied eines Kindes von der Welt. Es wendet sich an seine Mutter und versucht sie zu beruhigen,
indem es ihr sagt, es wird immer bei ihr bleiben. Bei diesem Text, der als lyrische
Prosa konzipiert ist, entwickelt sich ein gänzlich durchkomponiertes Stück. Die kompositorische Entwicklungslinie folgt treu den im Text heraufbeschworenen Bildern.
Die schwerelose Klavierpassage bei den Worten „diventerò un delicato soffio d’aria“ (ich werde mich in einen Luftzug verwandeln) und das kurz vor dem Schluss erklingende Allegro scherzoso tragen die Merkmale eines dem Impressionismus ähnlichen
Stils. In dieser letzten Passage wird ein Dorffest evoziert. Der abwesende Sohn mischt sich unter die spielenden Kinder und verschmilzt mit der Flötenmusik. Nur in den Augen und in der Seele der Mutter ist er anwesend. Die Stimmung des Dorffestes wird mit einer heiteren Melodie in einem lebhaften 5/8 (!) Takt ausgemalt.
Nebbie (Nebel) ist ein 1921 veröffentlichtes
Gedicht von Ada Negri. Die von diesen Versen erzeugte trübe Stimmung und hoffnungslose
Einsamkeit wird in der Musik mit einem genauso einfachen wie erstaunlichen
Mittel evoziert: Zusammen mit den stufenweise ausgeführten Akkorden erklingt
ein ununterbrochener Orgelpunkt auf dem Ton F, der zwischen den Instrumentalstimmen
verteilt ist.
Die Quattro canzoni d’Amaranta von Francesco Paolo Tosti gehen auf Texte von Gabriele D’Annunzio zurück und wurden
1907 herausgegeben. In der ersten Canzone, mit dem Titel Lasciami! Lascia ch’io respiri (Lass mich! lass mich atmen), werden literarische Bilder erzeugt, die mit dem Tristanmotiv des Liebestodes und der Ablehnung des „liebesfeindlichen“ Tages verwandt sind. Bereits die Klaviereinleitung schafft es, mit einer in sich geschlossenen Periode, die trübe Atmosphäre des ganzen Stückes zu etablieren. In der Einleitung kommen nicht nur alle Tonarten des Stückes
vor, sondern werden auch Melodien angedeutet, die später entwickelt werden. Eine ähnliche Kunstfertigkeit ist auch beim Vergleich zwischen dem ersten Teil und seiner variierten Wiederholung festzustellen.
In L’alba separa dalla luce l’ombra (Das Morgengrauen trennt den Schatten vom Licht) bilden Nachtumarmung und Todeswunsch
eine Einheit. Der Todeswunsch wird aber von einer Sehnsucht nach der Unsterblichkeit abgelöst, die in den letzten Versen als unerwartet positiver Ausklang entsteht. Dieser emotionalen Entwicklung entspricht der Komponist mit einem A A’ B Aufbau. Mit seinem Überraschungseffekt stellt der B Teil auch den Höhepunkt der Komposition dar – und das gilt nicht nur für die Form sondern auch für die Dynamik:
Bei den Worten „sole eterno“ (Ewige Sonne) wird das abschließende Fortissimo erreicht.
In In van preghi (Du betest umsonst) wird der Transzendenz dagegen kein Platz eingeräumt. Es kommt nur eine verwüstete,
trostlose Seelenlandschaft vor. Den vier Strophen liegt eine A A’ Struktur zugrunde: die ersten beiden werden mit A vertont, die zwei letzten mit A’. Der Text Che dici, o parola
del saggio? (Was sagst du, Wort des Weisen?) ist ein Dialog zwischen einer zum Tod vorherbestimmten Seele und der Stimme
eines Weisen. Mit seinen warmherzigen
Worten stellt dieser der resignierten Gesprächspartnerin das Schicksal als eine unbekannte Zukunft vor, der sie mit Freude entgegenschauen soll. Die Komposition folgt der Dialogform. Die einzige – nicht wörtliche – Wiederholung findet sich in der zweiten direkten Rede des Weisen, beim Anfangsvers der vierten Strophe „alza il capo“ (Erhebe dein Haupt). In der Schlussstrophe
gibt sich die Seele „dem Liebhaber, der den Namen Morgen trägt“ („all’amante che ha nome Domani“) hin; hier beginnt ein neuer Dur Teil, der das Stück mit einer Wiederholung
der ebenfalls in Dur umgewandelten
Klaviereinleitung schließt.
Roberto Scoccimarro